# taz.de -- Japan nach Fukushima: Fast wieder so wie vorher. Fast.
       
       > Die Angst schwindet. Medien kritisieren die Regierung, der Atomklüngel
       > entzweit sich ein bisschen. Bei Tepco lässt man den Begriff
       > "Kernschmelze" einfach weg.
       
 (IMG) Bild: Zwei Einwohner von Kawauchimura, im 30-Kilometer-Radius um die Atomanlage Fukushima.
       
       TOKIO taz | An der Oberfläche ist in Tokio wieder fast alles beim Alten.
       Trinkwasser in Flaschen kostet deutlich mehr als früher, wird aber nicht
       mehr rationiert. Die Regale füllen sich wieder mit Bier und Milchprodukten.
       Nachbeben sind deutlich seltener zu spüren, und die Züge verkehren in
       gewohnt kurzen Abständen.
       
       Viel Neonreklame bleibt zum Stromsparen abgeschaltet, was viele Tokioter
       jedoch eher angenehm finden. Radioaktivität gehört nun zum Alltag, die
       Angst schwindet. Gemüse und Meeresfrüchte aus dem teilweise verstrahlten
       Nordosten werden wieder gekauft. Das Leitungswasser ist nicht mehr
       belastet.
       
       Die Berichte in den großen Zeitungen und den TV-Sendern über den Atomunfall
       und die Tsunami-Folgen bleiben unaufgeregt. Doch es haben sich kritische
       Untertöne gegen die Regierung und den Stromversorger Tepco eingeschlichen.
       Der Korrespondent des staatsnahen TV-Senders NHK bezweifelte in den
       Hauptnachrichten, dass Tepco den Zeitplan für die Notreparaturen einhalten
       kann. In der Vergangenheit hatte kein Sender und Verlag den Energieriesen
       kritisiert, weil er nach Toyota die meisten Anzeigen schaltete. Doch seit
       das Unternehmen am Rande der Insolvenz steht, ist es mit der Zurückhaltung
       vorbei.
       
       ## "Kernschmelze" im Sanierungsplan einfach weggelassen
       
       Die größte Zeitung, Yomiuri, mit einer täglichen Auflage von 14 Millionen,
       berichtete in dieser Woche, dass bisher nur 10 Prozent der Tepco-Arbeiter
       in Fukushima auf innere Verstrahlung untersucht wurden, weil es nur drei
       Messgeräte gebe. "Was unangenehm ist, muss so lange wie möglich ignoriert
       werden", schreibt die Zeitung Asahi über die Firmenkultur von Tepco: Das
       Wort "Kernschmelze" würde im neuen Sanierungsplan einfach weggelassen.
       Dabei weiß die Presse die Bevölkerung auf ihrer Seite. Fast drei Viertel
       der Japaner sind mit dem Verlauf der Atomkrise unzufrieden.
       
       Das "Atomkraftdorf", wie die enge Kollaboration aus Nuklearaufsicht,
       Wirtschaft und Wissenschaft von japanischen AKW-Gegnern ironisch bezeichnet
       wird, zeigt leichte Auflösungserscheinungen. "Atomkraft war lange
       sakrosankt", sagt der Seismologe Katsuhiko Ishibashi von der Universität
       Kobe. "Der Unfall von Fukushima beginnt dies zu ändern." So ordnete
       Premierminister Naoto Kan die Abschaltung des bebengefährdeten AKW Hamaoka
       ohne den üblichen, zeitaufwendigen Abspracheprozess, "Nemawashi", an. Der
       Betreiber war von der Entscheidung so überrascht, dass das Management drei
       Tage für eine Antwort brauchte.
       
       ## Premierminister Kan hält den Anti-Tepco-Kurs durch
       
       Der mächtige Wirtschaftsverband Keidanren verteidigte Tepco zwar
       öffentlich, die Firma habe ihre Atomkraftwerke genau nach den staatlichen
       Richtlinien gebaut. Doch Premierminister Kan hält seinen Anti-Tepco-Kurs
       durch. Ihm ist die Gunst der Wähler wichtiger. Tepco musste daher
       unbegrenzte Entschädigungen akzeptieren. Kabinettssprecher Yukio Edano
       setzte die Tepco-Kreditgeber unter Druck, die Altschulden zu erlassen und
       so die Zahlungsfähigkeit des Konzerns zu stützen.
       
       Trotzdem muss sich das alte Atomkraftdorf wohl keine allzu großen Sorgen
       machen. Einen Atomausstieg wird es in Japan so schnell nicht geben. Nur 12
       Prozent der Japaner sind laut einer NHK-Umfrage dafür. Lediglich auf den
       weiteren Ausbau wird verzichtet. Sobald die AKWs besser gegen Tsunami
       gesichert sind, sollen die über 30 derzeit heruntergefahrenen Reaktoren
       wieder ans Netz.
       
       Eine Expertenkommission wird die Ursachen der Katastrophe ermitteln. Doch
       viele Wissenschaftler wurden früher von Tepco für Vorträge und Gutachten
       hoch bezahlt. Bisher hat zum Beispiel kein Experte die Frage gestellt,
       warum der Siedewasserreaktor 1 in Fukushima seit über 40 Jahren läuft.
       "Dieser Reaktortyp ist für eine Lebensdauer von 30 Jahren ausgelegt",
       erklärt Kurt Heinz, Vizepräsident vom TÜV Rheinland in Yokohama. Dennoch
       sollten die Fukushima-Meiler 60 Jahre lang laufen.
       
       Die Atomaufsicht Nisa wird wohl aus dem atomfreundlichen
       Wirtschaftsministerium ausgegliedert. Die Behörde müsste aber
       schlagkräftiger werden. In Deutschland seien für jedes AKW 50
       Prüfingenieure abgestellt, Nisa habe nur 350 für 54 Reaktoren, berichtet
       TÜV-Experte Heinz. Die AKW-Betreiber in Japan prüfen sich bisher selbst,
       Nisa stempelte die Berichte einfach ab.
       
       19 May 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Martin Fritz
       
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