# taz.de -- Belastete Muttermilch in Fukushima: Die Angst der Mütter
       
       > Nach Fukushima sind japanische Eltern in Sorge. Vor allem wegen
       > widersprüchlicher Informationen über radioaktiv verseuchte Muttermilch.
       
 (IMG) Bild: Furcht statt Friede beim Stillen des Babys: Mutter und Kind in Fukushima.
       
       TOKIO taz | Die Angst sitzt tief bei vielen Menschen seit dem GAU im
       japanischen AKW Fukushima. Vor allem die Angst um die Kinder. "Was können
       meine Enkel noch essen? Da macht man sich schon Sorgen", sagt eine ältere
       Deutsche dem vom Deutschen Umweltministerium nach Tokio entsandten
       Nuklearexperten in der Deutschen Botschaft. Der Experte bemühte sich auf
       einem Infoabend für die deutsche Community, die Furcht vor kontaminierten
       Lebensmitteln zu vertreiben. Eine schwere Aufgabe.
       
       Rückblick: Am 11. März erschüttert ein Jahrhundertbeben der Stärke 9 das
       Land und löst einen gewaltigen Tsunami aus. Die Naturkatastrophen kosten
       mehr als 25.000 Menschen das Leben, zerstören Küstenbereiche über hunderte
       Kilometer und setzen im AKW Fukushima die Notfallaggregate außer Kraft. In
       mehreren Reaktoren kommt es zu teilweisen Kernschmelzen, bei
       Wasserstoffexplosionen wird Radioaktivität in großen Mengen frei.
       
       Die Japanerin Junko Norman erlebte das alles "wie in einem Alptraum". Ihre
       Wohnung liegt in der inzwischen komplett abgeriegelten 20-Kilometer-Zone um
       das AKW. Wenn sie von jenen Tagen spricht, werden die Hände fahrig, der
       Blick unstet. Ein Mensch, der auf Flucht eingestellt ist. "Mein Mann war in
       Tokio, ich war mit unseren drei Kindern zu Hause, völlig abgeschnitten,
       kein Telefon, kein Fernsehen, kein Internet. Mein Mann wusste nicht, ob wir
       noch leben. Und ich wusste nichts von der Katastrophe in Fukushima."
       
       Drei Tage später gelingt es ihrem Mann trotz zerstörter Straßen, seine
       verstörte Familie nach Tokio zu holen. Doch das Erlebte ist für alle ein
       solches Trauma, dass sie nicht mehr in Japan leben wollen. "Ich habe hier
       keine ruhige Minute. Ich traue den Behörden nicht, keiner hat uns gewarnt
       oder dort rausgeholt", sagt seine Frau. "Wir haben Angst um unsere Kinder,
       deswegen werden wir das Land verlassen."
       
       ## Keine offiziellen Grenzwerte
       
       Angst um ihre Kinder, vor allem um ihr Baby, hat auch Nakati Ishimura. Aus
       ihrem verwüsteten Haus zog sie in ein Evakuierungslager, nun lebt sie mit
       den vier Kindern etwa 60 Kilometer entfernt von der strahlenden Atomruine.
       "Natürlich mache ich mir große Sorgen. Als wir von den Explosionen hörten,
       ahnte ich, dass es große Probleme für uns bringen wird. Wir haben zwar
       überlebt, aber unser Leben ist völlig unsicher geworden. Ich habe keine
       Ahnung, wie gefährlich es wirklich ist. Was kann ich meinen Kindern geben?
       Kann ich mein Baby weiter stillen oder ist meine Milch radioaktiv
       belastet?", erzählt sie am Telefon im Stakkato-Tempo. Es ist zu spüren, wie
       es in ihr brodelt. Es ist kein Frieden mehr in ihr, wenn sie ihr Baby
       stillt, nur noch Furcht, ob sie alles richtig macht.
       
       Eine berechtigte Furcht: Am 20. April erschreckte die Nachricht über
       radioaktiv belastete Muttermilch japanische Familien mit Säuglingen. Der
       höchste von einer NGO veröffentlichte Wert war 36,3 Becquerel Jod, der bei
       einer Frau in der an Fukushima grenzenden Präfektur Chiba gemessen worden
       war. Kein Grund zur Panik, versicherte das japanische
       Gesundheitsministerium. Der Wert sei für Babys unbedenklich, verkündete
       Regierungssprecher Yukio Edano eilig. Zugleich musste er einräumen, dass es
       keine offiziellen Grenzwerte für radioaktiv belastete Muttermilch gibt. Um
       "verständliche Sorgen stillender Mütter" zu beruhigen, bietet das
       Gesundheitsministerium Tests an.
       
       Das klingt gut, allein scheint die Maßnahme an vielen Betroffenen
       vorbeizugehen: "Ich habe davon gehört, dass man diese Tests machen lassen
       kann. Aber wo oder bei wem - keine Ahnung. Es ist verwirrend", sagt Nakati
       Ishimura. "Ich will mich nicht vordrängen, es gibt ja stillende Mütter, die
       näher am AKW leben, die sollten Vorrang haben. Ich habe genug damit zu tun,
       täglich Lebensmittel für uns zu besorgen." Ihr knapp ein Jahr altes Baby
       stellt sie langsam auf feste Nahrung um. "Aber da habe ich dasselbe
       Problem. Welches Gemüse kann ich kaufen? Welche Früchte? Insgesamt essen
       wir weniger frische Lebensmittel. Statt Kuhmilch versuche ich Sojamilch zu
       bekommen. Aber es bleibt die nagende Unsicherheit, was ich meinen Kindern
       zu essen geben kann."
       
       Nakati Ishimura weiß, dass sie mit diesen Sorgen noch Monate wird leben
       müssen. Sie ringt um Fassung, um etwas Normalität, damit ihre älteren
       Kinder die Schrecken der letzten Wochen allmählich vergessen können. Es ist
       eine fast unlösbare Aufgabe, vor die sich Tausende Mütter in Japan gestellt
       sehen.
       
       ## Überfluss an Informationen
       
       Auch Natsuki Soejima gehört zu ihnen. Zwar lebt sie in der 250 Kilometer
       von Fukushima entfernten Hauptstadt, doch auch sie ist verunsichert. Aus
       Angst um ihr elf Monate altes Baby vermeidet sie Leitungswasser und kauft
       keine Frischwaren aus dem Nordosten. "Ich mache mir große Sorgen", sagt die
       Japanerin, "ich gehe nicht raus, wenn es regnet. Wer weiß, was da an
       Radioaktivität ausgewaschen wird." Sie denke darüber nach, ihre Milch
       testen zu lassen, "aber dazu gibt es viel zu wenig Informationen. Wie zu
       allem anderen auch."
       
       Professor Ryuki Kassai, der an der Medical University Fukushima das Zentrum
       für Familienmedizin leitet, hat Verständnis für die Eltern. Es sei aber
       nicht ein Mangel, sondern im Gegenteil ein verwirrender und oft
       widersprüchlicher Überfluss an Informationen durch Medien und
       selbsternannte Experten. Auf den Internetseiten des Gesundheitsministeriums
       und des japanischen Gynäkologenverbands gäbe es relevante Hinweise, aber
       viele Menschen seien mit diesen Webseiten nicht vertraut - oder sie können
       die japanischen Informationen nicht lesen.
       
       So wie Clare Law, die seit drei Jahren in Tokio lebt. Ihre drei Kinder, das
       jüngste ist sieben Monate alt, bekommen derzeit ausschließlich
       Mineralwasser und Gemüse aus einem internationalen Supermarkt. "Dort kann
       ich wenigstens lesen, woher die Sachen kommen", sagt die Engländerin. "Ich
       will meine Kinder keinem Risiko aussetzen, deswegen meide ich Lebensmittel
       aus dem Nordosten, auch wenn offizielle Stellen garantieren, dass sie nicht
       kontaminiert sind."
       
       Furcht, Unsicherheit, Ungewissheit. Körperlich sind viele Betroffene
       unversehrt, doch die mentale Belastung ist enorm. "Ich bin oft erschöpft,
       das alles bedeutet eine Menge Stress", sagt Nakati Ishimura. "Und das
       Schlimmste ist, dass es noch lange, lange so weitergehen wird."
       
       20 May 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Hilja Müller
       
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