# taz.de -- Havariertes AKW Fukushima: Tepcos Verteidigung bröckelt
       
       > Laut Tepco war es erst der Tsunami, der die Notkühlung und damit die
       > Reaktoren von Fukushima beschädigte. Doch nun kommt raus, dass das wohl
       > nur die halbe Wahrheit ist.
       
 (IMG) Bild: Eine der vielen kritischen Stellen: Abklingbecken von Reaktor 4 des AKW Fukushima I.
       
       BERLIN taz | Die Katastrophe von Fukushima war erst ein paar Tage alt und
       die Informationen noch unvollständig und widersprüchlich, aber die
       Atomindustrie plädierte in eigener Sache schon auf Freispruch: "Japans
       Atomkraftwerke haben in der Vergangenheit mehrere Erdbeben sicher
       überstanden", erklärte John Ritch, der Generalsekretär der World Nuclear
       Association Mitte März im Fernsehsender CNN.
       
       "Das Problem war der Tsunami, nicht das Erdbeben." Und Anne Lauvergeon, die
       Chefin des weltweit größten Atomkonzerns Areva aus Frankreich, sekundierte
       an anderer Stelle fast wortgleich: "Nicht das Erdbeben war das Problem,
       sondern der Tsunami."
       
       Diese Verteidigung bröckelt jetzt noch stärker als die Ruinen von
       Fukushima. Denn offenbar gibt die Betreiberfirma Tepco intern selbst zu,
       dass bereits das Erdbeben das AKW schwer zerstört haben könnte. Die
       konservative Tageszeitung Mainichi Daily News berichtet, bei Tepco herrsche
       die Meinung, "das Erdbeben könnte den Druckbehälter oder die Rohrleitungen
       beschädigt haben."
       
       Diese Einschätzung deckt sich mit der Kritik unabhängiger Experten. "Die
       Behauptung, die AKWs hätten das Erdbeben heil überstanden, ist
       wissenschaftlich überhaupt nicht haltbar, weil niemand die Fakten kennt",
       sagt etwa der kritische Atomexperte und Träger des Alternativen
       Nobelpreises, Mycle Schneider. Gegen diese These spreche schon die Wucht
       des Erdbebens, die nach Angaben der deutschen Gesellschaft für
       Reaktorsicherheit um 26 Prozent stärker war als jener Wert, für den das AKW
       ausgelegt war.
       
       Der offiziellen Lesart zufolge hat sich der Unfall so abgespielt: Nach dem
       Beben schalteten sich die AKWs automatisch ab und die Notstromversorgung
       setzte ein. Diese Generatoren wurden von der Tsunamiwelle weggefegt. An den
       Reaktoren wurde die Kühlung auf Batteriebetrieb umgestellt. Erst als diese
       Batterien aufgaben, gerieten die Reaktoren außer Kontrolle.
       
       ## Andere Version der Ereignisse
       
       Der Ablauf der Ereignisse, den die Mainichi Daily News rekonstruiert hat,
       widerspricht dieser Version. Demnach drang bereits in der Nacht nach dem
       Tsunami, am 11. März, ein Erkundungsteam von Tepco in den Block 1 des
       Kraftwerks vor. "Sekunden später" sei an den Dosimetern der Arbeiter der
       Strahlenalarm ausgelöst worden: Bei Werten bis zu 300 Millisievert pro
       Stunde - dem Dreifachen der damals geltenden Obergrenze für einen
       Rettungseinsatz - hätten sich die Arbeiter schnell zurückgezogen.
       
       Offiziell öffnete Tepco die Reaktorventile allerdings erst am folgenden
       Morgen, um Druck und damit Radioaktivität abzulassen. Wenn aber schon in
       der Nacht zuvor hohe Strahlenwerte gemessen wurden, müsse es bereits
       Schäden am AKW gegeben habe, ehe die Kühlung versagte, so die Mainichi
       Daily News. 
       
       Diese Meldungen fallen zusammen mit der Einsicht, dass Tepco und die
       japanischen Behörden mehr als zwei Monate nach dem Desaster immer wieder
       von Entwicklungen überrascht werden und ihren Zeitplan häufig ändern. Zwar
       werden nun laut der Gesellschaft für Reaktorsicherheit an den Atomanlagen
       Kräne aufgebaut, um die havarierten Blöcke mit einer Spezialplane
       abzudichten und die Strahlung einzufangen.
       
       Zugleich gestand Tepco am Wochenende ein, dass die Situation der
       Brennelemente in Reaktor 1 deutlich kritischer sei als bisher gedacht.
       Messgeräte im Innern des Reaktors hätten unbemerkt versagt. Zuvor hatte es
       geheißen, 50 bis 70 Prozent der Brennstäbe seien "beschädigt". Jetzt
       erklärten die Betreiber laut dem Fernsehsender NHK, "die meisten der
       Brennstäbe seien geschmolzen und auf den Boden des Druckbehälters
       gefallen". Und diese Kernschmelze sei bereits innerhalb der ersten 16
       Stunden des Desasters passiert.
       
       ## Weitere Überraschungen könnten folgen
       
       Tepco gab auch zu, diese geschmolzene Masse habe "kleine Löcher" in den
       Boden des Druckbehälters gebrannt. Damit kann die Strahlung vom Reaktorkern
       über die undichte Schutzhülle in die Umwelt entweichen. Und weitere
       Überraschungen könnten folgen: Tepco hat angekündigt, nach Reaktor 1 auch
       den Zustand der anderen Meiler neu zu untersuchen.
       
       Zudem ist weiter rätselhaft, was mit den tausenden von Tonnen Wasser
       geschieht, die in die qualmenden Reaktoren gepumpt wurden. Der
       US-Atomexperte Arnie Gundersen von der Organisation Fairwinds Associates
       meint, ein großer Teil des Wassers sei bereits durch Risse im Fundament ins
       Grundwasser gelangt, das nun radioaktiv verseucht werde.
       
       Gundersen hat eine düstere Prognose: "Die Strahlung verbreitet sich nach
       unten mit dem Wasser und nach oben mit dem Dampf. Und sie haben keine Idee,
       was man dagegen tun kann." Er hält die Reaktoren 1 bis 3 für undicht. Und
       im Abklingbecken bei Reaktor 3 müsse es eine Explosion gegeben haben, die
       den Teil eines Brennelementes zwei Kilometer weit in die Umwelt
       geschleudert habe. Nur so sei der Fund eines strahlenden Teilchens dort zu
       erklären.
       
       Für Gundersen, der lange in der US-Atomindustrie gearbeitet hat, gibt es
       gute Gründe, warum sich die Industrie von der Sicherheit ihrer Anlagen so
       überzeugt gibt. Erst im letzten Oktober habe die US-Atomaufsichtsbehörde
       NRC erklärt, die Wahrscheinlichkeit eines Lecks in einer AKW-Schutzhülle
       sei gleich null. "Jetzt stehen da drei Reaktoren mit undichten
       Schutzhüllen. Und der US-Baukonzern Westinghouse wartet auf die Genehmigung
       seines neuen Atomreaktortyps AP 1000."
       
       16 May 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bernhard Pötter
       
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