# taz.de -- 5. Tag Kongo-Kriegsverbrecherprozess: Der düstere Schatten Ruandas
       
       > Der Sachverständige Denis Tull erklärt, was der Krieg der FDLR mit dem
       > Völkermord in Ruanda zu tun hat. Er wird sofort von der Verteidigung in
       > eine Geschichtsdebatte verwickelt.
       
 (IMG) Bild: Fachliteratur auf dem Richtertisch in Stuttgart.
       
       STUTTGART taz | Am vierten und fünften Verhandlungstag gegen zwei Führer
       der im Kongo kämpfenden ruandischen Miliz FDLR (Demokratische Kräfte zur
       Befreiung Ruandas), Ignace Murwanashyaka und Straton Musoni, wurde vor dem
       OLG Stuttgart erstmals ein Sachverständiger gehört, der die Rolle der FDLR
       bei dem Bürgerkrieg in der Demokratischen Republik Kongo beleuchten sollte.
       Dr. Denis Tull von der Stiftung Wissenschaft und Politik hatte auf Anfrage
       der Bundesanwaltschaft ein Gutachten erstellt, welches er vor Gericht
       vortrug.
       
       Tull ging zunächst auf die Hintergründe des Konfliktes in der DR Kongo ein
       und betonte, dass dieser Konflikt unmittelbar mit dem Völkermord 1994 in
       Ruanda zusammenhänge. Nicht die Geschichte Ruandas sei jedoch sein
       Forschungsschwerpunkt, sondern Rebellenbewegungen in Kriegssituationen mit
       einem speziellen Fokus auf den Osten Kongos. Er begann seine Ausführungen
       mit der Massenflucht von Hutu aus Ruanda nach dem Genozid an den Tutsi 1994
       und der militärischen Reorganisation in den kongolesischen
       Flüchtlingslagern, wo Zehntausende Verantwortliche und Täter des
       Völkermords Zuflucht fanden und nun den Kampf gegen die neue ruandische
       Regierung unter dem damaligen Tutsi-Rebellenführer und heutigen Präsidenten
       Paul Kagame weiterführen wollten.
       
       Da die Regierung Kagame diese Angriffe aus dem Kongo (damals Zaire) als
       ernstzunehmende Bedrohung wahrnahm, marschierten im Jahr 1996 ruandische
       Truppen in den Osten Kongos ein, um die Flüchtlingslager aufzulösen und die
       dort lebenden Menschen nach Ruanda zurückzubringen. Dabei beging die
       ruandische Armee zahlreiche schwere Menschenrechtsverletzungen. Viele
       Flüchtlinge starben bei den Angriffen. Dennoch sei der Vorwurf, die
       ruandische Armee habe dabei systematisch Massaker begangen, nicht haltbar,
       so Tull, da die große Mehrzahl der Flüchtlinge durch einen Korridor nach
       Ruanda zurückgeführt werden konnte.
       
       ## "Krieg der Zahlen"
       
       Tull umschreibt die Situation als einen "Krieg der Zahlen", wobei jede
       Konfliktpartei behaupte, sie habe die meisten Opfer zu betrauern, um so die
       jeweilige Opferrolle hervorzuheben und damit die jeweils begangenen eigenen
       Verbrechen relativieren zu können.
       
       Nachdem Ruanda 1996/97 dabei half, im Kongo dem Rebellenführer
       Laurent-Désiré Kabila an die Macht zu verhelfen, entwickelte sich zunehmend
       bei der kongolesischen Bevölkerung das Bild von Ruandern als Besatzer. Um
       nicht als Marionette Ruandas zu erscheinen, sagte sich Kabila schließlich
       von Kagame los und unterstützte stattdessen ab 1998 die ruandischen
       Hutu-Kämpfer im Kongo, zunächst die Vorgängerorganisation der FDLR, die
       ALIR (Ruandische Befreiungssarmee), während Kagame im Kongo Rebellen gegen
       Kabila unterstützte, die RCD (Kongolesische Sammlung für Demokratie), deren
       Führung vorrangig ruandisch-stämmige Kongolesen waren.
       
       In diesem zweiten Kongokrieg ab 1998 entstand eine militärische
       Pattsituation, in der die ALIR eine neue Strategie entwickelte. Da ein
       militärischer Sieg gegen Ruandas Armee immer unwahrscheinlicher wurde,
       wollte sie ihr politisches Profil stärken. Vor diesem Hintergrund wurde im
       Jahr 2000 die FDLR gegründet. Doch auch dies änderte nichts an der
       zunehmenden Isolierung der ruandischen Hutu-Kämpfer im Kongo. Umso massiver
       ging die Miliz gegen die kongolesische Zivilbevölkerung vor, um ihren
       politischen Einfluss auf diese Weise zu erzwingen.
       
       ## Massive, sexualisierte Gewalt als Kriegswaffe
       
       Dabei zeichnete sich die FDLR vor allem dadurch aus, massive sexualisierte
       Gewalt als Kriegswaffe einzusetzen, um so Angst und Schrecken zu verbreiten
       und zugleich die sozialen Strukturen im Kongo zu zerstören. Hinzu kam, dass
       nicht nur die FDLR als gefährlich galt, sondern auch andere Milizen. "Es
       ist gefährlicher, in der DR Kongo Zivilist zu sein als Soldat oder
       Kombattant einer Miliz", so Tull.
       
       Auch Friedensverhandlungen konnten die Gewalt im Kongo nicht beenden. Erst
       seit die kongolesische Regierung mit der aus ehemaligen RCD-Kämpfern
       hervorgeganen ostkongolesischen Rebellenarmee CNDP (Natiopnalkongress zur
       Verteidigung des Volkes) Anfang 2009 zu einer Einigung kam, konnten mit
       Hilfe der ruandischen Armee und später auch der UN-Mission (Monuc)
       militärische Operationen gegen die FDLR durchgeführt werden. Leider
       bedeutete dies keine Abnahme der Gewalt an der Zivilbevölkerung, denn nun
       beging die FDLR vermehrt Racheakte, bei denen sie erneut Menschen
       systematisch ermordeten, folterten und vergewaltigten.
       
       In diesem Kontext, so betont Tull, müsste die kongolesische Armee
       konsequenter gegen die FDLR vorgehen. So gelänge es der FDLR immer wieder,
       von der Armee eingenommene Territorien zurückzuerobern. Auch die UN-Mission
       sei wenig hilfreich, da sie kein Mandat zur gewaltsamen Entwaffnung der
       Milizen habe. Stattdessen setze sie auf eine "freiwillige Entwaffnung".
       
       Auf Fragen nach des Gerichts nach genaueren Informationen in Bezug auf die
       FDLR berichtete Tull, in den Augen der FDLR sei der Genozid in Ruanda 1994
       kein geplanter gewesen, sondern spontan ausgebrochen. Sie fordere eine
       Machtbeteiligung in Ruanda, verbunden mit einem innerruandischen Dialog
       sowie die Aufarbeitung der Verbrechen der heute regierenden RPF von Kagame.
       Sie sei organisiert wie eine reguläre Armee inklusive militärischem
       Geheimdienst, was nicht verwundere, da die FDLR die Nachfolgeorganisation
       der Interahamwe-Miliz aus den Zeiten des Völkermords sei, die wiederum zu
       großen Teilen aus der damaligen ruandischen Armee bestand.
       
       ## FDLR-Verteidigung: Völkermord brach spontan aus
       
       Zuletzt verwies Tull auf den ehemaligen FDLR-General Paul Rwajakabire als
       prominentestes Beispiel für Aussteiger der Miliz, die friedlich nach Ruanda
       zurückgekehrt seien. Die ruandische Regierung habe Beweise gegen ihn
       gesammelt und ihm dann einen Deal angeboten für seine Rückkehr. Heute hat
       Rwajakabire einen hohen Posten innerhalb der ruandischen Armee. Dieses
       Beispiel freute die Verteidigung, da sie der ruandischen Regierung
       vorwirft, in diesem Verfahren Zeugen und ihre Dolmetscher zu manipulieren
       und zu kaufen. Damit wollen die AnwältInnen Murwanashyakas und Musonis, um
       sämtliche ZeugInnen, die in Stuttgart aussagen werden, von vorhinein
       diskreditieren.
       
       Bei ihrer eigenen Befragung des Sachverständigen konzentrierte sich die
       Verteidigung vor allem auf die Geschichte Ruandas und die Rolle der RPF.
       Ihr ging es darum, zu verdeutlichen, dass in Ruanda seit Beginn des
       Bürgerkriegs 1990, der mit der Invasion der in Uganda gebildeten RPF
       begann, systematische Gewalt gegen Hutu begangen wurde, während tatsächlich
       zu jener Zeit bereits Vorbereitungsmaßnahmen getroffen wurden für den
       Völkermord an den Tutsi im Jahr 1994.
       
       Für die Verteidigung steckte die RPF hinter dem Flugzeugabschuss, bei dem
       am 6. April 1994 der damalige ruandische Präsident Juvenal Habyarimana ums
       Leben kam und der unmittelbarer Auslöser für den Ausbruch des Völkermords
       war. Tatsächlich wurde bis heute nicht geklärt, wer für den Abschuss
       verantwortlich ist. Doch versucht die Verteidigung so die FDLR-These zu
       untermauern, dass der Völkermord kein geplanter, sondern ein spontan
       ausgebrochener war, in Reaktion auf den Tod Habyarimanas.
       
       Weiter hob die Verteidigung auf Aspekte ab, die zeigen sollten, dass Ruanda
       heute keine Demokratie sei und keine rechtsstaatlichen Verfahren gegen
       Mitglieder der FDLR durchführen könne. Da Ruanda nicht zu den
       Forschungsschwerpunkten von Tull zählt, konnte er die Mehrzahl der Fragen
       der Verteidigung nicht beantworten.
       
       In Bezug auf die Verbrechen von Milizen in der DR Kongo versuchte die
       Verteidigung durch ihre Fragen darauf abzuheben, dass es nicht möglich sei,
       einem einzelnen Kämpfer konkrete Verbrechen zuzuordnen - angesichts der
       zahlreichen verschiedenen Milizen und auch der systematischen Verbrechen
       der kongolesischen Armee. Damit sei es schlicht nicht möglich, Verbrechen
       eindeutig der FDLR zuzuordnen.
       
       Bevor das Gericht am Nachmittag des 23. Mai zu Urkundenverlesungen
       überging, stellte die Verteidigung den Antrag, einer Beweisanregung der
       Bundesanwaltschaft zur Vernehmung des Journalisten und Buchautors Markus
       Frenzel solle nicht entsprochen werden. Nach der Zitierung eines
       Kapitelanfangs aus seinem Buch "Leichen im Keller", in dem Frenzel unter
       anderem die Rolle Murwanashyakas bei der Führung der FDLR von Deutschland
       aus beschreibt, sagte die Verteidigung, dass "selbsternannte Experten" und
       "boulevardeske Ansichten" dem Verfahren nicht weiterhelfen würden.
       
       Die Autorin ist Koordinatorin der Menschenrechtskampagne "Gerechtigkeit
       heilt"
       
       24 May 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bianca Schmolze
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Kongo-Kriegsverbrecherprozess
 (DIR) Schwerpunkt Kongo-Kriegsverbrecherprozess
 (DIR) Schwerpunkt Kongo-Kriegsverbrecherprozess
 (DIR) Schwerpunkt Kongo-Kriegsverbrecherprozess
 (DIR) Schwerpunkt Kongo-Kriegsverbrecherprozess
 (DIR) Schwerpunkt Kongo-Kriegsverbrecherprozess
 (DIR) Schwerpunkt Kongo-Kriegsverbrecherprozess
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) 9. Tag Kongo-Kriegsverbrecherprozess: So arbeitete das BKA
       
       Ein BKA-Ermittler erläutert, wie vor Murwanashyakas Festnahme die
       Telekommunikationsüberwachung in Deutschland ablief. Und wie danach in
       Ruanda Zeugen befragt wurden.
       
 (DIR) 8. Tag Kongo-Kriegsverbrecherprozess: Ein gefährliches Spiel
       
       Bei der Vernehmung von Hans Romkema fordern die Verteidiger vergeblich
       Zwangsmittel, bevor sie den Zeugen für untauglich erklären. Der Zeuge will
       keine Namen nennen.
       
 (DIR) 7. Tag Kongo-Kriegsverbrecherprozess: Die ruandische Miliz in Nahaufnahme
       
       Der niederländische Zeuge Hans Romkema berichtet über seine jahrelange
       Arbeit in Ostkongos Kriegsgebiet und die Greueltaten und Übergriffe der
       ruandischen Miliz.
       
 (DIR) 6. Tag Kongo-Kriegsverbrecherprozess: Krieg um die Dokumente
       
       Die Parteien streiten sich um Papier. Die Verteidigung will nicht, dass vor
       Gericht FDLR-Dokumente verlesen werden. Das Gericht verliest ältere
       deutsche Gerichtsurteile.
       
 (DIR) 4. Tag Kongo-Kriegsverbrecherprozess Stuttgart: Richter sind nicht befangen
       
       Das Oberlandesgericht Stuttgart lehnt einen Befangenheitsantrag der
       Verteidiger der wegen Kriegsverbrechen angeklagten FDLR-Milizenführer ab.
       Der Prozess kann weitergehen.
       
 (DIR) 3. Tag Kongo-Kriegsverbrecherprozess in Stuttgart: Die taz ist schuld
       
       Die Verteidigung im Prozess gegen Milizenführer der FDLR beklagt, die taz
       habe die Justiz vor sich hergetrieben. Zudem sei die Gewalt der FDLR immer
       nur "reaktiv" gewesen.
       
 (DIR) 2. Tag Kriegsverbrecherprozess Stuttgart: Karlsruhe soll entscheiden
       
       Die Anwälte der FDLR-Milizenführer sagen, Deutschlands
       Völkerstrafgesetzbuch sei verfassungswidrig. Sie beantragten die Aussetzung
       des Verfahrens.