# taz.de -- Energiewende in Deutschland: Noch zehn Jahre Zittern
       
       > Die letzten Atomkraftwerke in Deutschland sollen im Jahr 2022 vom Netz,
       > dann beginnt die energiepolitische Zukunft. Aber bis dahin dürfen 9 von
       > 17 Meilern weiterlaufen.
       
 (IMG) Bild: Der Widerstand der Atomkraftgegner hat sich gelohnt: 2022 soll Schluss sein.
       
       BERLIN taz | Für das wirklich historische Datum hätte Angela Merkel noch
       zwei Wochen warten müssen: Vor zehn Jahren, am 11. Juni 2001, wurde in
       Berlin der rot-grüne Atomausstieg unterzeichnet. Nun legt die schwarz-gelbe
       Bundesregierung einen Plan vor, wie Deutschland im kommenden Jahrzehnt aus
       der Atomkraft aussteigen soll.
       
       Vom Zieldatum 2022 sind sich die Ausstiegspläne ähnlich, vom Verfahren her
       nicht. Denn wo es bei Rot-Grün eine langsame, stetige Abschaltung der AKW
       geben sollte, steht jetzt ein anderes Modell: Die Koalition legt 8 der 17
       deutschen AKW mehr oder weniger sofort still. Doch die übrigen neun bleiben
       bis 2021/22 am Netz. 
       
       So steht es in dem Kabinettsbeschluss von Union und FDP, der in der Nacht
       von Sonntag auf Montag im Kanzleramt gefasst wurde und der taz vorliegt.
       Sieben Monate nach der Laufzeitverlängerung für die angeblich sicheren
       deutschen Atomkraftwerke um durchschnittlich zwölf Jahre beschreibt das
       Papier die radikale Kehrtwende der Regierung Merkel in der Energiepolitik.
       
       Das Konzept setzt auf eine Energieversorgung, die langfristig ohne Atom
       auskommt, "Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit und
       Umweltverträglichkeit gewährleistet, ohne die Entscheidung zum Ausstieg aus
       der Kernenergie noch einmal infrage zu stellen" und eröffnet den Weg in
       eine Energiepolitik ohne Atom und Kohle.
       
       ## Reservekraftwerke gegen Stromausfälle
       
       So sollen die seit dem Moratorium vom März dieses Jahres abgeschalteten
       sieben ältesten AKW nicht mehr ans Netz gehen. Auch das AKW Krümmel bleibt
       abgeschaltet. Die Reststrommengen, die Krümmel und Mülheim-Kärlich noch
       hätten produzieren dürfen (zusammen 15 bis 18 Jahre), werden auf die
       restlichen neun Meiler verteilt. Um Stromausfälle zu vermeiden, sollen
       Reservekraftwerke am Netz gehalten werden - fossile Kraftwerke oder auch
       ein AKW in "Stand-by-Betrieb", wie es heißt. Diese Reserve gilt längstens
       bis Frühjahr 2013.
       
       Durch den Ausstieg fallen von 90 Gigawatt (GW) Stromleistung in Deutschland
       20 Gigawatt weg. 80 GW ist die "Spitzennachfrage an kalten Wintertagen". Um
       die "Versorgungssicherheit jederzeit und überall, auch unter extremen
       Bedingungen", zu gewährleisten, sollen fossile Kraftwerke bis zum Jahr 2013
       mit einer Leistung von 10 GW schnell fertiggestellt werden. Bis 2020 sollen
       noch einmal Kapazitäten von 10 Gigawatt geschaffen werden, ob fossil oder
       erneuerbar, ist unklar.
       
       Ein Netzausbaugesetz und ein neues Energiewirtschaftsgesetz sollen mehr und
       intelligente Netze und den Bau von Speichern vorantreiben.
       
       Um den Ausbau der erneuerbaren Energien "bezahlbar zu halten", soll die
       EEG-Umlage auf 3,5 Cent pro Kilowattstunde gedeckelt werden.
       Energieintensiven Industrien wie Aluminiumschmelzen oder Zementwerken wird
       eine jährliche "Kompensation von bis zu 500 Millionen Euro" versprochen,
       die aus dem Energie- und Klimafonds kommen sollen. Das Geld dafür wird aus
       der Versteigerung der Zertifikate aus dem Emissionshandel aufgebracht.
       
       ## Mehr CO2-Ausstoß, mehr Verschmutzungslizenzen
       
       Das deutsche Klimaziel (minus 40 Prozent bis 2020 gegenüber 1990) wird
       bekräftigt. Auch durch den Atomausstieg werden die CO2-Emissionen kaum
       steigen, da Deutschland in das europäische Emissionshandelssystem ETS
       eingebunden ist, in dem feste Obergrenzen definiert sind. Mehr CO2-Ausstoß
       in Deutschland bedeutet dann, dass mehr Verschmutzungslizenzen nachgefragt
       werden, deren Preis steigt, und das regt Investitionen in Klimaschutz an.
       
       Der Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromversorgung soll bis 2020
       von jetzt 17 auf 35 Prozent steigen. Zehn Offshore-Windparks will man
       errichten; insgesamt soll die Stromerzeugung vor der Küste bis 2030 auf 25
       GW ausgebaut werden - bislang stehen in ganz Deutschland Anlagen mit
       insgesamt 27 GW Kapazität. Der deutsche Stromverbrauch soll bis 2020 um 10
       Prozent sinken. In die energetische Sanierung von Gebäuden will die
       Regierung 1,5 Milliarden pro Jahr investieren.
       
       ## Ertrag aus Brennelementesteuer soll sinken
       
       Die Brennelementesteuer, die auf den nuklearen Brennstoff für die AKW
       erhoben wird, bleibt erhalten, um die Aufräumarbeiten im Endlager Asse II
       zu finanzieren. Medienberichten zufolge soll der jährliche Ertrag aus der
       Steuer durch den schnelleren Ausstieg allerdings von 2,3 auf 1,3 Milliarden
       Euro sinken.
       
       Eine jährliche Überprüfung ("Monitoring") soll den Ausstieg begleiten -
       allerdings nicht, wie von der Atomlobby gefordert, um im Notfall den
       Ausstieg zu bremsen, sondern um Hindernisse für die Abschaltung aus dem Weg
       zu räumen. Einmal im Jahr sollen Bundesbehörden und Ministerien über den
       Fortschritt beim Ausstieg berichten.
       
       Der Beschluss der Bundesregierung orientiert sich in weiten Teilen an den
       Empfehlungen der "Ethik-Kommission", die ihren Abschlussbericht am Montag
       ebenfalls vorstellte. Allerdings hatte die Kommission in Aussicht gestellt,
       "im besten Fall" könne "der Zeitraum des Ausstiegs von zehn Jahren verkürzt
       werden". Davon ist nicht mehr die Rede.
       
       Auch die politischen Forderungen der Ethik-Kommission erwähnt die
       Bundesregierung in ihrem Beschluss nicht. So hatten die 17 Experten
       angeregt, beim Bundestag einen "unabhängigen Parlamentarischen Beauftragten
       für die Energiewende" einzusetzen und in einem "Nationalen Forum
       Energiewende" die Bürgerinnen und Bürger an den Entscheidungen zu
       Kraftwerken und Netzausbau zu beteiligen. Dieser Anregung ist die
       Bundesregierung nicht gefolgt.
       
       30 May 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bernhard Pötter
       
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