# taz.de -- Kampf gegen Präsident Assad im Netz: Syriens Cyber-Partisan
       
       > Aus Beirut verbreitet Rami Nakhle Nachrichten übers Netz. Ohne Aktivisten
       > wie ihn wüsste niemand, was in Syrien geschieht. Der Geheimdienst ist ihm
       > auf der Spur.
       
 (IMG) Bild: Auf Twitter hat Rami Nakhle, der sich im Netz Malath Aumran nennt, über 5.800 Follower.
       
       Immer wenn er seinen Laptop öffnet, dringen Stimmen aus allen Ecken Syriens
       auf ihn ein. Fließend manövriert er zwischen den verschiedenen Fenstern,
       die sich auf seinem Bildschirm überlappen. Auf Twitter flackern Bilder von
       Massenprotesten vorüber: In der Stadt Hama füllt eine dichte Masse die
       Straße vor einer Moschee, die Leiche eines Demonstranten wird
       vorübergetragen: "Es gibt keinen Gott außer Gott", rufen die Menschen.
       
       Über Twitter, Skype und Facebook strömt eine Flut von Nachrichtenschnipseln
       herein. "Nach einem großen Protest am Nachmittag: Massenverhaftungen im
       Dorf Naima", schreibt Rami Nakhle, "Kerzenlichtwache heute Abend in
       Qamishli." Dann postet er das Video eines desertierten Soldaten, der von
       Rissen in der Armee berichtet.
       
       Rami Nakhle, 28 Jahre alt, ein Politikwissenschaftsstudent aus Damaskus,
       ist einer der prominenstesten Cyberaktivisten, die den Aufstand gegen das
       autoritäre Regime von Präsident Baschar al-Assad an der virtuellen Front
       vorantreiben. "Das Internet spielt für die Proteste eine Schlüsselrolle",
       sagt er in einem Interview über Skype. "Alles hat im Internet begonnen.
       Lange bevor die Menschen tatsächlich auf die Straße gegangen sind, haben
       wir angefangen, uns im Cyberspace zu vernetzen."
       
       Doch damit hat sich Rami Nakhle mächtige Feinde gemacht. Vor einigen
       Monaten ist er in der libanesischen Hauptstadt Beirut untergetaucht. Er
       versteckt sich bei Freunden, bleibt nie länger als ein paar Nächte an einem
       Ort. Er weiß, dass er auch im Libanon nicht sicher ist; der Einfluss der
       syrischen Sicherheitsdienste reicht weit in das kleine Nachbarland hinein.
       
       So wie schon in Tunesien und Ägypten filmen auch die Oppositionellen in
       Syrien ihre Proteste und verbreiten die Aufnahmen über soziale Netzwerke.
       Doch anders als in diesen beiden Ländern sind die Bilder aus dem Internet
       die einzigen, die überhaupt zeigen, was derzeit auf den Straßen Syriens
       geschieht. Ausländische Journalisten lässt das Regime nicht einreisen, alle
       einheimischen Medien stehen unter der Kontrolle des Staates. Die brutalen
       Repressionen haben dazu geführt, dass ein Stoßtrupp von Aktivisten im
       Ausland die Führung der Onlinebewegung übernommen hat. Sie sitzen nicht nur
       im Libanon, wie Rami Nakhle, sondern auch in den USA, in Kanada und in
       England.
       
       ## "Der Nachrichtenstrom wird dünner"
       
       Nakhle sammelt Nachrichten, überprüft die Beiträge, bündelt das Material
       und leitet es an internationale Journalisten weiter. Er war schon auf BBC,
       CNN, al-Dschasira. Damit ist Nakhle zu einer Art inoffiziellem Sprecher der
       Protestbewegung geworden. "Ich bin so gut wie 24 Stunden am Tag auf Skype
       in einer Dauerkonferenz mit den Leuten vor Ort", sagt er.
       
       Als die Armee ganze Dörfer und Städte von der Außenwelt abriegelte und
       Telefon- und Internetverbindungen unterbrach, gelang es ihm noch, an
       Informationen zu kommen. "Unsere Kontakte sind bisher nie ganz abgerissen",
       erzählt er. "Aber natürlich wird der Nachrichtenstrom dünner, wenn die Orte
       unter Belagerung stehen. Anstelle von zehn Kontakten haben wir dann nur
       noch den einen, der ein Satellitentelefon hat." Im Internet ist er unter
       dem Pseudonym Malath Aumran aktiv. Auf Facebook hat er über 4.000 Freunde,
       auf Twitter folgen ihm rund 5.600 User.
       
       Das, was sich derzeit in Syrien abspielt, ist auch ein Informationskrieg.
       Nach offizieller Darstellung werden die Sicherheitskräfte derzeit
       eingesetzt, um einen Aufstand islamistischer Extremisten, ausländischer
       Verschwörer und bewaffneter Banden niederzuschlagen. Doch die Aufnahmen der
       Aktivisten zeigen eine andere Wirklichkeit. Also sind Menschen wie Rami
       Nakhle zu einer ernst zu nehmenden Bedrohung für das Regime geworden.
       
       "Es ist ein Kampf um die Köpfe und die Herzen der Menschen, und das Regime
       hat ihn mit fliegenden Fahnen verloren", sagt Joshua Landis, Professor für
       Nahoststudien an der Universität Oklahoma und führender Syrienexperte.
       "Deswegen ist die Onlinebewegung von extremer Bedeutung für die Proteste."
       Vor allem jetzt, da der Westen über neue Sanktionen verhandelt, entfalte
       der Einfluss der Cyberaktivisten sein volles Potenzial, meint Landis:
       "Diese Leute stellen die Informationen bereit und formen damit die
       Botschaft, die derzeit aus Syrien kommt."
       
       ## "Die Opposition braucht Führungsfiguren"
       
       Entscheidend für den Erfolg sind nach Ansicht des Experten prominente
       Beispiele wie Rami Nakhle. Menschen wie er geben den Protesten ein Gesicht:
       "Das ist sehr wichtig, und die Opposition wird mehr in dieser Richtung tun
       müssen. Sie braucht Führungsfiguren, denn die breite Masse in Syrien will
       wissen, wer diese Leute sind, denen sie sich anschließen sollen."
       
       Längst ist auch der Geheimdienst auf Facebook und Twitter unterwegs. Zudem
       versuchen regimetreue User die Seiten der Dissidenten zu sabotieren. Sie
       nennen sich "syrische elektronische Armee" und agieren gegen Bezahlung oder
       aus Überzeugung. Wann immer Rami Nakhle Fotos oder Videos hochlädt,
       erscheinen Sekunden später auch hasserfüllte Kommentare darunter. "Das sind
       keine Demonstranten, sondern Terroristen", schreiben sie, oder: "Hör auf
       mit den Lügen, oder wir holen deine Schwester."
       
       Die Cybereinheit des Geheimdienstes wird immer besser darin, die
       elektronischen Spuren der Dissidenten zu verfolgen. "Wir wissen auch, dass
       sie in den Internetläden von Damaskus Hacker rekrutiert haben", sagt Rami
       Nakhle. "Zudem lassen sie sich von ausländischen Firmen beraten, wie sie
       die Proteste im Internet ersticken können."
       
       Dem Studenten fiel etwa vor drei Jahren auf, dass etwas nicht stimmt in
       seinem Land. Bis dahin glaubte er an die Propaganda, mit der er
       aufgewachsen war. "Ich bin nicht eines Morgens plötzlich als Dissident
       aufgewacht", sagt er. "Es war ein Prozess, der Schritt für Schritt ablief."
       Der Wendepunkt in seinem Leben kam, als eine gute Freundin von ihrem Bruder
       erschlagen wurde. Er kam mit einer sechsmonatigen Haftstrafe davon, weil
       die Gerichte die Tat als "Ehrenmord" einstuften. Nach diesem brutalen Akt
       der Gewalt begann Rami Nakhle, sich Fragen zu stellen.
       
       ## Profilbild auf Facebook aus 32 verschiedenen Männern
       
       Im Internet suchte er die Antworten, die er sonst nirgends finden konnte.
       Er lernte Proxy-Server zu benutzen, um auf verbotene Seiten zuzugreifen,
       und legte sich das Pseudonym zu. Sein Profilbild auf Facebook zeigt ein
       Porträt, für das Gesichter von 32 verschiedenen Männern verschmolzen worden
       sind. Dann schrieb er auf, was ihn bewegt, und veröffentlichte seine
       Gedanken in Blogs, Foren und Newslettern. "Anfangs ging es mir eher um
       soziale Themen, vor allem Frauenrechte", erinnert er sich. Erst allmählich
       wurde seine Kritik direkter, politischer. Schließlich sprach er sich offen
       gegen die Korrution und die Willkür des Regimes von Präsident Baschar
       al-Assad aus.
       
       Es dauerte nicht lange, bis "Malath Aumran" ins Visier des Geheimdienstes
       geriet. Die Fahdung zog sich immer enger um Rami Nakhle zusammen. Insgesamt
       40-mal wurde er zum Verhör geladen. Im Dezember erkannte er, dass er keine
       Wahl mehr hatte. Er ließ sich für 500 US-Dollar von Schmugglern auf einem
       Motorrad in den Libanon bringen.
       
       ## Sicherheitskräfte nutzen Profile als Falle
       
       "Diese Revolution hat keine Führung, das ist ja gerade das Schöne daran: Es
       ist ein wahrer Aufstand des Volkes", erkärt Nakhle. "Was wir tun, ist, die
       einzelnen Gruppen in den verschiedenen Städten zu koordinieren. Wir helfen
       ihnen dabei, in Kontakt zu bleiben." Das Regime setzt indessen weiterhin
       Armee und Geheimdienste ein, um die Protestbewegung niederzuschlagen. Immer
       wieder berichten Menschenrechtler, dass Demonstranten unter Folter
       gezwungen werden, ihre Facebook-Passwörter zu verraten.
       
       Dann nutzen die Sicherheitskräfte die Profile als Falle, um die Freunde der
       Gefangenen aufzuspüren. "Trotz all der Gewalt gehen die Menschen noch immer
       auf die Straße. Sie wissen, dass sie ihr Leben riskieren, doch sie
       demonstrieren weiter", meint Nakhle.
       
       "Wir können jetzt nicht einfach aufgeben. Denn sonst werden sie jeden
       Einzelnen holen, der sein Gesicht je bei einem Protest gezeigt hat."
       
       13 Jun 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Gabriela M. Keller
       
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