# taz.de -- Moderne Sklaverei: Frondienste beim Attaché
       
       > Erstmals kommt ein Diplomat vor Gericht, weil er eine Angestellte wie
       > eine Sklavin gehalten haben soll. Die Rechtslage ist kompliziert – wegen
       > der diplomatischen Immunität.
       
 (IMG) Bild: Die saudi-arabische Botschaft in Berlin.
       
       BERLIN taz | Als Dewi Ratnasari* frei kommt, weiß sie nicht, wie sich
       Schnee anfühlt oder wie man mit der U-Bahn fährt. Über ein Jahr soll sie
       ein saudischer Diplomat in seiner Berliner Wohnung gefangen gehalten haben.
       Dewi Ratnasari wurde geschlagen und beleidigt, musste auf dem Boden
       schlafen. Ihr Peiniger habe ihr den Namen "Scheiße" gegeben, auf Arabisch.
       Nun soll er sich als erster Diplomat dafür verantworten.
       
       Dewi Ratnasari ist Indonesierin, 30 Jahre alt. Ihr Schicksal ähnelt dem der
       Hasniati Hasniati*, deren Fall 2008 bekannt wurde und die viereinhalb Jahre
       lang die Sklavin eines jemenitischen Diplomaten war. Beide Frauen wurden
       misshandelt, physisch wie psychisch. Beide arbeiteten ohne Lohn sieben Tage
       die Woche bis zu 18 Stunden täglich.
       
       "Menschenhandel zur Ausbeutung der Arbeitskraft" nennen das die Juristen.
       Für Hasniatis "Arbeitgeber" blieb dieser Tatbestand folgenlos. Als Diplomat
       war er immun gegen Recht und Gesetz. 2009 hat er Deutschland unbehelligt
       verlassen.
       
       An dieser Stelle enden die Gemeinsamkeiten, denn Dewi Ratnasaris Schicksal
       soll vor Gericht verhandelt werden. Zum ersten Mal soll die Frage, was mehr
       wiegt, Menschenrecht oder diplomatische Immunität, zugunsten des
       Menschenrechts beantwortet werden.
       
       ## Nur weg, ganz weit weg
       
       Als Dewi Ratnasari Ende Oktober 2010 entkommt, will sie nur weg. Sie will
       kein Geld, im ersten Moment auch keine Gerechtigkeit. Sie will nur nie
       wieder zurück in das Haus in Berlin. Inzwischen lebt Dewi Ratnasari wieder
       in Indonesien. Für ihre Gerechtigkeit kämpfen jetzt andere. Da ist Nivedita
       Prasad von der Berliner Beratungsstelle "Ban Ying", die sich seit Jahren
       für Opfer moderner Sklaverei einsetzt. Sie hatte schon Hasniati Hasniati
       betreut, und auch für Dewi Ratnasari war sie nach der Flucht der engste
       Kontakt.
       
       Nivedita Prasad ist diejenige, die die Geschichte von Frau Ratnasari und
       Herrn A., wie sie den Diplomaten nennt, erzählt. "Wir haben geprüft, was
       wir prüfen konnten, und ich würde nie mit einer Geschichte an die
       Öffentlichkeit gehen, an der ich nur im Geringsten zweifle."
       
       Ratnasaris Geschichte als Sklavin beginnt 2009 in Saudi-Arabien. Über eine
       Rekrutierungsagentur lernt sie Herrn A. kennen, Attaché der
       saudi-arabischen Botschaft, der sie mit nach Berlin nehmen will. Ratnasari
       unterschreibt einen Vertrag, der ihr den seit 2004 in Deutschland
       vorgeschriebenen Mindestlohn für Hausangestellte von Diplomaten zusagt: 750
       Euro monatlich für 40 Wochenstunden, dazu einen Monat Jahresurlaub. Doch
       der Vertrag ist in einer Sprache geschrieben, die sie nicht versteht.
       Monatlichen Lohn, so wird es die Indonesierin später erzählen, habe sie nie
       bekommen.
       
       Ab April 2009 arbeitet Dewi Ratnasari täglich ab 6 Uhr für die
       siebenköpfige Familie des Diplomaten. Sie putzt, kocht, geht der gelähmten
       Ehefrau zur Hand, zieht den jugendlichen Töchtern die Schuhe an und betreut
       die kleineren Kinder, in deren Zimmer sie auf dem Boden schläft. Sie
       bekommt keinen Urlaub, darf das Haus nicht ohne Aufsicht verlassen und
       keinen Kontakt zu ihrer Familie halten.
       
       ## Man werde sie finden und dann töten
       
       Eine Besucherin, die sie um Hilfe bittet, erzählt das dem Diplomaten. Es
       folgen körperliche Misshandlungen. Man werde sie finden und dann töten,
       habe A. für den Fall einer Flucht gedroht. 19 Monate hält Ratnasari aus.
       Als man ihr eine Flasche an den Kopf wirft, flieht sie im Oktober 2010 mit
       Unterstützung von zwei Helfern. Zwei Wochen später bringen die sie zu
       Nivedita Prasad von "Ban Ying".
       
       Bei Hasniati Hasniati hatte die jemenitische Botschaft eingelenkt und sie
       zumindest für den nicht gezahlten Lohn entschädigt. Auch im aktuellen Fall
       habe es Gespräche zwischen Auswärtigem Amt, saudischer Botschaft und
       Vertretern von Dewi Ratnasari gegeben, sagt Nivedita Prasad. 15.000 Euro
       beträgt allein der Mindestlohn, der der Indonesierin zusteht. Während der
       Diplomat die Vorwürfe bestreite und sich auf seine Immunität berufe, soll
       seine Botschaft 6.000 Euro als Entschädigung angeboten haben. "Eine
       Unverschämtheit", sagt Nivedita Prasad.
       
       Dewi Ratnasari könnte in Saudi-Arabien vor Gericht ziehen – theoretisch.
       Doch als Frau und ausländische Hausangestellte ist ihr der Zugang faktisch
       verwehrt. Und so traten weitere Menschen an ihre Seite, die Gerechtigkeit
       und eine Grundsatzentscheidung anmahnen: Das deutsche Institut für
       Menschenrechte, das mit dem Projekt "Zwangsarbeit heute" Musterverfahren
       finanziert; die Frauen- und Arbeitsrechtlerin Heide Pfarr, die für die
       inzwischen heimgekehrte Ratnasari als Klägerin auftritt, und Klaus
       Bertelsmann, der sie als Anwalt vertritt.
       
       Vor dem Arbeitsgericht klagen sie auf Zahlung von 15.000 Euro Lohn, 16.000
       Euro für Überstunden und 40.000 Euro Schmerzensgeld. Außerdem hat Ratnasari
       Strafanzeige wegen Menschenhandel zur Arbeitsausbeutung gestellt.
       
       Beim ersten Prozesstermin vor zwei Wochen fehlte Herr A. Er sei kurzfristig
       mitsamt Familie für zwei Monate verreist, erzählt Anwalt Klaus Bertelsmann.
       A.s Verteidiger wies die Vorwürfe als haltlos zurück. Es kam ohnehin zu
       keiner Verhandlung. Das Arbeitsgericht Berlin hat die Klage wegen der
       Immunität des Diplomaten abgewiesen
       
       ## Im Zweifel nach Karlsruhe
       
       "Wir bereiten die Berufung vor", sagt Bertelsmann, der im Zweifel bis zum
       Bundesverfassungsgericht oder bis zum Europäischen Gerichtshof für
       Menschenrechte klagen will. Seine Begründung: Der Staat dürfe zwar auf
       seinen eigenen Strafanspruch zugunsten der Immunität verzichten. Aber er
       dürfe nicht Opfer schwerster Menschenrechtsverletzungen ihrer Ansprüche
       enteignen.
       
       Die aktuelle Klage, so Bertelsmann, sei "die große Chance, eine so
       unhaltbare Norm in Frage zu stellen" - auch für die Richter. Die nächste
       Chance haben die Richter am Landesarbeitsgericht Berlin. (*Namen geändert)
       
       27 Jun 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Manuela Heim
       
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