# taz.de -- Als Sexsklavin nach Asien verschleppt: Sarah hat noch Angst
       
       > Sie träumen von Europa – und enden als Zwangsprostituierte in Asien. Nun
       > konnten 14 junge Uganderinnen aus den Fängen eines Menschenhändlerrings
       > gerettet werden.
       
 (IMG) Bild: Die Hände einer der ugandischen Frauen, die nach Malaysia verschleppt wurden. Ihr Gesicht zeigen will keine von ihnen.
       
       KAMPALA taz | Sarah hat Angst. Das sieht man auf den ersten Blick. Die
       Uganderin kratzt am Lack ihrer dunkelrot angemalten Fingernägel. Unruhig
       rutscht die Mitte 20-Jährige in dem großen Ledersessel auf der Veranda
       eines luxuriösen Hauses in Ugandas Hauptstadt Kampala herum. Sie sieht
       abgemagert aus, hat Schatten unter ihren eingefallen Augen.
       
       „Ich weiß, dass sie nach mir suchen, und sie wissen, wo ich wohne“,
       flüstert Sarah, während sie die Hautfetzen an ihren Fingernägeln abpuhlt,
       bis die Finger bluten. Sie traut sich nicht nach Hause, versteckt sich
       nachts bei Freundinnen.
       
       Tagsüber sitzt sie auf der sicheren Veranda der malaysischen
       Honorarkonsulin in Uganda, Hajah Noraihan – Sarahs Retterin vor einem Leben
       als Sexsklavin in Asien.
       
       Sarah ist erst seit wenigen Wochen zurück in ihrer Heimat – nach einem
       Horrortrip nach Malaysia. Dabei hatte sie von einem gutbezahlten Job in
       Europa geträumt. „Man hatte mir eine Stelle als Serviererin in einem
       Restaurant versprochen“, erzählt sie. „Doch das war eine Lüge.“
       
       ## Jahrelang arbeitslos
       
       Sarah ist nicht ihr richtiger Name und sie will nicht, dass ihre
       Horrorgeschichte in Einzelheiten erzählt wird. Jedes Detail könnte sie
       verraten. Aber ihre Geschichte ähnelt der von weiteren 13 jungen Frauen,
       die Honorarkonsulin Noraihan in den vergangenen drei Monaten nach Uganda
       zurückgebracht hat.
       
       „Ich war jahrelang arbeitslos“ – so beginnen fast alle 14 Aussagen, die der
       taz schriftlich vorliegen. Auch die schlanke Sarah hatte nach ihrem
       Schulabschluss nach einem Job gesucht. In Kneipen, Internetcafés,
       Bekleidungsgeschäften. Vergeblich.
       
       Einige der jungen Frauen hatten in Kampalas Einkaufszentren ausgehängte
       Flyer entdeckt, auf denen mit Jobs in Asien geworben wird. Andere
       vertrauten den Versprechungen von Bekannten, Freunden oder Nachbarn.
       
       „Es war eine ugandische Frau, die mich angeworben hat, warum hätte ich
       etwas Schlimmes vermuten sollen?“, berichtet Sarah. Heute weiß sie, dass
       dies eine Taktik des Schmuggelrings ist, um Vertrauen aufzubauen. „Die Frau
       sagte, ihre Schwester habe in Europa ein Restaurant, wo ich arbeiten soll“,
       erzählt sie. Über 300 US-Dollar könne sie dort monatlich verdienen.
       
       Sarah war vorher noch nie im Ausland. Sie saß auch noch nie in einem
       Flugzeug. Sie besaß nicht einmal einen Reisepass, für dessen Ausstellung
       sie sich Geld von Verwandten leihen musste.
       
       ## „Ich sollte doch nach Europa“
       
       Die ominöse Uganderin fuhr Sarah zum Flughafen, drückte ihr ein Ticket in
       die Hand und ließ sie einen Vertrag unterzeichnen: Sie würde alle
       Reisekosten im Wert von 7.000 Dollar abarbeiten. Sarah unterschrieb.
       
       „Als das Flugzeug in Malaysia landete, war ich verwirrt“, gibt Sarah zu:
       „Ich sollte doch nach Europa.“ In ihrer Verzweiflung rief sie eine Nummer
       an, die sie erhalten hatte. Es meldete sich eine Uganderin, die sie mit
       einem Taxi abholen ließ – die Schwester der Frau, die sie rekrutiert hatte.
       Die dickleibige Dame mit blond eingefärbten Locken stellte sich selbst als
       „Winnie“ und ihren nigerianischen Ehemann als „AGK“ vor.
       
       ## Ohne Pass in der Falle
       
       Die beiden steckten Sarah mit zehn weiteren Frauen aus Uganda in ein
       Apartment in den Mentari Courts, eine Wohnsiedlung in Kuala Lumpur. Winnie
       händigte ihr Miniröcke und bauchfreie Tops aus: „Dein Job im Restaurant ist
       nicht Essen zu servieren, sondern dich selbst.“
       
       Sie nahm ihr den Pass ab. Sarah saß in der Falle – und nicht nur sie: „Die
       Wohnsiedlung waren voller Frauen“, berichtet Sarah, „das waren Hunderte
       Uganderinnen und Nigerianerinnen.“
       
       Jeden Abend mussten sie ihre Schichten antreten, in Hotels oder Kneipen –
       oder die Männer wurden ihnen direkt ins Apartment geschickt, drei bis fünf
       pro Nacht.
       
       Sarah arbeitete im Station One, einem In-Lokal, berühmt für seine
       Hühnchen-Nudeln und Livebands. Wie Sarah, so bestätigen auch die anderen
       Frauen: „Die Freier waren ausschließlich Nigerianer, die in Malaysia
       Geschäfte machen.“
       
       Während Sarah erzählt, flüstert im Garten Konsulin Noraihan mit Vertretern
       von Ugandas Präsident Yoweri Museveni. Er hat Ermittler geschickt. „Wir
       nehmen die Anschuldigungen des Menschenhandels sehr ernst“, erklärt deren
       Chef. Der Präsident wolle Noraihan und die betroffenen Frauen persönlich
       sprechen.
       
       ## Im Haus versteckt
       
       Die Honorarkonsulin wurde unfreiwillig verwickelt. „Eines Tages standen
       diese armen Mädchen vor meiner Tür“, erzählt sie. Damals war sie selbst in
       Malaysias Hauptstadt. Wochenlang hat sie sie in ihrem Haus in Kuala Lumpur
       versteckt, sie versorgt, ihre Aussagen aufgenommen und schließlich Geld von
       der Internationalen Organisation für Migration (IOM) beschafft, um
       Flugtickets nach Uganda zu kaufen. Persönlich hat sie Sarah und weitere 13
       Frauen nach Kampala begleitet und die Polizei informiert.
       
       Noraihan zeigt Fotos auf ihrem Computer: Im zerrissenen grünen Trägershirt
       liegt eine junge Frau in einer Blutlache auf dem Asphalt. „Man hat sie vom
       Balkon geworfen“, erklärt Noraihan.
       
       Sie klickt weiter: Halbnackt liegt eine Frau auf dem Bett. Ihr Bauch ist
       aufgeschlitzt, die Gedärme quellen heraus. „Wenn sie sich weigern, werden
       sie gefoltert“, so Noraihan.
       
       Es gebe nur einen Weg, diese Verbrechen zu stoppen, sagt die resolute
       Malaysierin: Aufklärungsarbeit an der Quelle, also in Uganda selbst.
       
       ## Menschenhandel ist Chefsache
       
       „Jede Mutter, jeder Vater, jede Schwester oder Tante in Uganda muss wissen,
       dass sie ihre Mädchen nicht einfach so ins Ausland verschicken dürfen“,
       rügt sie und greift zum Telefon, das alle paar Minuten klingelt:
       Polizeikommandeur Asan Kasingye ist dran, Direktor von Interpol in Uganda,
       der eine Menschenschmuggel-Einheit einrichten will.
       
       In seinem Büro in Kampalas Innenstadt sitzt Kasingye in feiner Uniform
       hinter seinem aufgeräumten Schreibtisch. Familienfotos hängen neben
       Plaketten an der Wand. Der Offizier ist erst seit drei Monaten im Amt –
       aber er hat den Menschenhandel zur Chefsache erklärt.
       
       „Wir müssen verhindern, dass unsere Frauen dieser modernen Art von
       Sklaverei zum Opfer fallen“, erklärt er und listet die ersten Erfolge
       seiner Ermittlungen auf. Vor wenigen Minuten erst hat er Einheiten
       entsendet, Verhaftungen durchzuführen. „Wir haben Spuren, wo und von wem
       die Frauen rekrutiert werden“, nickt er.
       
       ## Erste Verhaftungen
       
       „Es ist ein globaler Schmuggelring, dem in Kampala einige Ugander
       zuarbeiten“, sagt Kasingye und zeigt Statistiken: Von 2008 bis Mitte 2011
       gab es rund 50 Fälle, bei welchen ugandische Frauen außer Landes
       verschleppt wurden. Von August 2011 bis jetzt schätzt Kasingye, dass 600
       Uganderinnen allein nach Malaysia gebracht wurden.
       
       Zwischen Malaysia und Uganda besteht Visumfreiheit – ein Schlupfloch, das
       die Schmuggler ausnutzen. Zielländer seien aber auch Indien, China,
       Thailand, Indonesien oder die Arabischen Emirate – eben überall dort in
       Asien, wo sich aufgrund der rasanten Wirtschaftsentwicklung afrikanische
       Geschäftsmänner niederlassen, die sich dann nach afrikanischen Frauen
       verzehren.
       
       ## Betroffen sind Tausende
       
       Es seien auch Kenianerinnen, Ruanderinnen und Kongolesinnen dabei, so
       Kasingye: „Wir sprechen von Tausenden Ostafrikanerinnen, die monatlich den
       Menschenhändlern ins Netz gehen.“
       
       Die Aussagen der rückgeführten Frauen ergeben erste Hinweise über die
       Zusammensetzung des Rings. „Sie werden von Landsleuten rekrutiert und dann
       der nigerianischen Mafia übergeben“, erklärt der Interpol-Chef, der mit
       Kollegen in Asien und Westafrika Kontakte aufgenommen hat.
       
       Die Nigerianer würden mit den Frauen auch Drogen nach Asien schmuggeln wie
       Kokain und Methamphetamin, bekannt als „Ice“ oder „Chrystal Meth“. „Wir
       haben es hier mit einem weltweit agierenden kriminellen Netzwerk zu tun“,
       nickt Polizeikommandeur Kasingye.
       
       ## Spurensuche in Uganda
       
       Um den Verbrechern das Handwerk zu legen, muss er in Uganda aufräumen. Eine
       Spur führt in die Migrationsbehörde, wo offenbar unter der Hand Reisepässe
       ausgestellt wurden. „Jemand dort ist wohl bestechlich“, gibt Kasingye zu.
       Andere Spuren führen in die zahlreichen Büros in Kampala, die Studienplätze
       und Studentenvisa in Asien vermitteln.
       
       Es seien jedoch nicht ganze Institutionen verwickelt, sondern
       Einzelpersonen, die sich „nebenher etwas dazuverdienen“, so Kasingye und
       haut auf den Tisch: „Wir müssen diese Quelle austrocknen.“ Kasingye wünscht
       sich ein Ermittlungsbüro für ganz Ostafrika.
       
       Sarah braucht erst einmal Schutz. Als sie von ihrem Ledersessel aufsteht,
       um mit den Ermittlern von Präsident Museveni zu sprechen, zittern ihre
       Hände. Sie hat Drohanrufe erhalten: Die Schamhaare der Frauen seien von
       Hexenmeistern mit einem Voodoo-Zauber belegt worden. Dies sei Humbug, um
       sie einzuschüchtern, weiß Sarah. Angst hat sie trotzdem.
       
       6 Mar 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Simone Schlindwein
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Syrien
 (DIR) Schwerpunkt Feministischer Kampftag
       
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