# taz.de -- Handyskandal in Dresden: Polizeipräsident gestoppt
       
       > Der erste Kopf rollt. Sachsens Innenminister hat überraschend Dresdens
       > Polizeichef Hanitsch abberufen. In Regierungskreisen spricht man von
       > einem Bauernopfer.
       
 (IMG) Bild: Sondersitzung des Innen- und Rechtsausschusses: Vor dem Dresdner Landtag demonstrierten am Montag Bürger gegen die massenhafte Speicherung von Handydaten.
       
       BERLIN taz | Von einem Bauernopfer spricht die Opposition, und selbst in
       der Regierungskoalition wird über den personellen Schnellschuss gelästert.
       Der Dresdner Datenskandal hat eine erste personelle Konsequenz. Sachsens
       Innenminister Markus Ulbig (CDU) hat am Montagvormittag überraschend den
       Dresdner Polizeipräsidenten Dieter Hanitsch abberufen.
       
       Ulbig erklärte am Rande einer Sondersitzung des Innen- und
       Rechtsausschusses, er habe sich im Zusammenhang mit der [1][massenweisen
       Handyüberwachung am 19. Februar] schlecht informiert gefühlt. Hanitsch wird
       allerdings nicht entlassen, sondern versetzt. Ab sofort soll er die
       Landespolizeidirektion Zentrale Dienste leiten.
       
       Die Opposition in Sachsen übt heftige Kritik an diesem plötzlichen
       Personalwechsel. Von einem "schäbigen Bauernopfer" spricht etwa die
       SPD-Abgeordnete Sabine Friedel. "Die Abberufung von Hanitsch ist eine
       Frechheit und zugleich ein Eingeständnis des Innenministers", sagte sie der
       taz.
       
       Dass Innenminister UIbig und Landespolizeipräsident Bernd Merbitz die
       Verantwortung jetzt auf die untere Ebene abschieben, sei "höchstgradig
       unanständig und schäbig". Es sei taktisch und politisch unklug, zu Beginn
       einer langwierigen Aufklärung der Vorgänge jetzt personelle Konsequenzen zu
       ziehen.
       
       ## Trotz Abberufung eine Aufklärung verlangt
       
       Die Grünen fordern, dass die Abberufung von Hanitsch die Aufklärung der
       Ausspähung von Handydaten nicht verhindern darf. "Es verstärkt sich mein
       Eindruck, dass die Funkzellenabfrage nur die Spitze des Eisbergs ist und
       nur zugegeben wird, was die Öffentlichkeit bereits weiß", sagte Johannes
       Lichdi, rechtspolitischer Sprecher der Grünen-Landtagsfraktion.
       
       Die Linkspartei forderte weitere Konsequenzen. Selbst in sächsischen
       Regierungskreisen war am Montag von einem Bauernopfer die Rede. "Einer
       musste jetzt gehen", sagte ein Abgeordneter der Regierungskoalition der
       taz.
       
       Trotz der Abberufung des Dresdner Polizeichefs verteidigte Innenminister
       Ulbig auch am Montag die Auswertung hunderttausender Handydaten als
       verhältnismäßig. Bei den Antinaziprotesten sei es zu schweren
       Gewaltdelikten gegen die Polizei gekommen. Die Funkzellenauswertung diene
       zu deren Aufklärung, sagte Ulbig am Rande einer Sondersitzung des Innen-
       und Rechtsausschusses.
       
       Über sieben Stunden saßen die Abgeordneten der beiden Ausschüsse am Montag
       im Dresdner Landtag bei der nichtöffentlichen Sitzung zusammen. Nur sehr
       zäh sollen die verantwortlichen Minister und der sächsische Polizeichef auf
       die Fragen der Opposition geantwortet haben. Wirklich Neues zur Erfassung
       und Speicherung von über einer Millionen Handyverbindungsdaten rund um den
       19. Februar sei nicht bekannt geworden.
       
       ## Anrufe, SMS und Position gespeichert
       
       Auf die Frage, ob am Tag der Antinaziproteste gar eine Erfassung von
       Handydaten in Echtzeit erfolgte, soll ausweichend geantwortet worden sein.
       Für die Polizei Dresden könne dies ausgeschlossen werden, nicht aber für
       andere Behörden, sollen Innenminister und Landespolizeichef laut
       Teilnehmern gesagt haben. 
       
       Wie die taz am vergangenen Montag aufgedeckt hatte, hat die Polizei in
       Dresden vom 19. Februar 2011 eine sogenannte Funkzellenauswertung
       vorgenommen. Dabei wurden in der Dresdner Südvorstadt im Nachhinein alle
       ein- und ausgehenden Anrufe und Kurzmitteilungen sowie die Position der
       Handynutzer ermittelt und gespeichert.
       
       ## Behörde hatte Fehler eingeräumt
       
       Die Inhalte der Kommunikation betraf diese Maßnahme nicht. Von diesem Tag
       wurden knapp [2][140.000 Verbindungsdaten] von rund 65.000 verschiedenen
       Mobiltelefonen erfasst. Betroffen waren Demonstranten und Anwohner aber
       auch Journalisten, Politiker und Anwälte. Bundesweit wurde daraufhin über
       die Zulässigkeit einer solchen [3][massenhaften Datenabfrage diskutiert].
       Datenschützer übten heftige Kritik.
       
       Im Laufe der Woche wurde dann bekannt, dass die Datensammelwut der Dresdner
       Behörden noch weit größere Ausmaße hatte. So ermittelten die Behörden in
       einer zweiten Funkzellenauswertung noch einmal [4][knapp 900.000
       Verbindungsdaten] vom 18. und 19. Februar - wegen Verdachts auf Bildung
       einer kriminellen Vereinigung. Es wird gemutmaßt, dass es sich dabei um
       Ermittlungen gegen mögliche Linksextreme in Dresden handeln soll. Offiziell
       wurde dazu bisher nichts bekannt.
       
       Am Freitag hatten die Behörden erstmals Fehler eingeräumt. So wurden in 45
       Fällen auch Handydaten in Ermittlungen gegen Blockierer genutzt. Die
       Staatsanwaltschaft hatte dieses Vorgehen gestoppt. Sachsens
       Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) hatte am Freitag kritisiert, dass
       die Justizbehörde zu spät eingegriffen habe.
       
       27 Jun 2011
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /1/politik/schwerpunkt-ueberwachung/artikel/1/mal-eben-ausgespaeht/
 (DIR) [2] /1/politik/schwerpunkt-ueberwachung/artikel/1/138000-handy-datensaetze-ausgespitzelt/
 (DIR) [3] /1/politik/deutschland/artikel/1/riesiger-datenpool/
 (DIR) [4] /1/politik/schwerpunkt-ueberwachung/artikel/1/offenbar-ganz-dresden-ueberwacht/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Paul Wrusch
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Überwachung
 (DIR) Schwerpunkt Überwachung
 (DIR) Schwerpunkt Überwachung
 (DIR) Schwerpunkt Überwachung
 (DIR) Schwerpunkt Überwachung
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Folgen des Handy-Skandals in Dresden: Datensammeln soll erschwert werden
       
       Nach dem Datenskandal in Dresden sollen die Gesetze geändert werden. Die
       Opposition, die Bundes-FDP und Sachsens Regierung sind dafür - die CDU
       mauert noch.
       
 (DIR) Handyüberwachung Dresden: Datenspur auf der Autobahn
       
       Erst die Handydaten, dann Details über Demonstranten: Sachsens
       Innenminister Ulbig hält die verdachtsunabhängige Massenerhebung unter
       Busunternehmen für völlig unbedenklich.
       
 (DIR) Dresdner Handy-Skandal: Innenminister täuscht die Öffentlichkeit
       
       Zuerst wurde der Polizeichef abgesetzt - nun fordert die Opposition auch
       den Kopf des sächsischen Innenministers. Die Linkspartei will eine
       Sondersitzung einberufen.
       
 (DIR) Dresdner Handyüberwachung: Gespräche mitgehört?
       
       Der Polizeipräsident geht, neue Details kommen. Der sächsische
       Innenminister kann nicht ausschließen, dass bei der Überwachung auch
       Telefonate mitgeschnitten wurden.
       
 (DIR) Kommentar Datenskandal in Dresden: Die Lehren aus dem Skandal
       
       Dresden sollte ein Anlass sein, über die Vorratsdatenspeicherung zu
       debattieren. Denn wie viel Freiheitseinschränkung nehmen wir hin und wie
       viel Sicherheit bekommen wir dafür?
       
 (DIR) Gespeicherte Handydaten: Offenbar ganz Dresden überwacht
       
       Es werden immer mehr: Das sächsische Innen- und Justizministerium räumt die
       Erfassung von über 1.000.000 Mobilfunk-Verbindungsdaten ein.
       
 (DIR) Handy-Überwachung bei Demos: Berlin fischt keine Demo-Daten
       
       Anders als die Kollegen in Dresden hat die Berliner Polizei bei
       Demonstrationen noch keine Funkzellenauswertungen durchgeführt.
       
 (DIR) Kommentar Handyüberwachung in Dresden: Daten wecken Begehrlichkeiten
       
       Der Zugriff auf einen Datenpool wie in Dresden muss richterlich genehmigt
       werden. Deshalb ist eine schnelle Änderung der Strafprozessordnung zwingend
       notwendig.