# taz.de -- Iranischer Film "Nader und Simin": Ein schwebendes Verfahren
       
       > Asghar Farhadis Film "Nader und Simin - Eine Trennung" lässt die
       > widerstreitenden Interessen seiner Figuren aufeinanderprallen. Und das
       > mit Wucht.
       
 (IMG) Bild: Das Ehepaar vor der Kamera als Scheidungsrichter: Er will bleiben, sie will weg.
       
       Die erste Einstellung von Asghar Farhadis Film "Nader und Simin - Eine
       Trennung" könnte signifikanter nicht sein: Das Ehepaar, von dem hier
       erzählt wird, sitzt einem Richter gegenüber. Simin, die Frau, versucht
       ihren Standpunkt klarzumachen. Sie möchte das Land verlassen, sie glaubt,
       dafür gute Gründe zu haben. Die gemeinsame Tochter möchte sie mitnehmen.
       Nader möchte im Iran bleiben, nicht zuletzt seines Vaters wegen, der an
       Alzheimer leidet und der Betreuung bedarf.
       
       An der Stelle, an der für das Paar der Scheidungsrichter sitzt, ist in
       Wirklichkeit die Kamera. Und das sagt sehr viel über das Erzählinteresse
       dieses Films aus, dem es nicht so sehr um Entscheidungsinstanzen geht,
       sondern um Aspekte der Anhörung, der Appellation, der Vermittlung von
       Standpunkten. Man könnte von einem schwebenden Verfahren sprechen, in dem
       es um die Situation der iranischen Gesellschaft insgesamt geht. Nader
       (Peyman Moadi) und Simin (Leila Hatami) werden auf sich selbst
       zurückverwiesen, ihre Scheidungssache wird nicht entschieden, sie müssen
       selbst sehen, was sie daraus machen.
       
       Vorerst führt das einmal nur dazu, dass Simin auszieht. Sie geht zurück zu
       ihrer Familie, die Tochter Termeh führt für eine Weile das Leben eines
       Scheidungskinds. Für die Pflege seines Vaters engagiert Nader eine Frau aus
       einem entfernten Viertel Teherans: Razieh gehört einer anderen Schicht an,
       sie lässt bald erkennen, dass sie in Schwierigkeiten steckt, ihr Mann hat
       Schulden, sie ist schwanger, die Arbeit mit dem alten Mann stellt sie vor
       moralische Probleme, auf die es in der islamischen Tradition nicht immer
       eindeutige Antworten gibt.
       
       Und so entwickelt sich fast unmerklich ein Drama von zunehmend bedrängender
       Wucht, das um eine Schlüsselszene kreist, in der Nader Razieh einen Schubs
       gibt, um sie aus der Wohnung zu werfen: Sie hat seinen Vater allein
       gelassen, das hat zu einer kritischen Situation geführt, er wähnt sich im
       Recht und geht doch ein bisschen zu weit. Auf diese Nuancen kommt es an,
       denn hier sind die Spielräume, in denen jemand wie Hodjat, der Ehemann von
       Razieh, die Chance auf eine Kompensation erkennt, die den sozialen
       Unterschied zwischen den Familien zwar nicht aufhebt, die aber zumindest
       eine kleine Umverteilung schafft. Hier wie auch an anderer Stelle von
       "Nader und Simin" geht es um einen Ausgleich an den öffentlichen
       Institutionen vorbei und um die Krise der Gerechtigkeit, die daraus
       entsteht.
       
       ## In der Rolle des Richters
       
       Asghar Farhadi zeigt all das so, wie man es aus vielen iranischen Filmen
       gewohnt ist: mit einer "objektiven" Kamera, die vornehmlich in Totalen oder
       Halbtotalen aufnimmt, was sich zuträgt. Jedes Moment im Bild, jedes
       Dialogpartikel, jeder Blick ist von Bedeutung, kann zu einem Indiz werden
       in einem Film, in dem dem Publikum zunehmend tatsächlich die Rolle eines
       "Richters" zufällt. Denn es gibt viele berechtigte Ansprüche hier, und es
       ist ungeheuer spannend, dabei zuzusehen, wie sie allmählich immer
       schwieriger miteinander zu vermitteln sind, bis Nader schließlich in einer
       brillanten Szene eine unerwartete Verschärfung der Situation bewirkt.
       
       Asghar Farhadi hat für "Nader und Simin - Eine Trennung" im Februar den
       Goldenen Bären der Berlinale erhalten. Wenn man das tagespolitische Element
       dieser Entscheidung abzieht, dann bleibt davon die schlichte Anerkennung
       der Tatsache, dass das iranische Kino in einer schwierigen Situation
       neuerlich einen großen Erzähler gefunden hat: Nach der (inneren wie
       künstlerischen) Emigration von Abbas Kiarostami und dem Berufsverbot für
       Jafar Panahi macht Farhadi dort weiter, wo Kiarostami mit "Close-up" und
       Panahi mit "Crimson Gold" entscheidende Wegmarken eines immer noch
       postrevolutionären Kinos gesetzt haben.
       
       Es geht auch dreißig Jahre nach 1979 darum, was der Volksaufstand von
       damals dem Volk gebracht hat. Was bei "Nader und Simin" neu hinzukommt, ist
       ein ausgeprägter Sinn für die potenzielle Tragik von unvermittelter
       Gesellschaftlichkeit als solcher. Die Figuren in diesem Film sind
       aufeinander verwiesen, weil es für ihren Fall keine Appellationsinstanzen
       gibt. Der Streit ist gewichtig, aber er findet unterhalb der
       Wahrnehmungsschwelle der Allgemeinheit statt.
       
       Das Kino registriert hier das, woraus erst Politik werden kann: Aus
       Interessen und Haltungen, aus Ressentiments und Religiosität, aus Liebe und
       Armut ergibt sich eine Situation, die potenziell alles in sich begreift.
       "Es ist ernst geworden", sagt Nader an einer Stelle zu seiner Tochter.
       Dieser Ernst bekommt in "Nader und Simin" eine Form, die das Kino
       tatsächlich auf die Höhe einer "vierten Gewalt" bringt.
       
       13 Jul 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bert Rebhandl
       
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