# taz.de -- Proteste in Syrien: In der Gewalt des Regimes
       
       > Etwa 10.000 Menschen sollen in Syrien seit Beginn der Proteste
       > verschwunden sein. Zwei zeitweilig verhaftete Männer berichten von
       > brutaler Folter durch den Geheimdienst.
       
 (IMG) Bild: Neue Proteste gegen Assad in Deir al-Zour, im Osten Syriens.
       
       Ein Syrer, der sich seinem Staat entgegenstellt, muss mit allem rechnen.
       Denn die Geheimdienste werden ihn finden. Sie werden ihn einsperren, sein
       Gesicht blutig schlagen, seine Knochen brechen, seine Haut verbrennen. Sie
       werden alles tun, ihm seine Würde zu nehmen. Wenn nötig, werden sie ihn
       töten. Sie können tun, was sie wollen, und das wissen sie.
       
       Deswegen war Sami darauf gefasst, dass es schwer für ihn werden kann.
       "Meine Eltern haben mir beigebracht, mich nicht zu fürchten", sagt er
       heute, rund drei Monate nach seiner Freilassung. Sie haben ihn am 16. März
       erwischt bei einer Demonstration im Zentrum von Damaskus. Einen Monat
       verbrachte er in der Gewalt eines der gefürchtetsten Zweige des syrischen
       Geheimdienstes.
       
       Sami spricht in kurzen, sachlichen Sätzen. Er beschreibt seine Haftzeit in
       einem Interview über Skype. Sein richtiger Name muss verschwiegen werden,
       um ihn zu schützen. Was er sagt, lässt sich nicht unabhängig prüfen. Nach
       wie vor dürfen kaum Journalisten nach Syrien einreisen. Doch seine
       Geschichte deckt sich mit den Informationen verlässlicher
       Menschenrechtsorganisationen.
       
       ## Sie wollten Informationen, vor allem Namen
       
       Sami sagt, wann immer sie ihm Stromschläge verpassten, rief er sich Bilder
       von seinen besten Freunden ins Bewusstsein. Lächelnde, freundliche
       Gesichter. Dann dachte er: "Bitte, Gott, lass sie nicht auch meine Freunde
       verhaften. Ich will nicht, dass sie gequält werden wie ich."
       
       Er erinnert sich an jedes Detail. Wie er dastand. Splitternackt. Die Hände
       hinter dem Rücken gefesselt. Um ihn herum ein karger Verhörraum. Drei
       Männer brüllten auf ihn ein. Ein vierter protokollierte. Sie wollten
       Informationen, vor allem Namen. Wer hat ihm von dem Protest erzählt? Mit
       wem war er unterwegs? Sami schwieg. Dann drückten sie den Elektroschocker
       auf seine Haut, etwa eine Minute an jede Stelle. Wieder und wieder.
       
       "Ich weiß nicht, wie lange das so ging", sagt der 23-Jährige. "Ich habe gar
       nichts mehr mitbekommen. Ich spürte nur noch Schmerzen, sonst nichts." Seit
       Beginn der Unruhen Mitte März setzt Präsident Baschar al-Assad Militär und
       Geheimdienste ein, um die Proteste niederzuschlagen. Mehr als 10.000
       Menschen sind bislang verhaftet worden. Amnesty International wirft den
       Sicherheitskräften in einem aktuellen Bericht vor, in der Grenzstadt Tel
       Khalakh Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen zu haben.
       
       ## Niemand weiß, wie viele an der Folter starben
       
       "In den Gefängnissen wird systematisch gefoltert. Es ist sehr selten, dass
       jemand festgenommen und nicht schwer misshandelt wird", sagt der syrische
       Menschenrechtsaktivist Wissam Tarif. "Die Folter dient dazu, Aussagen zu
       erzwingen, aber auch als kollektive Bestrafung und zur Abschreckung."
       Niemand weiß, wie viele Menschen bereits zu Tode gequält worden sind.
       Wissam Tarif hat 19 Fälle dokumentiert, geht aber davon aus, dass die Zahl
       eher bei 200 liegt. Doch die meisten Fälle kann er nicht belegen. Es ist
       sehr schwer, überhaupt an Informationen aus Syrien zu kommen: Keine der
       großen Organisationen, sagt der Aktivist, hat derzeit legale Mitarbeiter
       vor Ort.
       
       Adnan wusste, welche Antwort die Männer vom Geheimdienst hören wollten.
       Nicht, dass sie irgendwelche sachdienlichen Informationen von ihm
       erwarteten. Darum, sagt der Student, ging es nicht. Die Schläge und Tritte
       dienten vor allem dazu, seinen Willen zu brechen. "Wer ist Gott?", schrien
       seine Peiniger, während ihre Knüppel und Stiefelabsätze auf seinen Körper
       prallten. "Baschar al-Assad", rief der Student. Dann lachten sie. "Baschar
       al-Assad hat viel mehr drauf als Gott, weil er dich hier einsperren lassen
       kann", sagte einer. "Aber selbst Gott kann dich nicht rausholen."
       
       Adnan ist wieder zu Hause. Auch er heißt in Wahrheit anders. Der 27-Jährige
       lebt in Zabadani, einer Kleinstadt im Hinterland von Damaskus. Gerade
       stellt er eine Reihe von Videos ins Internet, die seine Freunde bei einem
       Protest in der Nacht zuvor mitgeschnitten haben. Adnan selbst demonstriert
       nicht mehr. Die Schrecken seiner Haftzeit haben ihn nicht mehr losgelassen,
       bis heute nicht. Doch es ist ihm wichtig zu zeigen, was auf den Straßen
       seiner Heimatstadt geschieht. Als die Demonstrationen Anfang Mai auf
       Zabadani übergriffen, war Adnan mit seiner Kamera dabei. Er filmte, dann
       verbreitete er die Clips über Facebook und Youtube. Am 5. Mai klingelte
       sein Handy, der Geheimdienst war dran. Er solle zu einem "kleinen Gespräch"
       vorbeikommen.
       
       Adnan erwartete Formalien, sonst nichts. "Doch sobald ich dort ankam,
       verbanden sie mir die Augen und legten mir Handschellen an. Dann schlugen
       sie mich mit allem, was sie zur Hand hatten, mit Stöcken, Gürteln und
       Kabeln." Als er stürzte, prügelten sie noch fester auf ihn ein, auf seinen
       Kopf, seinen Rücken. "Ich dachte, die werden mich totschlagen. Ich war
       sicher, da komme ich nicht lebendig raus."
       
       Das Verhör konzentrierte sich auf seine Onlineaktivitäten. Adnan merkte
       ziemlich schnell, dass die Beamten mit dem Thema überfordert sind. "Die
       Geheimdienste wissen nichts von Computern", meint er. "Sie können nur
       foltern, sonst nichts." Sie stellen ihm sinnlose, einfältige Fragen, etwa:
       "Benutzt du Google?" Adnan hatte keine Ahnung, wie er darauf antworten
       soll.
       
       ## Salz als Folterinstrument
       
       Nach einer Weile warfen sie ihn blutverschmiert zurück in die Zelle. Adnan
       sagt, dass sich 44 Männer etwa 10 Quadratmeter teilen mussten, darunter war
       ein 13-jähriger Junge. Das Kind weinte, schrie nach seiner Mutter. Adnan
       dachte: "Ich muss mich zusammenreißen. Wie soll dieser Junge durchhalten,
       wenn schon die Erwachsenen vor Angst verrückt werden?"
       
       Adnan sah Ärzte, die mit den Folterern zusammenarbeiten. Einige seiner
       Zellengenossen, so erzählt er, wurden über Stunden an den Handgelenken
       aufgehängt und mit Peitschenhieben und Stromschlägen traktiert. Einem
       zwangen sie Esslöffel voll Salz in den Mund. "Das Salz saugt die
       Flüssigkeit aus dem Körper", erklärt er. "Nach einer Weile platzen die
       Kapillaren in Augen und Nase."
       
       Adnan blieb einen Monat in dem Gefängnis. "Sie haben mich wirklich brutal
       und viel geschlagen", sagt der Student leise. "Sie wollten sichergehen,
       dass ich es nie wieder wage, zu einem Protest zu gehen." Sami verlor
       irgendwann das Gefühl für Zeit und Raum; die Stunden und Tage verwischen in
       einem Nebel aus Schmerz und Erniedrigung.
       
       Die Folter hat tiefe Spuren hinterlassen, seelische, die er beiseitewischt,
       und körperliche. "Ich habe große Probleme mit meinen Knien und meinem
       Rücken", sagt er. "Ich nehme Tabletten gegen die Schmerzen. Meine
       Wirbelsäule muss noch operiert werden." Der 23-Jährige studiert Medizin in
       Damaskus, nun ist er fürs Erste zu seinen Eltern in der zentralsyrischen
       Stadt Homs zurückgezogen, um sich ärztlich behandeln zu lassen.
       
       ## Es war ein Elektroschocker
       
       Sami stammt aus einer Familie von Oppositionellen; er ist praktisch mit der
       Schikane der Geheimdienste aufgewachsen. Mitte März demonstrierte er mit
       rund 150 Leuten vor dem Innenministerium in Damaskus für die Freilassung
       politischer Häftlinge. Der Geheimdienst rückte nach etwa fünf Minuten an.
       
       "Sie schlugen mich mit einem Stock auf den Kopf", sagt er, "ich versuchte
       wegzurennen, aber sie schlugen mich wieder." Dann zerrten sie ihn und
       einige weitere Demonstranten in einen Bus. Sami sah nicht, wohin sie ihn
       brachten. Seine Augen waren verbunden. Die Gefangenen wurden in einen
       Innenhof gestoßen, mussten sich auf den Boden legen, das Gesicht nach
       unten. "Sie begannen, uns in den Rücken zu springen", schildert er, "sie
       haben auf unseren Rücken getanzt."
       
       Als die Nacht anbrach, zwangen sie die Häftlinge, sich auszuziehen. Dann
       lachten sie über ihre Genitalien. Sami führten sie in einen Korridor, von
       dem rechts und links Zellen abgehen. Er bekam zunächst keine davon
       zugewiesen, sondern musste sich auf den Betonboden des Gangs knien. Er
       spürte, wie seine Beine zu schmerzen begannen, sich verkrampften,
       allmählich taub wurden.
       
       Immer wieder holten sie ihn in den Verhörraum. Doch der Student weigerte
       sich, Namen preiszugeben. Die Männer vom Geheimdienst griffen zu härteren
       Mitteln. In der zweiten Nacht nahmen sie ihm erneut seine Kleidung weg.
       Einer der Beamten näherte sich ihm mit einem schmalen Stab in der Hand.
       "Ich wusste zuerst nicht, was das war", erinnert er sich, "er legte mir das
       Ding auf die Brustwarze und drückte einen Knopf. Es war ein
       Elektroschocker." Dann setzte er ihm das Gerät auf die andere Brustwarze.
       Dann auf die Ellenbogen. Die Handgelenke. Die Knie. Die Knöchel. Den
       Rücken. Schließlich auf die Hoden.
       
       ## Ödeme in den Knien
       
       Sami schrie, er flehte seine Peiniger an. Aber er redete nicht. Die Schläge
       wurden schlimmer, manchmal prügelten sie über Stunden auf ihn ein. Eines
       Nachts stießen sie ihm einen Schlagstock ins Rektum. Nach sechs Tagen war
       er nicht mehr in der Lage aufzustehen; in seinen Knien hatten sich Ödeme
       gebildet. "Warum kannst du nicht laufen?", fragte der Gefängnisarzt. "Als
       ich antwortete, ohrfeigte er mich und schlug mir auf die Knie."
       
       Schließlich gab der Geheimdienst seinen Eltern Bescheid; sie sollten Sami
       abholen. Der Gefängnisleiter sagte zu seinem Vater: "Wenn wir ihn noch mal
       bei einem Protest sehen, dann werden wir ihn nicht festnehmen. Dann werde
       ich ihn eigenhändig an Ort und Stelle erschießen."
       
       Doch Samis Kampf gegen das Regime geht weiter. Nach wie vor geht er auf die
       Straße, wann immer in Homs demonstriert wird. Danach hilft der
       Medizinstudent, die Schusswunden der Demonstranten zu versorgen. Damit geht
       er ein hohes Risiko ein. Es kümmert ihn nicht mehr: "Sie haben mir das
       Schlimmste ja schon angetan. Nichts kann schlimmer sein als das, was ich
       hinter mir habe."
       
       Adnan dagegen geht nicht mehr gern nach draußen, auf den Straßen von
       Zabadani wimmelt es vor Geheimdienstagenten. Er verbringt die meisten Zeit
       am Computer. Ein paar Tage später schickt er noch eine Nachricht: Gerade
       ist sein 18-jähriger Cousin verhaftet worden. Die Familie hat keine Ahnung,
       wo der Junge festgehalten wird.
       
       17 Jul 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Gabriela M. Keller
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Proteste in Syrien: Erneut hunderte von Festnahmen
       
       In Damaskus sind hunderte von Menschen festgenommen worden. Ein neues
       Gesetz erlaubt die freie Gründung von Parteien, sichert aber die führende
       Rolle der Baath-Partei.
       
 (DIR) Debatte Syrien: Mein Witz ist meine Waffe
       
       Videos auf YouTube zeigen, mit wie viel Humor die Protestierenden in Syrien
       auf Denunziationen seitens des Regimes reagieren. So entsteht
       Zivilgesellschaft.
       
 (DIR) Unruhen in Syrien: Jubel in Damaskus, Tod in der Provinz
       
       In der Hauptstadt feierten die Anhänger von Assad dessen Amtsjubiläum.
       Derweil eskalierte in Homs nach einem Leichenfund die Gewalt. 30 Menschen
       sollen ums Leben gekommen sein.
       
 (DIR) Kommentar Syrien: Syriens Regime fällt nur Gewalt ein
       
       Jeder Tote, jeder Gefangene polarisiert die syrische Gesellschaft weiter.
       Und inzwischen hat der Protest aus den ländlichen Regionen die Großstädte
       erreicht.
       
 (DIR) Syrische Demonstranten beschossen: Vierzehn Tote in Syrien
       
       Sicherheitskräfte des syrischen Regimes haben nach Angaben von Aktivisten
       14 Demonstranten erschossen. Zehntausende demonstrierten gegen das Regime
       von Präsident Assad.
       
 (DIR) Gesprächsangebot von Assad: Syriens Opposition macht nicht mit
       
       Beim "nationalen Dialog" bleiben die Anhänger Assads unter sich. Die
       Opposition ist nur zu Gesprächen bereit, wenn der Präsident das Militär
       zurückzieht und die politischen Gefangenen freilässt.
       
 (DIR) Syriens Präsident Al-Assad im Porträt: Der schüchterne Diktator
       
       Internet und Satellitenfernsehen: Zu Beginn seiner Amtszeit öffnete
       al-Assad sein Land. Politische Veränderungen gab es hingegen kaum. Er ist
       ein Modernisierer, kein Reformer.
       
 (DIR) US-Botschafter besucht Hama: Syrien greift USA verbal an
       
       Damaskus wirft den USA "unverantwortliches Verhalten" vor. Grund ist der
       nicht genehmigte Aufenthalt des US-Botschaft in Hama, einer Hochburg der
       Proteste in Syrien.
       
 (DIR) Kommentar zur Lage in Syrien: Auf der falschen Achse
       
       Die Chancen des Westens, Einfluss auf Syrien zu nehmen, sind nicht sehr
       groß. Die weltpolitische Konstellation macht die Situation nicht gerade
       einfacher.