# taz.de -- Debatte Syrien: Mein Witz ist meine Waffe
       
       > Videos auf YouTube zeigen, mit wie viel Humor die Protestierenden in
       > Syrien auf Denunziationen seitens des Regimes reagieren. So entsteht
       > Zivilgesellschaft.
       
 (IMG) Bild: Die Waffen der Protestierenden in Syrien sind mehr und mehr auch Videos im Internet.
       
       Wer protestiert eigentlich in Syrien? Wie funktionieren Meinungsbildung und
       Kommunikation in einem Staat, in dem unabhängiger Journalismus
       lebensgefährlich ist und sich die offiziellen Medien zur nationalen
       Lachnummer degradiert haben?
       
       Wie auch schon bei den Demokratiebewegungen in Tunesien und Ägypten spielen
       Facebook und YouTube eine wichtige Rolle. Viele, zumal junge Syrer
       organisieren sich, schreiben Artikel, gründen Facebook-Gruppen und laden
       Videos hoch. Innerhalb kurzer Zeit wurden hunderttausende Syrer überall auf
       der Welt von der Erkenntnis gepackt, das Schicksal des Landes mitgestalten
       zu können. Der Hunger nach politischer Partizipation ist groß nach all den
       Jahren des verordneten Schweigens.
       
       Auch für den westlichen Beobachter sind Facebook und YouTube eine der raren
       Möglichkeiten, etwas mehr vom Charakter des Konflikts zu begreifen. Dabei
       fällt vor allem der subtile Humor der Protestierenden auf.
       
       ## Die Ostfriesen Syriens
       
       Da wäre etwa die Sache mit den Bakterien. Nachdem Baschar al-Assad in einer
       Rede am 20. 6. die Demonstranten indirekt als "Bakterien" bezeichnet hat,
       haben unzählige Syrer ihr Facebook-Profilbild durch cartoonartige
       Abbildungen von Bakterien ersetzt. Ruck, zuck war die Facebook-Seite "Wir
       alle sind Bakterien" gegründet. Auch die Bezeichnungen als "Infiltrierte",
       "Banden" und Terroristen", mit denen das Regime die Demonstranten
       denunziert, haben als ironische Selbstbezeichnung Einzug in das Vokabular
       der Protestierenden gehalten. Zudem wurde "Emirat" sprichwörtlich, das laut
       dem Pro-Regierungs-Fernsehen in der Stadt Homs ausgerufen worden ist. Ein
       verzweifelter Versuch der Regierung, die völlig weltlichen Proteste als
       islamistisch zu verunglimpfen.
       
       Insbesondere die Stadt Homs hat eine Vorreiterrolle eingenommen im
       kreativen Umgang mit den Vorwürfen des Regimes. Das verwundert nicht
       weiter, sind die Bewohner doch so etwas wie die syrischen Ostfriesen, und
       ein Großteil der im Land kursierenden Witze stammt aus dieser Region.
       
       Die Videos beziehen sich unverkennbar auf Reden des Präsidenten oder
       Meldungen des Staatsfernsehens. So rief der Vorwurf, die Demonstranten
       seien Mitglieder bewaffneter Banden, große Empörung hervor. In Videos mit
       Titeln wie "Waffenfund in Homs" sieht man junge Männer, die sich mit
       "Waffen", gebastelt aus Haushaltsgegenständen wie Ofenrohren oder
       Wagenhebern, und mit "Munition" aus Feuerwerkskörpern oder Gemüse,
       "Schießereien" mit den Sicherheitskräften liefern. Wobei diese leider
       tatsächlich bewaffnet sind und schießen. Die Klicks solcher Videos auf
       YouTube gehen in die Hunderttausende.
       
       In einem anderen, auch sehr beliebten Video wird behauptet, man habe nun
       die viel gescholtenen Terroristen entdeckt. Die Kamera schwenkt auf ein
       Grüppchen vier maskierter Männer, dem Anschein nach bewaffnet. Der Sprecher
       ruft die Männer herbei, sie nähern sich, und während er sie über ihre
       Waffen und ihre Hintermänner befragt, sieht der Zuschauer, dass die
       Bewaffnung aus so absurden Gegenständen wie Krücken besteht und sich die
       vermeintlichen Munitionsgürtel aus nichts anderem als Okraschoten
       zusammensetzen.
       
       Besonders eindrücklich ist ein Video, das eine tatsächliche Konfrontation
       von Protestierenden und Sicherheitskräften zeigt. Beide Gruppierungen haben
       sich verschanzt. Die Protestierenden provozieren mit Gesang und Parolen,
       die Sicherheitskräfte schießen, machen obszöne Bewegungen und versuchen die
       Protestierenden aus ihrem Versteck zu locken. Auf jeden Schuss antworten
       diese mit sarkastischen Aua-Rufen. Sie fordern die Sicherheitskräfte dazu
       auf, die Waffen wegzulegen. Während sich die Protestierenden darauf
       beschränken, den Sturz des Regimes zu fordern, beleidigen die
       Sicherheitskräfte die Schwestern der Protestierenden.
       
       Spaß als Antwort auf Blutvergießen und Gewalt? In Syrien ist Satire eine
       beliebte Reaktion auf eine Propaganda, die mächtig und gleichzeitig so
       realitätsfern ist, dass selbst ihre Anhänger gelegentlich mit Unbehagen
       reagieren. Auch schon vor den Protesten behandelte der kreative Sektor des
       Landes Themen wie Unterdrückung und soziale Ungerechtigkeit mit viel Humor,
       allen voran die syrischen Fernsehserien, die weit über die Landesgrenzen
       hinaus beliebt sind.
       
       ## Die Jugend lacht
       
       Die Nachbarstadt Hama möchte in Sachen Kreativität nicht nachstehen.
       Kürzlich wurde bei YouTube ein Video hochgeladen, in dem jemand von einer
       Maschine erzählt, die der amerikanische Botschafter bei seinem Besuch in
       Hama einigen Bandenmitgliedern als Geschenk überreicht habe. Es handele
       sich um ein hoch entwickeltes Luftabwehrsystem, das etwa ein Viertel des
       amerikanischen Etats gekostet habe und sämtliche Waffen aufspüren könne,
       Flugzeuge, Panzer, leichte Schusswaffen und sogar Messer. Und am Nachmittag
       wasche es die Wäsche. Zu sehen ist eine Satellitenschüssel, befestigt auf
       einer Tonne, die sich im Kreis dreht und von zwei kleinen Lichtern
       angeblinkt wird.
       
       Natürlich sind die genannten Videos nicht repräsentativ, aber sie werfen
       Schlaglichter auf das Selbstverständnis vieler. Während das Regime die
       Prostestierenden nicht nur mit Waffen, sondern auch mit Beleidigungen zum
       Schweigen zu bringen versucht, zeigt der Humor der Attackierten, dass große
       Teile der jungen Generation trotz aller Gewalt der Regierung den Respekt
       vor ihr verloren haben. Wie aber will sich ein Militärregime dauerhaft
       halten, wenn zumal die Jungen es verlachen, statt vor ihm zu kuschen?
       
       So machen diese Videos Mut, denn sie zeigen, dass friedliche und
       selbstironische Protestierende, die das Schicksal des Landes in die eigenen
       Hände nehmen wollen, sich großer Beliebtheit erfreuen. Das macht Hoffnung
       auf das, was nach dem nunmehr unausweichlichen Sturz des Systems kommen
       mag. Andererseits sind die Videos auch bedrückend, dokumentieren sie doch,
       wie groß die Kluft ist zwischen den Nutznießern des Systems und denjenigen,
       die jahrzehntelang systematisch benachteiligt wurden und jetzt auf die
       Straße gehen, um ihre Rechte einzufordern.
       
       21 Jul 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Luise Ossenbach
       
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