# taz.de -- CDU-Politiker Spahn über die Pflegereform: "Die Idee ist ein Zukunftsfünfer"
       
       > Demente dürfen mit zwei Milliarden Euro mehr rechnen, sagt CDU-Politiker
       > Jens Spahn - dank steigender Beiträge und fünf Euro monatlich mehr pro
       > Beitragszahler.
       
 (IMG) Bild: "Zukünftig muss der Grad der Selbstständigkeit der Pflegebedürftigen eine größere Rolle spielen."
       
       taz: Herr Spahn, Sie sind der Koalitionspartner einer Partei, die in diesem
       Jahr aus fünf Landtagen geflogen ist. Die FDP leistet sich einen
       Vorsitzenden, der gerade die europäische Einigung aufs Spiel setzt. Darf
       man so einer Partei den Auftrag für einen neuen Gesellschaftsvertrag - denn
       nichts anderes muss eine Reform der Pflegeversicherung ja liefern -
       überantworten? 
       
       Jens Spahn: CDU, CSU und FDP wollen den gemeinsamen Erfolg. Viele unserer
       Unterstützer fragen sich, was die christlich-liberale Koalition für die
       nächsten zwei Jahre noch vorhat und warum es einen Unterschied macht, dass
       wir regieren und nicht Rot-Grün. Eine Pflegereform, die Familien stärkt,
       für künftige Belastungen vorsorgt und Geld zurücklegt, wird diesen
       Unterschied deutlich machen.
       
       Der FDP-Gesundheitsminister Daniel Bahr hat bei der Pflege also alles
       richtig gemacht? 
       
       Ja, wir im Parlament arbeiten gut und konstruktiv mit ihm zusammen.
       
       Sozialverbände, Altenpfleger, pflegende Angehörige und vor allem Betroffene
       warten seit bald einem Jahr auf die Reform. Das Ministerium hüllt sich in
       Schweigen und verschiebt die Präsentation seiner Eckpunkte immer wieder.
       Sie sind der gesundheitspolitische Sprecher der Union: Was muss in den
       Eckpunkten zwingend stehen? 
       
       Drei Punkte, kurz und knapp: Wir müssen Menschen mit Demenz finanziell
       besserstellen als heute. Angehörige, die zu Hause pflegen, müssen
       unterstützt und entlastet werden. Zudem müssen wir für die Jahre ab 2035
       vorsorgen, wenn die Babyboomer der Nachkriegsjahre pflegebedürftig werden.
       
       Bereits unter der großen Koalition hat ein hochkarätig besetzter
       Pflegebeirat festgestellt, dass die derzeitige Definition von
       Pflegebedürftigkeit anachronistisch sei in einer Gesellschaft, die immer
       älter und damit zwangsläufig dementer wird. Derzeit erhalten Menschen mit
       körperlichen Gebrechen Leistungen aus der Pflegeversicherung, Menschen mit
       psychisch-kognitiven Einschränkungen dagegen kaum. Mit welchen konkreten
       Verbesserungen dürfen Demente künftig in welchem Umfang rechnen? 
       
       Zukünftig muss der Grad der Selbstständigkeit der Pflegebedürftigen eine
       größere Rolle spielen, es geht dann nicht mehr alleine um körperliche
       Unzulänglichkeiten. Der Bedarf an Betreuung, Begleitung und
       Alltagsgestaltung, etwa weil jemand verwirrt ist und immer wieder wegläuft,
       muss sich auch in finanzieller Unterstützung niederschlagen. Zusätzlich
       wollen wir pflegenden Angehörigen durch mehr und attraktivere
       Kurzzeitpflege, Selbsthilfeangebote und mehr ambulante Betreuungsleistungen
       die Möglichkeit zur Auszeit und Erholung von der geistig und körperlich
       anstrengenden Pflege ermöglichen. Alles in allem kann man hier insgesamt
       mit etwa zwei Milliarden Euro zusätzlich viel für die Betroffenen
       erreichen.
       
       Ist das Ihre Hoffnung oder Ihr Versprechen? 
       
       Hier sind wir - CDU, CSU und FDP gemeinsam - im Wort, etwas zu tun. Und das
       müssen wir auch halten.
       
       Wie schnell setzen Sie diesen neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff um? 
       
       Das wird, wie der Beirat selber einräumt, nur schrittweise gehen. Die
       konkreten Kriterien müssen erarbeitet, die Gutachter des Medizinischen
       Dienstes der Krankenkassen geschult und die Pflegeabläufe umgestellt
       werden. Ich denke, das braucht zwei bis drei Jahre. Deswegen ist es
       wichtig, die gesetzlichen Grundlagen zeitnah zu schaffen.
       
       So zerstritten CDU, CSU und FDP über die Ausgestaltung der
       Pflegeversicherung sind: relativer Konsens herrscht darüber, dass es wohl
       teurer wird für die Versicherten. Wie wird der Kompromiss in der
       Finanzierungsfrage aussehen und worauf müssen sich Beitragszahler und
       Arbeitgeber einstellen? 
       
       Die Pflegekassen übernehmen seit 1995 die medizinische Behandlungspflege in
       den Pflegeheimen, obwohl das eigentlich Aufgabe der Krankenversicherung
       wäre. Das ist nicht in Ordnung, und das müssen wir ändern. Das würde die
       Pflegeversicherung um 1,6 Milliarden Euro entlasten. Zusätzlich ist eine
       sehr moderate Anhebung des Beitragssatzes zur Pflege denkbar. Damit wären
       die Leistungsverbesserungen sauber gegenfinanziert. Ich denke, hier wäre
       ein Kompromiss von CDU, CSU und FDP leicht möglich. Kniffliger wird es bei
       der Kapitaldeckung. Hier sollten wir einen kollektiven Kapitalstock als
       Vorsorgefonds aufbauen, mit dem wir in der Zukunft den Beitragssatz
       stabilisieren.
       
       Das widerspricht der klaren Ansage im Koalitionsvertrag und der
       FDP-Ideologie, wonach die kapitalgedeckte Säule individuell sein muss. 
       
       Entscheidend ist, dass der Vorsorgefonds eigentumsrechtlich geschützt und
       damit zugriffssicher ist. Das lässt sich auch ohne individuelle
       Privatverträge sicherstellen.
       
       Können Sie das bitte etwas präzisieren: Wie soll diese kollektive
       Kapitaldeckung funktionieren? 
       
       Die Idee ist ein Zukunftsfünfer: Wenn jeder Beitragszahler nur fünf Euro im
       Monat beisteuert, kommen schon drei Milliarden Euro pro Jahr zusammen. Mit
       den Zinseszinsen lässt sich so eine erkleckliche Summe auf die hohe Kante
       legen, um künftig die Pflege bezahlbar zu halten.
       
       Der bürokratische Aufwand für die Kapitaldeckung gilt als höher als die
       Einnahmen. Warum halten Sie trotzdem daran fest? 
       
       Ein Zukunftsfünfer ist völlig unbürokratisch. Aufgrund der geringen Höhe
       ist ein aufwändiger Sozialausgleich nicht notwendig, zur Vereinfachung wäre
       gar ein Quellenabzug auf dem Lohnzettel denkbar.
       
       Was bieten Sie der FDP, damit sie den Schwenk hin zu dem von Ihnen
       geforderten kollektiven Kapitalstock ohne Gesichtsverlust vollziehen kann? 
       
       Gleichzeitig sollten wir die bestehende freiwillige private Altersvorsorge
       stärken. Denn wer im Alter mehr Einkommen hat, hat im Fall der Fälle auch
       mehr Geld für die Pflege. Höhere Fördersätze und flexiblere
       Einsatzmöglichkeiten dürften hier ganz im Sinne der FDP sein.
       
       Die Riester-Rente, die Sie stärker fördern wollen, findet auf freiwilliger
       Basis statt. Menschen, die sich keine private Vorsorge leisten können, sind
       außen vor. Setzt die CDU darauf, mit sozialer Kälte zu punkten? 
       
       Es gilt auch für die Zukunft, dass jeder Pflegebedürftige in Deutschland
       Anspruch auf eine gute Pflege hat. Hier springt ja auch weiterhin die
       Sozialhilfe ein. Allerdings sollte schon jeder im Rahmen seiner
       Möglichkeiten vorsorgen. Alles andere wäre unsolidarisch.
       
       18 Sep 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Heike Haarhoff
       
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