# taz.de -- Piratenpartei im Abgeordnetenhaus: Die Nicht-Repräsentativen
       
       > Launige Sprüche, schlabbrige Motto-Shirts und Strickjacken, lange Haare
       > und Fusselbärte. Die gewählten Piraten stellen sich erstmals im
       > Abgeordnetenhaus vor.
       
 (IMG) Bild: Da sind die neuen in ihrem neuen Zuhause.
       
       Vor dem Podium türmen sich Kameras über Kameras - und dann funktioniert der
       Beamer nicht. "Gibt's da keine Fernbedienung?", fragt Pirat Christopher
       Lauer. Ein Mitarbeiter des Abgeordnetenhaus rüffelt: "Da kümmert man sich
       eine halbe Stunde früher drum." Später streckt Lauer einfach seinen Laptop
       den Journalisten entgegen, um die Homepage der Piratenfraktion
       vorzustellen. "Sie können auch nachher noch Nahaufnahmen vom Internet
       machen."
       
       Es ist das erwartete bißchen Chaos, das die Piraten auf ihrer ersten
       Pressekonferenz nach den 8,9 Prozent bei der Wahl am Sonntag, fabrizieren.
       Vorne wechseln sich zehn Neuparlamentarier ständig vor den Mikros ab, fast
       jeder darf mal was sagen. Basisdemokratie eben. Auf der anderen Seite
       drängeln sich die Journalisten. "Der Andrang überrascht uns jetzt schon ein
       bißchen", eröffnet Spitzenkandidat Andreas Baum die Runde bescheiden. Dabei
       ist klar: Das hier hat was Historisches.
       
       15 Sitze im Abgeordnetenhaus holten die Piraten - mehr Kandidaten standen
       ohnehin nicht auf der Landesliste. Dazu kommen 56 Mandate in den
       Bezirksparlamenten. Allein in Friedrichshain-Kreuzberg bekam die Partei
       14,3 Prozent. Um drei oder vier Uhr habe er die Wahlparty verlassen, sagt
       Baum. "Das war alles wie im Film." Jetzt, am Montagmittag, wirkt der
       33-Jährige aufgeräumt: "Wir kriegen das hin." Zuerst wolle man sich nun um
       Transparenz und Bürgerbeteiligung im Abgeordnetenhaus kümmern.
       
       Vorerst gibt es launige Sprüche, schlabbrige Motto-Shirts und Strickjacken,
       lange Haare und Fusselbärte. Gerwald Claus-Brunner steht mit blauer
       Latzhose und um den Kopf gewickeltem Pali-Tuch hinterm Podium. Er laufe
       seit 20 Jahren so rum, sagt der 39-jährige, bisexuelle Mechatroniker. "Das
       wird sich auch jetzt nicht ändern." Seine Schwerpunkte werde er auf
       "Arbeit, Wirtschaft und Queerpolitik" legen. Daneben spielt Lauer - graues
       Jackett, Hornbrille - mit seinem Smartphone, spricht später von "liquid
       democracy" und "buzzwords".
       
       Fraktionszwang? "Kann ich mir gerade nicht vorstellen", sagt Baum. Ein
       Pirat bedankt sich bei dem Grünen Benedikt Lux, der ihm vor einiger Zeit
       eine Einweisung ins Abgeordnetenhaus gegeben habe. Ein anderer will sich
       für kostenlosen Nahverkehr stark machen. "Erst hab ich das auch für eine
       Schnapsidee gehalten." Dabei sei das Ganze so visionär "wie das
       öffentlich-rechtliche Fernsehen".
       
       Die Klischees scheinen zu stimmen: Knapp die Hälfte der 15 Piraten ist
       nicht älter als 30. Software-Entwickler, Studenten, ein Diplomphysiker und
       ein Industrieelektroniker sind darunter. Und eine 19-jährige Abiturientin.
       Die aber fehlt bei der ersten Pressekonferenz. Keine Zeit, heißt es. "Warum
       fragen Sie nicht nach einer Migranten- oder Arbeiterquote?", antwortet
       Lauer gereizt auf Nachfragen. "Gucken Sie uns doch an, wir sind nicht der
       repräsentative Durchschnitt."
       
       Auch nach der Pressekonferenz umwuseln Journalisten die Neulinge. Eine
       Reporterin fragt Latzhosen-Mann Claus-Brunner, was der Unterschied zwischen
       großen und kleinen Anfragen sei. "Das müsst' ich nochmal genau nachgucken."
       Man müsse und werde viel lernen, sagt Lauer. Den Lernprozess werde die
       Fraktion öffentlich dokumentieren, im Internetblog. Auch über den
       Fraktionsvorsitz müsse man sich erst noch verständigen, sagt
       Spitzenkandidat Baum. Ob er nicht gesetzt sei? "Nö."
       
       Das Leben werde jetzt wohl etwas strukturierter, sagt Martin Delius, lange
       Haare, Brille, Listenplatz 4. Den Job als Software-Entwickler werde er
       kündigen. "Sonst wüsste ich nicht, was sich ändern soll." Delius will
       Bildung zum seinem Fachgebiet machen, da habe er Erfahrung: als
       Studentenvertreter an der TU hat er den Bildungsstreik vor zwei Jahren
       mitorganisiert. Kann es jetzt, nach dem Sensationssieg, nur noch bergab
       gehen für die Piraten? Nicht doch, hält der 27-Jährige dagegen. Aber auch
       ihn baten Bekannten gleich nach den Glückwünschen: "Baut ja keinen Scheiß."
       Er habe da wenig Sorgen, sagt Delius. Das Thema Transparenz gelte ja zuerst
       für die eigene Fraktion. Da würden die Leute die Piraten schon
       zurechtstutzen, wenn's in die falsche Richtung gehe.
       
       19 Sep 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Konrad Litschko
       
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