# taz.de -- Humanitäre Katastrophe im Sudan: Letzte Zuflucht Berghöhle
       
       > Angriffe mit konventionellen und mutmaßlich auch chemischen Waffen, kaum
       > medizinische Versorgung und Lebensmittel. Der Krieg im Sudan trifft die
       > Nuba mit voller Härte.
       
 (IMG) Bild: Ein provisorisch mit Zweigen abgeschirmter Bombenkrater in der Nähe von Kurmiti. Ursache für die Färbung des Wassers könnte der Einsatz chemischer Waffen sein.
       
       NUBA-BERGE/SUDAN taz | Die alten Menschen schweigen plötzlich. Kinder
       verstummen. Atemlos hört jeder auf das monotone Brummen einer
       Antonow-Maschine, unsichtbar über den aufziehenden Regenwolken. Endlich
       verschwindet das Geräusch. Erleichtert sagt Kubros Marad: "Der lässt seine
       Bomben irgendwo anders fallen."
       
       Die alten russischen Flieger der sudanesischen Armee bringen mit ihrer
       Bombenfracht Not und Tod in die Nuba-Berge. Aus der Luft schlägt das Regime
       in Khartum in der Provinz Süd-Kordofan einen Aufstand des Nuba-Volkes
       nieder. Augenzeugen berichten von verbrannten Dörfern, Massengräbern und
       Hunderttausenden Vertriebenen. Hier tobt Sudans geheimer Krieg, mit dem
       Khartum verhindern will, dass nach der Abspaltung Südsudans ein weiterer
       Landstrich der Republik Sudan verlorengeht.
       
       Wenn die Flugzeuge abziehen und wieder Stille einkehrt, nehmen der alte
       Marad, seine und sechs anderen Familien ihr normales Leben wieder auf.
       Jedenfalls das Leben, das sie seit drei Monaten gewohnt sind. Anfang Juni,
       einige Tage nach dem Beginn des neuen Konflikts in den Nuba-Bergen,
       verließen sie ihr Dorf Kurmiti am Fuß des Berges, um den Bombardierungen zu
       entfliehen. Sie zogen den Berg hoch und wurden zu Höhlenbewohnern. Von
       ihrem Fluchtort aus können sie das Städtchen Dilling sehen, etwas mehr als
       zehn Kilometer entfernt. Da steht die Regierungsarmee SAF.
       
       Eine Frau hängt Kinderkleidung an eine improvisierte Wäscheleine neben dem
       Höhleneingang. Die Kinder fangen wieder an zu spielen. Nur Ruwaida Nuren
       bleibt sitzen. Die Zehnjährige hat keine Lust. "Ich habe Angst vor den
       Bomben. Sie sind schuld daran, dass ich nicht in die Schule gehen kann. Und
       ich möchte so gerne wieder lernen", sagt sie leise. Ihre Mutter gibt ihr
       einen Teller mit wildem Spinat und bitteren Wildfrüchten: Das einzige
       Esssen für heute. Zwischen ein paar Bissen sagt das Mädchen: "Die Höhlen
       sind schrecklich. Es gibt Schlangen, viele Mücken und es ist nachts so
       kalt."
       
       Mutter Digela Adam macht sich Sorgen über die Nahrung. Der Konflikt begann
       ausgerechnet in der Zeit der Aussaat. Die meisten Männer der Nuba-Rebellion
       schlossen sich der Sudanesische Volksbefreiungsarmee-Nord (SPLA-N) an, die
       sich als Flügel der jetzt im unabhängigen Südsudan regierenden SPLA
       begreift. Die alten Leute, Frauen und Kinder blieben zurück. Aber sie
       hatten Angst, auf freiem Feld zu arbeiten. Sie bauten nur noch in den
       Gärten direkt neben ihren Häusern an. "Aber das reicht nicht für ein ganzes
       Jahr. Wenn der Regen Ende September aufhört, verschwinden auch der Spinat
       und die Wildfrüchte", sagt Digela Adam.
       
       ## Die Berge sind abgeriegelt
       
       Der Frontkommandant der SPLA-N im westlichen Teil der Nuba-Berge ist Logli
       Drod. Er erklärt, dass die Berge von der Regierungsarmee SAF umzingelt
       sind. "Sehr wenig kommt rein, sehr wenig geht raus." Benzin ist knapp und
       teuer, Lebensmittel daher auch. Die SPLA-N hat zwar Dutzende
       SAF-Geländewagen erbeutet - "Bashir kauft, wir fahren", witzelt der
       Kommandant unter Bezug auf Sudans Präsident Omar Hassan al-Bashir. Dann
       wird er ernst: "Der Treibstoffmangel ist ein Problem. Was nützen die
       Fahrzeuge, wenn man sie nicht fahren kann?"
       
       Rund um Kurmiti gibt es eine Reihe von Bombenkratern. Einer ist
       provisorisch mit Zweigen abgeschirmt, um Neugierige fernzuhalten. Das
       Regenwasser in der Grube ist rot gefärbt. Gras in der Umgebung ist
       vertrocknet, Steine haben andere Farben bekommen. "In der Bombe war weißes
       Puder. Es sah aus wie Pfeffer. Wir haben keine Ahnung, was es ist, aber
       Menschen die hier herkamen, beklagten sich danach über eine trockene Kehle,
       Kopfschmerzen, Jucken und sogar kleine Entzündungen auf der Haut. Wir haben
       etwas aufbewahrt, aber wissen nicht was wir damit tun sollen. Wir haben
       keine Möglichkeit zu untersuchen, ob es um eine chemische Bombe ist", sagt
       Kommandant Drod.
       
       Schon in früheren Jahrzehnten, bis 2002, befanden sich die Nuba im Aufstand
       gegen Sudans Regierung. Damals waren sie mit den SPLA-Rebellen im Südsudan
       verbündet. Die erkämpften ihre Unabhängigkeit - die Nuba blieben im
       Nordteil Sudans zurück. Wie damals versucht die Regierungsarmee SAF auch
       heute offenbar, die Bevölkerung auszuhungern. Aber der Krieg ist diesmal
       intensiver. Die SPLA-N verfügt über erbeutete Panzer und kontrolliert mehr
       Territorium als damals. Im Gegenzug sind auch die Regierungsangriffe
       heftiger. "Dieser Krieg ist schlimmer als der vorige", sagt der alte Marad.
       
       ## Beliebt: die Sudanesische Volksbefreiungsarmee-Nord (SPLA-N)
       
       Kein Zweifel besteht daran, dass die SPLA-N populär ist. Überall werden die
       Aufständischen mit Hurra-Rufen begrüßt: "SPLA-N oyééééé!" Wenn Geländewagen
       der Aufständischen sich im Matsch festfahren, kommen Dorfbewohner von
       überall, um zu helfen. Als ein Auto der SPLA-N mitten in der Nacht in einen
       Fluss rutscht, erscheinen ungefragt Anwohner mit Traktoren. Abdallah, ein
       Krankenpfleger, stellt sein Fahrrad gegen einen Baum und krempelt die Ärmel
       seiner blauen Berufskleidung hoch. Dann hilft er beim Schieben. Sobald das
       Auto wieder befreit ist, beklagt er sich über den Mangel an Medizin. "Ich
       kann wenig tun außer Wunden zu versorgen. Es fehlt an allem. Darum fahre
       ich von Dorf zu Dorf und gebe Unterricht über Gesundheit." Vor allem Kinder
       werden Opfer von Durchfall und Malaria.
       
       Die Nuba-Berge sind verbotenes Gebiet für internationale
       Hilfsorganisationen. Nur ein paar örtliche Gruppen versorgen die
       Bevölkerung. Die Organisation NRRDO bringt Frauen bei, wo sie wilde Früchte
       finden können und wie man sie zubereitet. Naturheiler teilen ihre
       Kenntnisse über Bäume und Pflanzen. Junge Menschen lernen, mit einfachen
       kleinen Kameras Bilder von Kriegsfolgen und Menschenrechtsverletzungen zu
       machen, die als Beweismaterial gesammelt werden.
       
       Als der Krieg ausbrach, flohen viele Frauen aus dem Osten der Berge, wo es
       die schlimmsten Kämpfe gab, in den Westteil. Ihre Ehemänner blieben zurück,
       um sich den Rebellen anzuschließen. Die Frauen können jetzt nicht zurück,
       denn eine Straße trennt Ost und West, und sie ist in den Händen der SAF. Im
       Dorf Tulashi leben etwa 3.500 Flüchtlinge in einer Schule. Die Einwohner
       von Tulashi teilen mit ihnen das wenige Essen, das sie haben. Mehr als eine
       Mahlzeit am Tag gibt es auch hier nicht. Eine Mutter zeigt auf ihr Baby.
       Auf seinem Körper gibt es überall Krusten und entzündete Stellen. Der
       kleine Junge schreit die ganze Zeit und will nicht essen. Medizin gibt es
       nicht.
       
       Die örtlichen Behörden sind ratlos. Das Dorf und Umgebung hat beinahe
       21.000 Einwohner, von denen schon mehr als 7.000 Hilfe brauchen. Jetzt
       kommen noch die Flüchtlinge dazu. "Wir brauchen dringend Zelte, Essen und
       Medizin. Es regnet ständig und wenn Menschen so dicht beieinander leben,
       können leicht Krankheiten ausbrechen", fürchtet Gemeindechef Tia Tutu.
       
       ## Ermordet oder verschleppt
       
       Eine der Geflohenen ist Aza Farajalla, eine Politikerin, die bei Sudans
       Wahlen vergangenes Jahr vergebens versuchte, ins Parlament in Khartum
       gewählt zu werden. Sie kandidierte für die SPLM-N, dem politischen Arm der
       SPLA-N. Als der Krieg begann, musste sie fliehen; jemand hatte sie gewarnt,
       dass die Behörden sie suchen würden. "Es existiert eine Liste mit Namen von
       Mitgliedern und Aktivisten der SPLM-N. Ein Teil von ihnen wurde ermordet,
       andere verschwanden", erzählt die Frau.
       
       Sie berichtet vom Dorf Coeli, wo die Einwohner zum Ende des Ramadan Ende
       August gemeinsam in der Moschee beteten. Plötzlich erschienen etwa vierzig
       Geländewagen mit 600 SAF-Soldaten, sagt die Frau. Augenzeugen erzählten,
       wie 21 Namen aufgerufen wurden, alles Nuba-Aktivisten der SPLM-N. Sie
       wurden mitgenommen. Seitdem hat mann nichts mehr von ihnen vernommen.
       Siebzehn Frauen seien vergewaltigt waren. Drei davon waren schon schwanger
       und erlitten Fehlgeburten.
       
       Aza Farjalla befürchtet, dass die Welt sich dafür nicht für diesen Krieg
       interessiert. "Die internationale Gemeinschaft ist zu beschäftigt mit
       Libyen und Syrien und hat keine Zeit für uns", meint sie. "Wir brauchen
       aber Hilfe. Khartum versucht, Kordofan von uns Nuba zu säubern."
       
       23 Sep 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ilona Eveleens
       
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