# taz.de -- 60 Jahre Bundesverfassungsgericht: Karlsruhe hat das letzte Wort
       
       > Das Bundesverfassungsgericht besteht nun 60 Jahre. Ein Buch porträtiert
       > wichtige Urteile – und erinnert daran, wie umstritten früher viele
       > Entscheidungen waren.
       
 (IMG) Bild: Richter des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts setzen in Karlsruhe bei einer Urteilssprechung ihre Hüte auf.
       
       Sein Ruf ist weit besser als der der Politik. Das Bundesverfassungsgericht
       ist das Staatsorgan, dem die Deutschen am meisten vertrauen. Man hat sich
       in Deutschland daran gewöhnt, dass Karlsruhe das letzte Wort hat.
       
       Vor 60 Jahren war das noch anders. Im September 1951, als das
       Bundesverfassungsgericht seine Arbeit aufnahm, war es noch sehr
       ungewöhnlich, dass ein Gericht sogar den Gesetzgeber korrigieren kann.
       Machtmenschen wie dem damaligen Kanzler Konrad Adenauer (CDU) passte das
       überhaupt nicht. Das Verfassungsgericht musste zunächst darum kämpfen,
       ernst genommen zu werden. Sein Meisterstück machte es 1961 mit dem
       ZDF-Urteil, als es die Schaffung eines Regierungssenders untersagte.
       Adenauer erklärte die Entscheidung zwar beleidigt für "falsch", fügte sich
       aber doch.
       
       Andererseits mussten aber auch die Richter erst einiges lernen, zum
       Beispiel, dass der Schutz ausgegrenzter Minderheiten eine wichtige Aufgabe
       des Verfassungsgerichts ist. So bestätigten sie noch 1957 die Strafbarkeit
       von "widernatürlicher Unzucht" - das heißt homosexuellen Handlungen. Sie
       beriefen sich dabei vor allem auf die sittlichen Vorstellungen der Kirchen.
       "Deutlicher kann ein Gericht seine Abdankung und die des staatlichen Rechts
       kaum verkünden", kommentiert der Journalist Rolf Lamprecht.
       
       ## Anschauliche Fallskizzen
       
       Lamprecht hat mit seinem Buch "Ich gehe bis nach Karlsruhe" nun eine gut zu
       lesende Geschichte des Bundesverfassungsgerichts vorgelegt. In den 93
       anschaulichen Fallskizzen spürt man, dass der inzwischen 80-jährige Autor
       das Gericht von Anfang an begleitet hat, meist als Korrespondent des
       Spiegel. 
       
       Er erinnert daran, wie umstritten - gesellschaftlich und innerhalb des
       Gerichts - früher viele Entscheidungen waren. Oft hing es vom Zufall der
       Geschäftsverteilung ab, ob ein Urteil "verblüffend fortschrittlich" oder
       "enttäuschend rückwärtsgewandt" ausfiel, so Lamprecht.
       
       So erfand der Erste Senat 1983 in seinem Volkszählungsurteil das Grundrecht
       auf Datenschutz ("informationelle Selbstbestimmung"). Im Jahr 1985 adelte
       er in seinem Brokdorf-Beschluss das Demonstrationsrecht zu einem zentralen
       Grundrecht in der Demokratie. Dagegen stoppte der Zweite Senat zweimal -
       1975 und 1993 - die vom Bundestag beschlossene frauenfreundliche
       Liberalisierung des Abtreibungsrechts. Und 1985 entschied dieser Senat
       sogar, dass der Zivildienst durchaus länger als der Wehrdienst dauern dürfe
       - obwohl das Grundgesetz genau dies verboten hatte. "So malträtiert hatte
       das Gericht die Verfassung bis dahin nur selten", konstatiert Lamprecht.
       
       ## Mehr Politik als Rechtsanwendung
       
       Trost fand Rolf Lamprecht dann aber stets in "abweichenden Meinungen" von
       unterlegenen Richtern, etwa von Ernst-Wolfgang Böckenförde, den er
       ausführlich zu Wort kommen lässt. Deutlich wird dabei aber auch, dass die
       Auslegung der Verfassung doch oft mehr Politik als Rechtsanwendung ist.
       Erst in den letzten zehn Jahren geriet diese Erkenntnis in den Hintergrund.
       Weil die beiden Senate in sich und untereinander einheitlicher agierten,
       wurden ihre Urteile auch besser als "Recht" akzeptiert.
       
       Lamprecht hat sein Buch in neun Kapitel unterteilt, eines für jeden
       Gerichtspräsidenten. Es beginnt 1951 mit dem FDP-Mann Hermann
       Höpker-Aschoff und führt über Ernst Benda, Roman Herzog, Jutta Limbach und
       Hans-Jürgen Papier bis zum heutigen Amtshinhaber Andreas Voßkuhle. Die
       eingestreuten Porträts bieten aber letztlich kaum mehr als etwas
       Abwechslung in der Fülle der Urteile. Schließlich gehören die Präsidenten
       nur einem der beiden achtköpfigen Senate an und haben dort auch nur eine
       Stimme. Sie können dem Gericht also nur schwer ihren Stempel aufdrücken.
       Die Macht des Gerichts ist das Kollektiv. Wenn das Kollektiv einig agiert,
       ist es am stärksten.
       
       28 Sep 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christian Rath
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Bundesverfassungsgericht
       
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