# taz.de -- Forschungen zum Temperaturanstieg: Die Stelle hinter dem Komma
       
       > US-Forscher gehen davon aus, dass die Erderwärmung weniger schnell
       > voranschreitet, als angenommen. Das 2-Grad-Ziel könnte leichter erreicht
       > werden. Kollegen sind skeptisch.
       
 (IMG) Bild: Dürreflüchtlinge in Somalia.
       
       Der Anstieg der globalen Erdtemperatur könnte nach Ansicht von US-Forschern
       weniger dramatisch sein, als bislang befürchtet wird. Die Klimaforscher
       unter der Leitung von Andreas Schmittner von der Oregon State University
       kommen in ihrer im Wissenschaftsmagazin Science veröffentlichten Studie zu
       dem Ergebnis, dass die sogenannte Klimasensitivität bisher als zu hoch
       veranschlagt wurde.
       
       Die Klimasensitivität bezeichnet den voraussichtlichen Temperaturanstieg,
       der bei einer Verdopplung der Kohlendioxid-Konzentration in der Atmosphäre
       entsteht. Dieser Faktor gilt als wichtige Größe, um das Ausmaß zukünftiger
       Klimaveränderungen zu beurteilen.
       
       Für ihre Studie analysierten die Autoren Daten über den Höhepunkt der
       letzten Eiszeit vor etwa 21.000 Jahren - das sogenannte letzte
       Gletschermaximum (LGM). Das Forscherteam kommt zu dem Schluss, dass die
       Klimasensitivität wahrscheinlich zwischen 1,7 und 2,6 Grad Celsius liegt.
       Als Durchschnittswert berechneten sie 2,3 Grad Celsius.
       
       ## Höhere Unsicherheiten
       
       Der Bericht des Weltklimarates IPCC aus dem Jahr 2007 setzte hier deutlich
       höhere Unsicherheiten an. Dort ging man von Werten zwischen 2 und 4,6 Grad
       Celsius aus, mit einem Durchschnittswert von 3 Grad.
       
       Die neuen Ergebnisse aus den USA werden nicht von allen Kollegen geteilt.
       "Der in dieser Studie prognostizierte Wert ist vor allem deshalb
       vergleichsweise niedrig, weil die Autoren die Ozeantemperaturen überwiegend
       aufgrund fossiler Planktondaten berechnen", erklärt der Ozeanograf Stefan
       Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) der taz.
       
       "Seit mehr als einem Jahrzehnt ist bekannt, dass die so abgeschätzten
       eiszeitlichen Temperaturen sehr wahrscheinlich zu warm sind. Aufgrund
       physikalischer Modellrechnungen lassen sie sich nicht in Einklang bringen
       mit den Indikatoren für die Temperaturen an Land in der letzten Eiszeit."
       
       Nehme man nur die Daten für die Temperatur an Land, komme die
       Science-Studie auf eine globale Klimasensitivität von über drei Grad.
       "Selbst wenn die Daten stimmen sollten, bleibt festzuhalten: Für den
       Menschen viel relevanter ist die Temperatur an Land", erklärt Rahmstorf.
       
       Auch die Science-Autoren selbst warnen vor vorschnellen Schlüssen: "Unsere
       Studie hat eine Reihe von Einschränkungen, darunter stark vereinfachte
       Annahmen und mögliche Inkonsistenzen. Diese müssen weiter untersucht
       werden", sagte Mitautor Nathan Urban gegenüber dem Blog "Planet 3.0".
       
       Die Science-Studie kommt vor allem deshalb auf eine geringere
       Klimasensitivität, weil sie für das Gletschermaximum höhere Temperaturen
       annimmt - das würde bedeuten, dass der Unterschied zur heutigen
       Durchschnittstemperatur geringer ist.
       
       ## "Der Planet war ein völlig anderer"
       
       Es wäre auch ein Hinweis darauf, dass selbst geringe Temperaturunterschiede
       große Veränderungen bewirken - darauf weist Studienautor Andreas Schmittner
       hin: "Der Ozean war nach den Daten durchschnittlich nur etwa zwei Grad
       kälter als heute, aber der Planet war ein völlig anderer - große Eisflächen
       über Nordamerika und dem nördlichen Europa, mehr Meereis und Schnee, andere
       Vegetationen, ein geringerer Meeresspiegel und mehr Staub in der Luft. Das
       zeigt, dass selbst sehr kleine Veränderungen der Ozeantemperatur
       gravierende Auswirkungen anderswo haben können."
       
       Sollten sich die Ergebnisse von Schmittner und seinen Kollegen bestätigen,
       wäre die Konsequenz also, dass die Temperaturen zwar geringer ansteigen,
       aber dieser geringere Anstieg auch zu schlimmeren Auswirkungen führt als
       bislang angenommen.
       
       Rahmstorf erklärt, dass es etwa 20 Studien zur Berechnung der
       Klimasensitivität aus Klimadaten der Vergangenheit gibt. Er geht nicht
       davon aus, dass sich durch die neuen Berechnungen an den Einschätzungen des
       IPCC etwas ändern wird.
       
       9 Dec 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Hanno Böck
       
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