# taz.de -- Datenschützer über Neonazi-Datei: "Eine Gesinnungsdatei lehne ich ab"
       
       > Eine gemeinsame Nutzung sensibler Daten durch Polizei und
       > Verfassungsschutz ist rechtswidrig, sagt Thilo Weichert. Die Beobachtung
       > von rechter Gewalt rechtfertige keine Überwachung.
       
 (IMG) Bild: Das Bundeskabinett will eine "Datei zur Bekämpfung des gewaltbereiten Rechtsextremismus" anlegen.
       
       Herr Weichert, am Dienstag soll im Bundeskabinett die sogenannte
       Neonazi-Datei auf den Weg gebracht werden. Wer soll darin erfasst werden? 
       
       Thilo Weichert: In der geplanten "Datei zur Bekämpfung des gewaltbereiten
       Rechtsextremismus" sollen rechte Gewalttäter, gewaltbereite
       Rechtsextremisten und ihre Kontaktpersonen gespeichert werden.
       
       Finden Sie als Datenschützer diese Auswahl richtig? 
       
       Natürlich müssen sich die Sicherheitsbehörden überlegen, wie sie rechten
       Terror künftig schneller erkennen. Aber sie dürfen dabei auch nicht übers
       Ziel hinausschießen. So genügt nach dem Gesetzentwurf bereits ein vager
       Anfangsverdacht einer rechten Gewalttat, um in der Datei gespeichert zu
       werden. Es sollte aber schon ein handfester, auf Tatsachen gestützter
       Verdacht vorliegen. Zweitens genügt nach dem Entwurf bereits, dass rechte
       Gewalt "bejaht" wird, das erfasst bereits dumpfe Wirtshaussprüche, auch das
       geht zu weit. Zu umfangreich ist aber vor allem die Erfassung sogenannter
       Kontaktpersonen.
       
       Der Entwurf verlangt immerhin, dass die Kontaktpersonen eine
       rechtsextremistische Einstellung haben und mit den gefährlichen Personen in
       nicht nur flüchtigem Kontakt stehen … 
       
       Ja, völlig uferlos ist der Entwurf nicht, aber er erlaubt dennoch, dass
       fast die ganze rechtsradikale Szene in die Datei gewaltbereiter
       Rechtsextremisten aufgenommen wird. Wer von denen kennt nicht irgendeinen,
       der Gewalt bejaht oder schon ausgeübt hat? Das geht in Richtung einer
       Gesinnungsdatei, das lehne ich ab.
       
       Sie wollen also keine gläsernen Rechtsradikalen? 
       
       Kein Mensch soll gläsern sein, schon gar nicht für die Sicherheitsbehörden.
       Auch Rechtsextremisten haben einen Anspruch auf Datenschutz. Es geht bei
       dieser Datei ja auch gar nicht um die Erfassung neuer Daten, sondern um den
       Datenfluss bereits erhobener Daten zwischen den Sicherheitsbehörden, vor
       allem zwischen Verfassungsschutz und Polizei. Dort liegt für mich auch das
       eigentliche Problem des Gesetzentwurfs.
       
       Lehnen Sie die Zusammenarbeit von Geheimdienst und Polizei generell ab? 
       
       Nein, dies ist heute ja schon möglich und im Einzelfall auch sinnvoll. Eine
       Datenübermittlung sollte dann aber auch in jedem Einzelfall vorher geprüft
       werden. Wenn bestimmte Daten in einer Verbunddatei für alle
       Sicherheitsbehörden zugänglich sind, findet aber gerade keine
       Einzelfallprüfung mehr statt.
       
       Um welche Art von Daten geht es dabei? 
       
       Zu den Grunddaten, die grundsätzlich ohne Prüfung für alle
       Sicherheitsbehörden sichtbar sind, zählen zum Beispiel Informationen über
       die Mitgliedschaft in extremistischen Organisationen. Und zu den
       erweiterten Grunddaten, die nur im Eilfall ohne Prüfung sichtbar sind,
       gehören "Angaben zur Gefährlichkeit" einer Person. Das sind wirklich keine
       harmlosen Daten.
       
       Ist die gemeinsame Nutzung solcher Daten nur eine politische oder auch eine
       rechtliche Frage? 
       
       Ich sehe darin einen unverhältnismäßigen Eingriff in das Recht auf
       informationelle Selbstbestimmung. Der Verfassungsschutz sammelt Daten laut
       Gesetz schließlich schon im Vorfeld einer konkreten Gefahr. Es geht zu
       weit, wenn seine Daten ohne nähere Prüfung der Polizei zur Verfügung
       gestellt werden, die dann hoheitliche Befugnisse hat, zum Beispiel Menschen
       festnehmen und Wohnungen durchsuchen kann.
       
       Die prüfungslose gemeinsame Nutzung von Daten gibt es ja auch bei der 2007
       eingeführten Anti-Terror-Datei, in der gewaltbereite Islamisten gespeichert
       sind … 
       
       Die Neonazi-Datei ist der Anti-Terror-Datei weitgehend nachgebildet, und
       das Grundproblem, die gemeinsame Datennutzung von Polizei und
       Verfassungsschutz ohne Einzelfallprüfung, ist das gleiche. Deshalb wurde
       gegen die Anti-Terror-Datei bereits Verfassungsbeschwerde eingereicht, über
       die das Bundesverfassungsgericht nächstes Jahr entscheiden will. Ich würde
       es begrüßen, wenn der Bundestag mit der Neonazi-Datei wartet, bis Karlsruhe
       über die Anti-Terror-Datei geurteilt hat.
       
       Halten Sie die Klage für aussichtsreich? 
       
       Bis vor wenigen Wochen war ich ziemlich sicher, dass die Anti-Terror-Datei
       für verfassungswidrig erklärt wird. Seit der NSU-Terror bekannt wurde, hat
       sich allerdings die Stimmung gewandelt. Selbst Linke und Liberale sind
       jetzt für vereinfachten Datenfluss vom Verfassungsschutz zur Polizei. Ich
       befürchte, dass sich auch das Bundesverfassungsgericht davon beeindrucken
       lässt.
       
       Und Sie? Glauben Sie jetzt auch, dass so eine Datei sinnvoll und notwendig
       ist? 
       
       Nein, ich habe noch keine überzeugende Begründung gehört. Im Falle der
       Neonazi-Terrorgruppe NSU hat ja wohl auch der Verfassungsschutz keine
       Informationen über den Verbleib des untergetauchten Trios und dessen
       Verwicklung in die Mordserie gehabt. Was soll dann die Einrichtung eines
       gemeinsamen Datenpools bringen? Mir scheint, hier werden Pläne aus den
       Schubladen geholt, nur weil man sie angesichts der gegenwärtigen Stimmung
       für leicht durchsetzbar hält.
       
       Die Neonazi-Datei soll auch zu "Recherche- und Analysezwecken" mit
       "systematischen Abfragen" genutzt werden. Ist ein derartiges Data-Mining
       zur Verdachtsschöpfung zulässig? 
       
       Wenn sich die Auswertung der Daten auf die Mitglieder einer ohnehin
       gewaltbereiten Szene beschränkt, habe ich mit solchen Analysen keine
       Probleme. Abzulehnen ist aber die Einbeziehung völlig Unbeteiligter, wie
       etwa bei der Auswertung von Fluggastdaten.
       
       18 Dec 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christian Rath
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Rechter Terror
 (DIR) Schwerpunkt Rechter Terror
 (DIR) Schwerpunkt Rechter Terror
 (DIR) Schwerpunkt Rechter Terror
 (DIR) Schwerpunkt Rechter Terror
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Bundestag beschließt Neonazi-Datei: Name, Geburtstag, Lichtbild und mehr
       
       In einem zentralen Register werden in Zukunft Daten über „gewaltbezogene“
       Neonazis gespeichert. Die Daten können auch für Analysezwecke durchforstet
       werden.
       
 (DIR) Zentralregister für Neonazis: Auch Drahtzieher werden erfasst
       
       Union und FDP haben sich auf ein neues nationales Neonaziregister geeinigt.
       Dort sollen auch Hintermänner und Finanziers gespeichert werden.
       
 (DIR) Streit um Neonazi-Datei beendet: Keine Speicherung nur auf Verdacht
       
       Der Koalitionsstreit um die geplante Neonazi-Datei ist beigelegt.
       Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger setzte durch, dass nur die
       Daten von verurteilten Rechtsextremen gespeichert werden.
       
 (DIR) Neonazi-Morde und Behörden: Gezerre um die Aufklärung
       
       Wie lässt sich das Behördenversagen im Fall der Neonazi-Morde am besten
       untersuchen? Die Parteien streiten sich, jetzt hängt es an der SPD. Und die
       streitet auch.
       
 (DIR) Verfassungsschutz und NSU: Geld für falsche Pässe
       
       Der Thüringer Verfassungsschutz soll dem Neonazi-Trio 2.000 Mark bezahlt
       haben. Außerdem soll das Amt drei Exemplare des antisemitischen
       "Progomoly"-Spiels von ihnen erworben haben.
       
 (DIR) Demonstration gegen Verfassungsschutz: Schlappe für Schlapphüte
       
       Da staunt der Spitzel und der Spion wundert sich: Linke Protestler haben
       für drei Stunden das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz besetzt.
       
 (DIR) Neonazi-Abwehrzentrum: Die Wacht am Rhein
       
       Als Reaktion auf die Neonazi-Mordserie starten 40 Sicherheitsbehörden ein
       "Gemeinsames Abwehrzentrum" . Auch das Internet wird schärfer überwacht.
       
 (DIR) Das Akronym "NSU": Fahre Prinz und Du bist Nazi?
       
       Seit "NSU" für "Nationalsozialistischer Untergrund" steht, macht man sich
       bei Audi über die Neckarsulmer Motorenwerke (NSU) Sorgen. Fanartikel werden
       entsorgt.
       
 (DIR) Kommentar Behördenversagen Nazi-Morde: Doppelt und dreifach hält besser
       
       Die Parteien fordern verschiedene Instrumente, um die Fehler der
       Sicherheitsbehörden bei der Aufklärung der Nazi-Morde zu untersuchen.
       Hauptsache, sie kommen zu Ergebnissen.