# taz.de -- Debatte Arabische Revolution: Demokratie und Islam
       
       > Weder kommen die arabischen Demokratiebewegungen aus dem Nichts noch ist
       > ihr Verlauf überraschend. Denn entscheidend für den Erfolg ist die
       > jeweilige Militärkultur.
       
 (IMG) Bild: "Revolution" heißt es in dem Graffiti in Kairos Innenstadt.
       
       Warum hat die arabische Welt trotz ökonomischer Dauerkrise eine
       Demokratiebewegung hervorgebracht? Immerhin kann man auf ökonomischen Druck
       auch mit Faschismus antworten.
       
       Manche vergessen gerne, dass arabische Staaten und der Iran im 20.
       Jahrhundert gewisse, wenn auch kurzlebige Erfahrungen mit der Demokratie
       gemacht haben. Ägypten war in der Zwischenkriegszeit und kurz nach dem
       Zweiten Weltkrieg (1919-1952) eine Wahldemokratie. Das nationale
       Frauenwahlrecht wurde 1919 eingeführt - gleichzeitig mit Deutschland und
       den Vereinigten Staaten und etwa 25 Jahre vor Ländern wie Italien und
       Frankreich.
       
       Ausschlaggebend dafür, ob Revolutionen gelingen oder scheitern, ist auch
       die jeweilige Militärkultur. In Ägypten etwa beobachtete das Militär vor
       dem Sturz des Diktators Mubarak die Aufstandsentwicklung, es verhielt sich
       opportunistisch und schlug sich auf die Seite der Bevölkerung, als es
       merkte, dass diese sich gegen das Regime würde durchsetzen können.
       
       Generell galt und gilt hier das Militär als Einrichtung des Volkes, die
       Aufstiegsmöglichkeiten auch für untere Schichten bietet. Nach dem Vorgehen
       gegen die Revolutionäre ist mittlerweile aber unklar, wo das Militär steht.
       
       ## Militär eng an das Regime gebunden
       
       In Ländern wie Libyen, Jemen oder Syrien hingegen ist das Militär eng an
       das jeweilige autoritäre Regime gebunden. Es wird systematisch von der
       Bevölkerung ferngehalten, indem es Minderheiten wie die herrschenden
       Alawiten in Syrien prägen oder - in Gaddafis Libyen - ausländische
       Legionäre.
       
       Die Gefahr der Bildung einer militärischen Junta ist in Ägypten
       entsprechend gering. Das Militär wird das Land nicht dauerhaft selbst
       regieren wollen, dafür sind die Probleme zu komplex. Trotzdem ist noch
       unklar, welche Richtung die Generäle einschlagen.
       
       Während das türkische Militär jahrzehntelang ein antidemokratischer Hüter
       der säkularen Ordnung Atatürks war, ist das ägyptische Militär nicht so
       laizistisch geprägt. Es ist also wahrscheinlicher, dass es sich zum Hüter
       einer demokratischen Ordnung machen wird, auch wenn diese im Falle der
       Übernahme der Regierungsmehrheit durch Islamisten keine säkulare Demokratie
       wäre.
       
       Bei dem Besuch des türkischen Premierministers Erdogan im Sommer 2011 in
       Ägypten konnte man trotz des enormen Zuspruchs, den er erhielt, in der
       Öffentlichkeit auch Kritik am laizistischen Kurs der Türkei hören. Das
       Militär wäre also als Schutzpatron einer "islamischen Demokratie" relativ
       sicher, den konservativen Teil der Bevölkerung auf seiner Seite zu haben.
       
       ## Keine Facebook-Revolution
       
       Der dritte für den Verlauf der Revolutionen entscheidende Faktor sind die
       Medien und das viel gerühmte Internet. Ägypten war vor Ausbruch der
       Revolution bereits das Zentrum der arabischen Bloggerbewegung, ganz anders
       als Libyen oder Syrien mit ihrer restriktiven Internetpolitik.
       
       Trotzdem ist es falsch, von einer "Facebook-Revolution" zu sprechen. Der
       Begriff gehört ebenso wie der der "Jugendrevolution" zu den aktuellen
       Mythen des Arabischen Frühlings. Er ist selbst unter arabischen Bloggern
       höchst umstritten. Das Internet war bei den Umbrüchen in Tunesien und
       Ägypten gerade in den ersten Tagen bedeutsam, dann allerdings wurde es
       ebenso wie die gesamte Mobiltelefonie vom Regime abgestellt. Der Dynamik
       des Protests tat dies keinen Abbruch.
       
       Hinter dem Tahrirplatz in Kairo und in zahlreichen anderen Städten Ägyptens
       etwa bildeten sich, wie vorher bereits in Tunesien, kleine
       Demonstrationsgruppen, die durch Mund-zu-Mund-Propaganda Menschen aus ihren
       Häusern riefen und dabei ganz traditionelle Formen der
       Versammlungskommunikation entwickelten, wie sie Menschen schon seit
       Jahrtausenden praktizieren.
       
       Diese Prozesse werden von uns gerne übersehen, wir konzentrieren uns auf
       technische Innovationen, auf die neuen Medien, die häufig vom Westen
       geprägt worden sind und die uns insofern eine eigene Rolle in diesen
       welthistorischen Entwicklungen zu geben scheinen.
       
       Nicht zu verkennen ist auch, dass ohne den Einsatz der klassischen
       Massenmedien eine erfolgreiche Mobilisierung der Bevölkerungen Tunesiens
       und Ägyptens nicht möglich gewesen wäre.
       
       Nach der Abschaltung des Internets machte der Fernsehsender al-Dschasira
       aus dem Sturm der Proteste einen regelrechten Tsunami, al-Dschasira holte
       die Mittelschichten aus ihren Wohnungen. Hingegen berichtete al-Dschasira
       nicht über die Aufstände in Bahrain. Bei aller politischer Freiheit, die in
       diesem Sender herrscht, die Innenpolitik der Golfemirate stellt eine
       Tabuzone dar.
       
       Insgesamt aber ist es eindeutig, dass es zum Arabischen Frühling erst
       dadurch kommen konnte, dass sich aus bis dahin isolierten politischen
       Akteuren neue soziale Bewegungen und politische Bündnisse bildeten und dass
       diese in alter Kommunikation und neuen Medien Wege fanden, die arabischen
       Zivilgesellschaften gegen die Diktatur zu vereinigen.
       
       ## Erst spontan, nun Profis
       
       Für die Weiterentwicklung der arabischen Demokratien wird es entscheidend
       sein, dass neben der pluralistischen Besetzung der Parlamente soziale
       Bewegungen als außerparlamentarische Opposition aktiv bleiben. Nach den
       spontanen Aufständen des letzten Jahres ist gegenwärtig eine erhebliche
       Professionalisierung erkennbar.
       
       Aktivisten sind heute Kunden von Werbeagenturen, politische
       Kleinstgemeinschaften fordern basisdemokratische Rechte ein.
       Demonstrationen sind demnach auch nicht so sehr Alarmsignale eines
       demokratischen Scheiterns als vielmehr positive Anzeichen der Wachsamkeit.
       
       Nach den Wahlen und dem Erfolg islamischer Parteien in Tunesien und Ägypten
       ist eine gewisse Enttäuschung bei manchen Aktivisten zu erkennen, die nach
       "Demokratie" riefen, aber offenbar "Säkularität" meinten. Nichts aber wäre
       fataler für die Demokratie als ein möglicher Zerfall der bisherigen Einheit
       von sozialen Bewegungen, die stark säkular geprägt sind, und der nicht
       minder stark islamisch geprägten politischen Kultur und den Bevölkerungen.
       
       22 Dec 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Kai Hafez
       
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