# taz.de -- Debatte "Arabellion": Sirte als Menetekel
       
       > Dem Gaddafi-Regime muss man keine Träne nachweinen. Doch der Umgang mit
       > dem Exdiktator wirft einen Schatten auf Libyens Zukunft.
       
 (IMG) Bild: Gaddafis Geburtsort Sirte ist von wochenlangen Kämpfen stark zerstört.
       
       Wehe den Besiegten! Als die Taliban im September 1996 Kabul einnahmen, fiel
       ihnen der gestürzte kommunistische Machthaber Mohammed Nadschibullah in die
       Hände. Der einstige Satrap der Sowjets wurde gefoltert, verstümmelt und an
       einem Truck zu Tode geschleift, sein blutiger Leichnam zur Abschreckung
       öffentlich aufgehängt. Das brutale Vorgehen gab einen Vorgeschmack auf die
       Barbarei, die Afghanistan unter den Taliban erwarten sollte.
       
       So schlimm muss es in Libyen nicht kommen. Doch der Umgang mit Muammar
       al-Gaddafi, seinem Sohn Mutassim und deren letzten Gefolgsleuten wirft
       einen Schatten auf die Zukunft des Landes. Wenn nicht alles täuscht, wurden
       sie von einem Lynchmob ermordet. Auch das Schicksal von Gaddafis Geburtsort
       Sirte, der wochenlang beschossen und stark zerstört wurde, wirkt wie ein
       Menetekel.
       
       Wer früher in der Gunst des Diktators stand, so die Botschaft, hat keine
       Gnade zu erwarten. Die Nachricht von rassistischen Hetzjagden auf schwarze
       Afrikaner aus dem Süden, die als Söldner des alten Regimes denunziert
       werden, passt in dieses düstere Bild. Ebenso, dass 53 Gaddafi-Soldaten nach
       ihrer Gefangennahme in Sirte erschossen worden sein sollen.
       
       In die berechtigte Freude über den Sturz eines üblen Diktators mischt sich
       damit ein ungutes Gefühl. Nach langem Hin und Her hat der Übergangsrat
       internationalem Druck nachgegeben und eingewilligt, Gaddafis Todesumstände
       untersuchen zu lassen. Das dürfte ein Lippenbekenntnis bleiben. Schon der
       unaufgeklärte Mord an General Abdel Fattah Junis, der von Islamisten in den
       eigenen Reihen umgebracht worden sein soll, gab Anlass, am ernsthaften
       Willen und der Durchsetzungsfähigkeit des Übergangsrats zu zweifeln.
       
       ## Afghanistankämpfer in Tripolis
       
       Radikalislamische Milizen haben in den letzten Monaten die Speerspitze im
       Kampf gegen Gaddafi gebildet. Einer ihrer Anführer, Abdel Hakim Belhadsch,
       ein Afghanistankämpfer und ehemaliger Al-Qaida-Komplize, der sich heute
       geläutert gibt, wurde nach der Eroberung von Tripolis zum Militärkommandeur
       der Hauptstadt ernannt. Die Spannungen zwischen den Milizen und dem
       Übergangsrat treten nun offen zutage. Davon zeugt der Rücktritt des
       bisherigen Ministerpräsidenten Mahmud Dschibril, der von den Islamisten
       angefeindet wurde.
       
       Dass sein Kollege Mustafa Dschalil, der Präsident des Übergangsrats, diesen
       Kräften entgegenkommt, indem er die Scharia zur Grundlage der
       Rechtsprechung zu machen verspricht, ist nicht die größte Gefahr. Schon
       unter Gaddafi waren Libyens Gesetze von islamischen Normen beeinflusst, und
       auch in anderen arabischen Ländern wie Ägypten gilt die Scharia als eine
       Quelle des Rechtssystems.
       
       Das heißt nicht, dass dort - wie in Saudi-Arabien - Hände abgehackt oder -
       wie im Iran - sogenannte Ehebrecherinnen gesteinigt werden, sondern wirkt
       sich vor allem auf das Ehe- und Erbrecht aus. Allerdings geht die
       Ankündigung Dschalils, die Vielehe einzuführen, schon jetzt über das
       hinaus, was zu befürchten gewesen wäre.
       
       ## Was hält Libyen zusammen?
       
       Schwerer wiegt die Frage, ob es dem Übergangsrat überhaupt gelingt, die
       diversen Milizen, Stämme und Fraktionen zu einen. Dank der Waffen, die der
       Westen in das Land gepumpt hat, sind sie bis an die Zähne bewaffnet. Die
       gemeinsame Religion ist nur ein dünner Kitt. Wie flexibel man den Islam
       auslegen kann, zeigt der Umgang mit Gaddafis Leichnam. Nachdem dieser -
       allen Bräuchen zum Trotz - tagelang in einer Kühlhalle in Misurata wie eine
       Trophäe ausgestellt war, soll er auf Anweisung des Übergangsrats am Montag
       an einem unbekannten Ort verscharrt worden sein.
       
       Das Einzige, was die Rebellen bisher verband, war ihre erbitterte
       Feindschaft gegen den Gaddafi-Clan. Sie schweißte ehemalige Mitstreiter und
       Stützen seines Systems, die rechtzeitig die Seite wechselten, mit
       islamistischen Kämpfern und deren örtlichen Anführern zusammen. Nun fordern
       jene, die auf der Straße aktiv gegen Gaddafi gekämpft haben, ihren Tribut.
       
       Es mag richtig gewesen sein, dem Despoten in den Arm zu fallen, als er im
       März dieses Jahres drohte, die Aufständischen in Bengasi "Straße für
       Straße, Haus um Haus" jagen zu lassen. Ob es auch richtig war, die Rebellen
       militärisch so zu unterstützen und auszurüsten, dass sie Tripolis erobern
       und Gaddafis Armee besiegen konnten, ist weniger klar. Alles oder nichts,
       das war die Losung der Rebellen, der sich die Nato anschloss: Ein
       Kompromiss hatte von Anfang an keine Chance. Doch jetzt fehlt es an einer
       Armee und anderen Institutionen, die das Land zusammenhalten könnten.
       
       ## Naive Kriegsbegeisterung
       
       Es könnte sein, dass der Westen in Libyen den gleichen Fehler begangen hat
       wie in Afghanistan und im Irak. Auch dort wurde eine bestehende Ordnung
       zerstört - in Afghanistan durch die Unterstützung der Mudschaheddin, dann
       im Krieg gegen die Taliban, im Irak durch die radikale Beseitigung des
       Saddam-Regimes -, ohne danach für Stabilität sorgen zu können. Blutiges
       Chaos und jahrelange Bürgerkriege, die Hunderttausende Menschenleben
       kosteten, waren die Folge.
       
       Angesichts dieser Erfahrungen erstaunte die Selbstgewissheit, mit der die
       Nato gegen Gaddafi in den Krieg zog - wie auch die naive
       Kriegsbegeisterung, mit der manche deutsche Publizisten meinen, auch
       deutsche Soldaten hätten dort an vorderster Front kämpfen sollen. Denn
       solche Kriege enden nicht mit dem Tod des Diktators. Sie fangen danach oft
       erst richtig an.
       
       Immerhin hat die Nato es vermieden, mit Besatzungstruppen in Libyen
       einzumarschieren. Sich selbst überlassen werden die Sieger das Land dennoch
       nicht: Franzosen, Amerikaner Italiener und Briten wollen ihre
       Kriegsdividende einfahren. Auch wenn es nicht der Hauptgrund war: Man
       sollte nicht glauben, dass Öl habe in ihrem Kalkül keine Rolle gespielt.
       
       Dem Vorwurf der Doppelmoral kann sich der Westen deshalb nicht entziehen.
       Zum angeblichen "Schutz der Zivilbevölkerung" ist er in einen Krieg
       gezogen, der mindestens 30.000 - auch zivile - Opfer gekostet hat.
       Palästinenser, Bahrainer und Syrer aber lässt er weiter im Stich, auch wenn
       diese gewaltlos protestieren.
       
       27 Oct 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Daniel Bax
       
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