# taz.de -- Interview mit Stadtentwicklungssenator: "Die Mieten werden weiter steigen"
       
       > Stadtentwicklungssenator Michael Müller (SPD) setzt sich von seiner
       > Vorgängerin ab: Er will aktive Mietenpolitik betreiben.
       
 (IMG) Bild: Der neue Senator (rechts) in seiner Verwaltung.
       
       taz: Herr Müller, wann sind Sie zuletzt Fahrrad gefahren? 
       
       Michael Müller: Im September. Wir sind als Familie zum neuen Park am
       Gleisdreieck geradelt.
       
       Da haben Sie sich wahrscheinlich rundum wohlgefühlt, weil die Berliner
       Autofahrer, wie Sie kürzlich im Interview gesagt haben, so rücksichtsvoll
       sind. 
       
       Es gibt leider bei den Radfahrern wie bei den Autofahrern solche und
       solche. Wir wollen ein gutes Miteinander. Da muss jeder Rücksicht nehmen.
       
       Ein freundlicheres Signal haben Sie an die Mieterinnen und Mieter
       geschickt. Als erste Amtshandlung haben sie die anstehenden Mieterhöhungen
       der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften gestoppt. Ist Rot-Schwarz für
       die Mieter besser als Rot-Rot? 
       
       Wir haben auch als rot-rote Koalition einiges gemacht, zum Beispiel weitere
       Privatisierungen im Wohnungsbereich gestoppt und den Schutz vor
       Eigenbedarfskündigungen verlängert. Daran knüpfen wir als neugewählte
       Regierung an.
       
       Ihre Vorgängerin Ingeborg Junge-Reyer erweckte oft den Eindruck, als
       herrsche in Berlin immer noch ein entspannter Wohnungsmarkt. 
       
       Wir haben nach wie vor keine dramatische Situation. Ich will aber auch
       nicht, dass die Situation dramatisch wird. Also müssen wir jetzt reagieren,
       um die Mietpreisentwicklung in den nächsten Jahren dämpfen zu können.
       
       In dem Gesamtpaket, dass der Senat mit den sechs landeseigenen
       Wohnungsunternehmen anstrebt, wollen Sie weg von einheitlichen Mieten für
       alle Mieter in einem Haus. Vielmehr soll die Miete stärker an die
       individuellen Möglichkeiten der Mieter angepasst werden. 
       
       Sowohl bei Neuvermietungen als auch im Bestand müssen wir kreativer werden.
       Es ist ja nicht so, dass es in Berlin keine Mieter mit gutem Einkommen
       gäbe. Es gibt Mieter, die wollen, dass Bestände modernisiert werden, die
       akzeptieren, dass es entsprechende Mietsteigerungen gibt. Wir haben aber
       auch andere, die das nicht können, die schnell bei den nächsten
       Mieterhöhungen an ihre Grenzen kommen, die Angst vor Verdrängung haben. Ich
       erwarte von den Geschäftsführern der Wohnungsbaugesellschaften, dass sie
       sich die soziale Struktur in ihren Beständen genau ansehen.
       
       Der Verband Berlin Brandenburger Wohnungsunternehmen sagt: Die
       Wohnungsbaugesellschaften sind keine Wohnungsämter. 
       
       Ich erwarte von meinen Wohnungsunternehmen etwas anderes. Wenn wir
       Gesellschaften im Landesbesitz haben wollen, müssen sie anders agieren als
       private.
       
       Befürchten Sie nicht, dass die Gesellschaften wie die WBM handeln und
       sagen: Das Geld verdienen wir in Mitte, damit wir uns die billigeren Mieten
       in Spandau leisten können? 
       
       Wenn die Wohnungsbaugesellschaften weiterhin Mieten unter dem
       Mietspiegelniveau anbieten, in ihre Bestände investieren und ihre
       Verschuldung zurückfahren sollen, dann muss ich ihnen auch die Chance
       geben, in einigen Beständen Geld zu verdienen.
       
       Sie haben gerade sehr energisch gesagt: "meine Wohnungsbaugesellschaften".
       Ist das etwas, was Sie betonen müssen, weil es in der Vergangenheit nicht
       immer selbstverständlich war, dass das Land der alleinige Gesellschafter
       der WBM, der Stadt und Land, der Gesobau, der Gewobag, der Howoge und der
       Degewo ist? 
       
       Ja. Es gibt aus gutem Grund städtische Unternehmen. Das sind ja nicht nur
       die Wohnungsbaugesellschaften, das ist auch Vivantes, die BVG oder die BSR.
       Wir wollen diese Unternehmen in Landesbesitz, weil sie einen elementaren
       Lebensbereich der Berlinerinnen und Berliner abdecken. Dann muss auch den
       Geschäftsführern der Wohnungsbaugesellschaften klar sein: Sie sind
       landeseigene Unternehmen mit einem speziellen Gemeinwohlauftrag. Daran
       haben sie sich zu orientieren, und sie tun das ja auch. Ab und zu daran zu
       erinnern, finde ich nicht schädlich.
       
       Sie setzen zum ersten Mal auf das Instrument einer Zielvereinbarung. Wieso
       wurde das nicht früher gemacht? 
       
       Es gab Vereinbarungen, die sich hauptsächlich auf die finanzielle und
       wirtschaftliche Situation der Unternehmen beschränkt haben. Nun wollen wir
       einen nächsten Schritt machen. Jetzt geht es auch um Mieten und Baupolitik.
       
       Haben Sie da bei den Geschäftsführern offene Türen eingerannt? 
       
       Die Geschäftsführer sehen, was in der Stadt debattiert wird. Auf der
       anderen Seite sagen sie aber auch: Ihr müsst als Politik sehen, was wir von
       all dem leisten können. Und ihr müsst uns dann auch unterstützen. Wenn sie
       jetzt also auch noch bauen sollen, dann kann ich als Senator nicht sagen:
       Ihr dürft nie und nimmer Geld verdienen.
       
       Das Thema Neubau nimmt im Koalitionsvertrag breiten Raum ein. Allerdings
       schwirren da auch unterschiedliche Zahlen durch den Raum. Zum einen wollen
       Sie 30.000 Wohnungen neu bauen. Zum anderen sollen die Bestände der
       landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften von 270.000 auf 300.000 aufgestockt
       werden. 
       
       Wir wollen zum einen mindestens 30.000 zusätzliche Wohnungen haben …
       
       … die bauen die Privaten auch ohne dass es SPD und CDU in den
       Koalitionsvertrag schreiben. 
       
       Ein Selbstläufer ist das nicht. Wenn wir sagen, wir wollen 30.000 neue
       Wohnungen, dann können das private und städtische sein. Wir haben zweitens
       den Anspruch, dass die Gesellschaften ihre Bestände auf insgesamt 300.000
       Wohnungen erhöhen. Dass muss nicht Neubau sein, das kann auch der Zukauf
       aus anderen Beständen sein. Da kann es also Schnittmengen geben, muss aber
       nicht.
       
       Neubau war für die Wohnungsbaugesellschaften bislang eher ein Fremdwort.
       Können die das überhaupt? 
       
       Ich denke, dass sie da gut darauf vorbereitet sind. Sie haben
       Flächenreserven. Und sie haben Modelle und Vorschläge, wie sie das
       bewerkstelligen wollen. Dazu gehört, dass natürlich auch beim Neubau die
       Mieten differenziert gestaltet werden können.
       
       Also oben teuer, unten billiger. 
       
       Zum Beispiel. Man kann aber auch nach Ausstattung differenzieren oder
       unterschiedlich große Wohnungen anbieten.
       
       Eine der Forderungen der Gesellschaften lautet: Wir wollen landeseigene
       Grundstücke zum Nulltarif, sonst können wir nicht sozial bauen. 
       
       Das ist einer von mehreren Punkten. Allerdings macht der Grundstückspreis
       nur einen geringen Teil der Baukosten aus. Dennoch haben wir uns - auch mit
       dem Finanzsenator - verständigt, dass Liegenschaften nicht mehr nur nach
       dem Höchstpreis verkauft werden. Mindestens genauso wichtig ist aber auch
       die Flexibilität bei der Mietgestaltung.
       
       Selbst wenn eine Wohnungsbaugesellschaft beim Neubau unterschiedliche
       Mieten verlangen kann, werden diese nicht unter acht Euro nettokalt liegen. 
       
       Erstmal freue ich mich über jede neue Wohnung. Auch weil es dann an anderer
       Stelle wieder eine Entlastung gibt. Aber sie haben schon recht: Wenn es um
       günstige Mieten geht, ist natürlich vor allem der Bestand gefragt. Auch
       hier müssen wir sorgsam agieren, damit nicht der Bestand zu einem
       Mietpreistreiber wird. Und dann gibt es noch die Genossenschaften.
       
       Die ja, anders als die Wohnungsbaugesellschaften, bereits bauen. 
       
       Die Genossenschaften wollen wir als Senat besonders fördern. Da gibt es
       einen ersten Topf von rund 15 Millionen Euro, den wir den Genossenschaften
       angeboten haben. Es geht vor allem um den Bau von kleinen Wohnungen, auch
       in schwierigen sozialen Gebieten. Da wollen wir also mit Geld fördern, dass
       die Mieten entsprechend günstig sind.
       
       Wenn Sie von der Entlastung durch den Neubau sprechen, spielen Sie auf den
       sogenannten Sickereffekt an: Jemand, der in eine teure Wohnung zieht, macht
       eine billige frei. Das ist die Theorie, die in der Praxis meist am Zuschlag
       für die Neuvermietung scheitert. Eine Möglichkeit wäre, dass die
       Wohnungsbaugesellschaften bei Umzügen in den eigenen Beständen auf diesen
       Zuschlag verzichten. 
       
       Auch das werden wir prüfen. Schließlich verändern sich auch die
       Lebenssituationen innerhalb der Mieterschaft. Da kann es sein, dass Mieter
       zwar ihre Wohnung, nicht aber ihre Gesellschaft verlassen wollen. Da sollte
       es Angebote geben, ohne, dass sich bei der Neuvermietung die Miete erhöht.
       
       Mit Wohnungsneubau alleine werden Sie der steigenden Mieten aber nicht Herr
       werden. Mit welchen Instrumenten wollen sie dem Druck sonst noch begegnen? 
       
       Man muss ehrlich sein: Alles, was wir machen und vorhaben, hilft. Aber es
       wird die Entwicklung auf dem Mietenmarkt nach oben nicht stoppen können.
       Auch 300.000 städtische Wohnungen sind nur ein kleiner Teil des Marktes.
       Was die Instrumente angeht, haben wir zwei im Auge. Zum einen unsere
       Bundesratsinitiative, die die Mietsteigerungen und die
       Modernisierungsumlage begrenzen soll.
       
       Da war Schwaz-Gelb bislang kein Freund der SPD. 
       
       Das liegt momentan im Bundesrat, weil es im Zusammenhang mit der
       Mieteninitiative der Bundesregierung diskutiert werden soll. Tatsächlich
       ist leider nicht zu erkennen, dass wir von anderen Bundesländern viel
       Unterstützung bekommen. Wir bleiben aber aktiv, zumindest andere Städte
       haben ähnliche Probleme. Das zweite ist die berühmte
       Zweckentfremdungsverbotsverordnung …
       
       … bei der Ihr Koalitionspartner CDU auf die Bremse tritt. 
       
       Nein. Das Problem ist, dass die Gerichte eben diese Verordnung in der
       Vergangenheit für nichtig erklärt haben. Die Begründung damals: Es gebe
       genug freien Wohnraum, der ein Zweckentfremdungsverbot unnötig mache. Wir
       prüfen nun, ob da angesichts des steigenden Drucks auf den Wohnungsmarkt
       eine Wiedereinführung möglich ist.
       
       In Hamburg werden Eigentümer in Milieuschutzgebieten zu sozialen Zielen
       verpflichtet. Kommen die Eigentümer dem nicht nach, kann die Kommune das
       entsprechende Grundstück selbst kaufen. Kann Berlin von Hamburg lernen? 
       
       Das ist so. Genauso wie wir auch von München lernen können, wo es bei
       Neubauprojekten die Auflage an Investoren gibt, für bestimmte Wohnungen
       eine Sozialbindung zu akzeptieren. Das alles sehen wir uns genau an.
       
       Wird Ihnen manchmal angst und bange, wenn sie sehen, wie die Mieten in
       Berlin steigen und wie wenig Instrumente Ihnen im Gegenzug da zur Verfügung
       stehen? 
       
       Die Mieten lassen sich nicht auf Knopfdruck stoppen. Die Instrumente, die
       da sind, will ich aber nutzen. Ich will die Mietenpolitik aktiv gestalten
       und nicht nur zuschauen. Trotzdem wird die Entwicklung in den kommenden
       Jahren so sein, dass die Mieten Schritt für Schritt steigen. Und oft geht
       damit ja eine Modernisierung des Bestandes einher. Das ist ja nichts
       Negatives. Wer zahlt schon gerne hohe Energiekosten? Gerade wegen einer
       Modernisierung sind Mietsteigerungen dann hoffentlich warmmietenneutral.
       
       Als Wirtschaftssenator hätten Sie dafür sorgen können, dass nicht nur die
       Mieten steigen, sondern auch die Einkommen. Wäre das nicht der bessere
       Posten für Sie gewesen? 
       
       Als Wirtschaftssenator hätte ich es etwas überschaubarer gehabt. Spannender
       und interessanter ist dagegen die Aufgabe als Stadtentwicklungssenator.
       
       Werden Sie die vollen fünf Jahre der Legislaturperiode im Amt bleiben? 
       
       Nun bin ich doch grade erst angekommen, habe meine Kisten ausgepackt und
       lerne jeden Tag. Ich freu mich auf die nächsten fünf Jahre.
       
       2013 könnte das Amt des Regierenden Bürgermeisters vakant werden. 
       
       Das ist nicht zu erkennen.
       
       17 Jan 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Uwe Rada
       
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 (DIR) Wohnungsmarkt
       
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