# taz.de -- Mehrheit erreicht, Kanzlermehrheit verfehlt: 130 Milliarden für Griechenland
       
       > Das Parlament beschließt ein neues Hilfspaket. Kanzlerin Angela Merkel
       > erklärt viel und schafft es doch nicht, die tiefen Risse in ihrer eigenen
       > Koalition zu überdecken.
       
 (IMG) Bild: Trotz großer Mehrheit fehlt die symbolisch wichtige Kanzlermehrheit.
       
       BERLIN taz | Peer Steinbrück hat sich ein Zitat des Schriftstellers
       Ferdinand Lassalle herausgesucht. „Sagen, was ist“, das sei Politik, ruft
       der Sozialdemokrat am Anfang seiner Rede im Bundestag. Und genau das, eine
       ehrliche Aussage über die Zukunft Griechenlands, das vermisse er von der
       Bundeskanzlerin.
       
       In der Tat trifft der Abgeordnete Steinbrück mit diesem Satz einen wunden
       Punkt der schwarz-gelben Koalition. Am Montagabend beschloss der Bundestag
       mit einer sehr großen Mehrheit das zweite milliardenschwere Hilfspaket für
       Griechenland. Doch Union und FDP schafften es nicht, die internen
       Widersprüche und Risse in der Debatte zu übertünchen.
       
       Für den Gesetzentwurf stimmte die große Mehrheit von 304 Abgeordneten der
       Koalition, die symbolisch wichtige Kanzlermehrheit von 311 Stimmen wurde
       aber knapp verfehlt. Bei der Union gab es 13 Nein-Stimmen und zwei
       Enthaltungen, bei der FDP votierten vier Abgeordnete gegen das Gesetz, es
       gab eine Enthaltung. Insgesamt fehlten sechs Abgeordnete der Koalition bei
       der Abstimmung.
       
       Kanzlerin Angela Merkel (CDU) eröffnet die Debatte mit einer
       Regierungserklärung. Und leitet ihre Politik mit Sätzen her, die sie schon
       oft gesagt hat. Sie betont, dass mit dem Euro auch Europa scheitert. Dass
       noch ein langer Weg vor Griechenland und Europa liege. Dass die Krise nicht
       mit einem Paukenschlag zu lösen sei. All dies klingt vertraut.
       
       Auf die wachsende Skepsis in den eigenen Reihen geht Merkel jedoch nur vage
       ein. Sie höre wohl die Stimmen, sagt sie, die Griechenland als Fass ohne
       Boden bezeichnen. „Doch nach Abwägung aller Erkenntnisse glaube ich, dass
       die Chancen, die im neuen Programm liegen, die Risiken überwiegen.“
       
       ## Fass ohne Boden
       
       Rechts hinter ihr sitzt Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) auf der
       Kabinettsbank. Merkel erwähnt ihn mit keinem Wort. Friedrich ist einer
       derjenigen, der an das Fass ohne Boden glaubt. Er hatte Merkel am
       Wochenende brüskiert, indem er Griechenland zum Austritt aus der Eurozone
       riet. Merkel ließ ihn vor der Plenardebatte über ihren Sprecher
       zurechtweisen – und wird intern klare Worte gesprochen haben. Schon vor der
       Fraktionssitzung der Union am Vormittag räumte Friedrich kleinlaut ein,
       dass er keineswegs am Rettungskurs der Kanzlerin zweifle.
       
       Dass die Krise mit diesem Paket keineswegs ausgestanden ist, belegt Merkel
       dann mit einer Ankündigung. Zwar lehnt sie eine Aufstockung des dauerhaften
       Rettungsschirms ESM erneut ab. Doch sie kündigt an, dass Deutschland den
       ESM schneller ausstatten will. Die Regierung werde in diesem Jahr mit elf
       Milliarden Euro die Hälfte seines Anteils in den Fonds einzahlen und schon
       2013 die nächste Hälfte. Ursprünglich sollte diese Überweisung auf fünf
       Jahre gestreckt werden.
       
       Es ist nicht Merkels beste Rede – und eine, die viele Unklarheiten der
       Griechenland-Rettung einfach ignoriert. Steinbrück, der Hauptredner der
       SPD, hat es leicht, sein Bild des Lassalle-Satzes gegen die Regierung zu
       wenden. Genießerisch hält er Merkel vor, das Paket sei „auf dünnes Eis“
       gesetzt. Und zählt auf: Unklar sei, ob die Banken ihren Anteil an der
       Umschuldung liefern.
       
       Unklar sei, ob Griechenland durch das Paket seine Schulden selbst tragen
       könne. Selbst die Troika zweifle, dass Griechenland den vereinbarten
       Schuldenstand einhalten könne. Selbst Merkels Finanzminister gehe davon
       aus, dass weitere Hilfen nötig seien.
       
       ## Betretene Mienen
       
       Steinbrück redet sich in Fahrt, er wird fast nach jedem Satz von Applaus
       von SPD und Grünen unterbrochen. Auf der Regierungsbank sitzen Merkel und
       Schäuble mit betretenen Mienen. Sie wissen: Steinbrück zitiert nur bekannte
       Fakten.
       
       Als Steinbrück aber geißelt, dass das Paket der griechischen Wirtschaft
       keine Wachstumsperspektiven eröffne, könnte er vielleicht – nach Lassalle –
       erwähnen, dass auch die Pläne seiner Partei sehr nebulös sind. Für die
       Grünen redet Fraktionschefin Renate Künast. Sie klärt den Widerspruch, dass
       SPD wie Grüne die Regierung zwar scharf kritisieren – letztlich aber dem
       Hilfsprogramm zustimmen werden. Das Paket sei „nötig und sinnvoll“, komme
       aber zu spät, ruft Künast. Merkel habe durch ihr Zögern die Krise noch
       angefacht.
       
       Für Aufregung sorgt eine rhetorische Fehlleistung von Linke-Fraktionschef
       Gregor Gysi. Er vergleicht die Sparvorgaben an Griechenland mit dem
       Versailler Vertrag, der das Deutsche Reich nach dem Ersten Weltkrieg zu
       Reparationszahlungen verpflichtete. Gysi begründet die ablehnende Haltung
       seiner Fraktion. Von dem Geld würden die Banken profitieren, aber nicht die
       griechischen Bürger. Seine Fraktion stimmt am Ende als einzige gegen das
       Hilfsprogramm.
       
       27 Feb 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ulrich Schulte
       
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