# taz.de -- Arbeitskampf in Frankreich: Nichts zu danken!
       
       > Lejaby war mehr als eine Marke, mehr als ein Job. Wie Arbeiterinnen die
       > Schließung ihrer BH-Fabrik verhinderten. Und wie Nicolas Sarkozy das für
       > sich nutzt.
       
 (IMG) Bild: Protest gegen die Schließung der BH-Fabrik Lejaby in Lyon im Januar.
       
       YSSINGEAUX taz | „Endlich kommt die Frühlingssonne, und wir müssen morgen
       zurück an die Arbeit“, ruft eine Frau in einem Parka, der mehrere Aufkleber
       mit kämpferischen Parolen trägt. Vor dem niedrigen Fabrikgebäude flattern
       die roten Fahnen der CGT-Gewerkschaft in einer steifen Brise. In den
       schattigen Winkeln liegt noch Schnee in dieser hoch gelegenen Gegend der
       Auvergne.
       
       Es herrscht rege Betriebsamkeit – draußen, nicht in den Ateliers. Die
       Näherinnen der Unterwäschefirma Lejaby haben sich zu einem europäischen
       „Aktionstag für Beschäftigung und soziale Gerechtigkeit“ vor dem Betrieb
       versammelt. Überall hängen noch Spruchbänder gegen die Schließung von
       Lejaby.
       
       „Non à la délocalisation“ („Nein zur Produktionsverlagerung“) ist auf einem
       mit Spitzen neckisch verzierten Schild im Eingang zu lesen, wo in einer
       Kiste noch unfertige Reste einer letzten Serie Trägertops liegen.
       
       Den Winter hindurch haben die Lejaby-Arbeiterinnen gegen die Stilllegung
       ihrer Fabrik gekämpft. Nun werden sie umgeschult. „Das dauert neun Monate,
       wie jede gute Niederkunft“, scherzt mit schelmischem Blick hinter ihren
       getönten Brillengläsern eine knapp Fünfzigjährige, die sich als Danielle
       Chambon vorstellt. Bereitwillig geben sie und ihre Kolleginnen Auskunft.
       
       „Ab morgen haben wir einen neuen Boss, eine andere Arbeit, aber am gleichen
       Ort. Das ist unser Sieg“, sagt eine Dritte. Doch zum Lachen ist Chantal
       Gibert eigentlich nicht zumute. Ihren wachen, aber traurigen Augen ist es
       anzusehen, dass sie ihr Leben lang hart arbeiten musste.
       
       ## Traum, Verkäuferin zu werden
       
       Ihre Geschichte, sagt die 48-Jährige, gleiche der ihrer Kolleginnen.
       Bereits mit 17 kam sie in die damals noch florierende Bademoden- und
       Unterwäschefabrik. Ihr Traum, Verkäuferin in einem Modegeschäft zu werden,
       ließ sich nie realisieren. Nach mehr als dreißig Jahren emsigen Arbeitens
       bei Lejaby kam sie auf einen Lohn von rund 1.200 Euro netto – nicht genug
       für die alleinerziehende Mutter. An den Wochenenden arbeitete sie deswegen
       in einem Restaurant als Abwaschhilfe.
       
       Als sich im letzten Herbst die Stilllegung des Betriebs abzeichnete, drohte
       eine Welt für sie zusammenzubrechen. Eine Kapitulation kam nicht infrage.
       Das entspricht nicht der Mentalität dieser Fabrikarbeiterinnen, denen nie
       etwas geschenkt wurde.
       
       Im Verlauf der letzten Monate ist Chantal zu einer Art Sprecherin ihrer
       „copines“ (Freundinnen) geworden. Sie verhandelt mit Journalisten, gibt
       Fernsehinterviews. „Wir wären alle nicht hier, wenn wir uns nicht gewehrt
       hätten“, sagt sie und spricht vom ungemeinen Zusammengehörigkeitsgefühl der
       Arbeiterinnen, das für den Arbeitskampf ausschlaggebend gewesen sei. „Das
       Schlimmste war für uns die Vorstellung, auseinandergerissen zu werden“,
       bestätigt ihre langjährige Kollegin Danielle. Die anderen nicken, ohne viel
       Worte zu verlieren.
       
       Zu den Lejaby-Arbeiterinnen gesellt sich der lokale Sekretär der
       CGT-Textilgewerkschaft. Raymond Vacheron ist schon deutlich über 60, ein
       gesprächiger Mann mit weißen Locken und eine Legende der Arbeiterbewegung
       in der Auvergne. Auf den „exemplarischen Kampf bei Lejaby“ ist er besonders
       stolz. Er schreibt sich gern ein Stück vom Erfolg zu, weil er die
       Kolleginnen gut beraten hat.
       
       ## Ein bisschen Wehmut
       
       Wie zu einem Siegerfoto nach gewonnenem Match stellen sich die neunzig
       Frauen und drei Männer, die sich selber immer noch „die Lejabys“ nennen,
       für ein Gruppenbild vor den Werkseingang. Ein bisschen Wehmut ist ihren
       Gesichtern anzusehen. Lejaby, das war ja nicht einfach ein Job, sondern wie
       eine zweite große Familie. Dennoch ist die Stimmung nicht gedrückt.
       
       Die Frauen lachen viel und zeigen, wie selbstbewusst sie geworden sind. Das
       möchte auch die CGT-Personalsprecherin Bernadette Pessemesse mit ihrer
       Ansprache zeigen. Sie ist nicht gewohnt, vor so vielen Leuten zu sprechen,
       doch ihr Ton ist feierlich: „Wer hätte gedacht, dass Yssingeaux eines Tages
       dank uns Frauen von Lejaby zu einer Bastion der Arbeiterbewegung würde.
       Unser Kampf beweist, dass nichts im Voraus entschieden ist.“
       
       Seit dem 1. März werden die Näherinnen in ihre neue Tätigkeit eingeführt.
       Statt Seide und Spitze zu verarbeiten, werden sie künftig Lederwaren
       herstellen. Sie konnten nicht verhindern, dass die alten Maschinen nach
       Sfax in Tunesien transportiert wurden, wo die Artikel von Lejaby zukünftig
       auch von Frauen, aber zu einem etwa viermal niedrigeren Gehalt hergestellt
       werden. Auf die Frage, ob sie den Tunesierinnen deswegen böse seien,
       antwortet Danielle Chambon: „Mit dem, was die verdienen, können sie sich
       keine Lejaby-Produkte leisten – ebenso wenig wie wir vorher.“
       
       ## Letzte MohikanerInnen
       
       Yssingeaux war schon immer eine Hochburg der Textilfabrikation.
       Zehntausende Frauen besserten einst mit Spitzenklöppeln das
       Familieneinkommen in diesem kargen Teil des französischen Zentralmassivs
       auf. Eine große Freske auf einer Hausfassade erinnert noch an diese Epoche.
       Die neunzig Frauen und drei Männer, die bis zum Schluss bei Lejaby tätig
       waren, dürften sich wie die letzten MohikanerInnen dieser lokalen
       Textilmanufaktur gefühlt haben.
       
       Bis in die 70er Jahre war die 1930 gegründete BH-Firma eine
       Erfolgsgeschichte. Sie galt als Aushängeschild für Eleganz und
       französisches Savoir-faire. Lejaby kaufte andere Wäsche- und
       Badebekleidungsmarken wie Rasurel und Olympic hinzu. Am Ende hatte sich das
       französische Unternehmen im Wettlauf mit der internationalen Konkurrenz
       übernommen.
       
       Ab 1996 folgten Besitzerwechsel, Sanierungen. Ein Werk nach dem anderen
       wurde geschlossen, die Produktion nach Marokko, Tunesien und China
       verlagert. „Wie oft sagte man uns: Schnell, schnell, sonst geht die Arbeit
       nach Tunesien“, erinnert sich Chantal Gibert. Am 27. Oktober 2011 meldete
       Lejaby Konkurs an, am 22. Dezember wurde die Liquidierung gerichtlich
       angeordnet.
       
       Die Lejaby-Arbeiterinnen, die ihr Berufsleben an der Nähmaschine verbracht
       hatten, waren im Durchschnitt um die 50. Verraten und verkauft fühlten sie
       sich, als das Handelsgericht einen Käufer bestimmte, der nur den Verkauf in
       Frankreich aufrecht erhalten wollte und dafür 7 Millionen Euro in die
       Marke, nicht aber in die Fortsetzung der Fabrikation investieren wollte. Am
       21. Januar besetzten Chantal Gibert, Danielle Chambon und ihre Kolleginnen
       die Fabrik, informierten die Presse und organisierten mit Hilfe der
       Gewerkschaft Demonstrationen.
       
       ## Lejaby wurde zum Testfall
       
       „Mehr als die laute Wut haben ihre zornigen Tränen im Fernsehen die Nation
       bewegt“, sagt Gewerkschaftssekretär Raymond Vacheron. Viele Franzosen
       konnten sich gut mit den Frauen identifizieren, die sich nach dreißig
       Jahren Arbeit „wie Papiertaschentücher“ weggeworfen fühlten. Das hätte die
       Politiker trotzdem kalt gelassen, wäre nicht gerade
       Präsidentschaftswahlkampf. Lejaby wurde zum Testfall. Unter dem Druck der
       Medien versprach Staatschef und Präsidentschaftskandidat Nicolas Sarkozy,
       er finde eine Lösung.
       
       Doch es war der sozialistische Globalisierungskritiker Arnaud Montebourg,
       der wenig später mit einer ehemaligen Managerin der französischen
       Wäschemarke Princesse tam tam und einem konkreten Übernahmeplan in der
       Fabrik aufkreuzte. „Ohne ihn wäre gar nichts gegangen“, sagt Chantal
       Gibert. Denn so kam Laurent Wauquiez, Hochschulminister der konservativen
       Regierung und Bürgermeister im benachbarten Le-Puy-en-Velay, in Zugzwang.
       
       Er fand einen Unternehmer aus der Region, der nicht Seide und Spitzen
       verarbeitet, sondern Lederwaren für den Luxusweltkonzern LVMH liefert, der
       opportuner Weise Bernard Arnault gehört. Als ehemaliger Trauzeuge von
       Sarkozy erweist dieser dem Präsidenten gern mal einen Gefallen.
       
       „Drei positive Faktoren erklären unseren Erfolg“, analysiert der
       Gewerkschafter den Arbeitskampf im Nachhinein: „Erstens haben sich die
       Lejabys sehr clever zur Wehr gesetzt, zweitens war es für uns wegen der
       Wahlen eine politisch günstige Situation, und drittens suchte der
       Lederwarenfabrikant tatsächlich für seine LVMH-Aufträge einen zusätzlichen
       Produktionsort.“
       
       Werden nun Chantal, Danielle, Bernadette und die anderen aus Dankbarkeit
       Sarkozy wählen? „Nein!“, lautet im Chor ihre Antwort. Trotzdem kam der
       Präsident wenige Tage später zu Besuch. Er wollte schauen, wie die
       Umschulung klappt. Auf das erhoffte Merci plus Küsschen vor der Kamera
       wartete er in Yssingeaux vergebens. Trotzdem schwärmt er von einer „schönen
       Geschichte, die gut endet“ – und die bestens in sein Kampagnendrehbuch
       passt.
       
       2 Apr 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Rudolf Balmer
       
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