# taz.de -- Die Gewalt in Syrien wird eher eskalieren: „Die zivile Bewegung ist entscheidend“
       
       > Steht Syrien vor dem Ende der Gewalt? Muriel Asseburg von der Stiftung
       > Wissenschaft und Politik rechnet eher mit Eskalation – nicht nur
       > vonseiten des Assad-Regimes.
       
 (IMG) Bild: Nicht nur von Assad, auch seitens der Rebellen könnte eine Eskalation der Gewalt ausgehen.
       
       taz: Nach über einem Jahr der Gewalt in Syrien hat Machthaber Assad einer
       Waffenruhe zugestimmt. Gibt es Grund zur Hoffnung? 
       
       Muriel Asseburg: Die Regierung in Damaskus hat zwar den Plan des
       Vermittlers der UN und der Arabischen Liga, Kofi Annan, akzeptiert und
       angekündigt, bis zum 10. April das Militär aus den umkämpften Städten
       abzuziehen und die Waffenruhe einzuhalten. Aber ich habe wenig Hoffnung,
       dass dies auch tatsächlich geschieht.
       
       Womit rechnen Sie stattdessen? 
       
       Mit einer weiteren Eskalation der bewaffneten Auseinandersetzung – vor
       allem, aber nicht ausschließlich vonseiten des Regimes. Man sollte nicht
       übersehen, dass beim Treffen der sogenannten Freunde Syriens letzte Woche
       in Istanbul massive finanzielle Unterstützung für Opposition und Rebellen
       zugesagt wurde. Im Gespräch sind 100 Millionen Dollar, die unter anderem
       für den Sold von Überläufern eingesetzt werden sollen. Das befördert nicht
       gerade das Ende der militärischen Konfrontation.
       
       Entspricht dies nicht auch der Skepsis, dass Assad es mit der Waffenruhe
       kaum ernst meint? 
       
       Das Misstrauen ist gerechtfertigt. Die Frage ist aber: Was bringt die
       Ausstattungshilfe? Es wird kaum gelingen, die Rebellen so weit aufzurüsten,
       dass sie die reguläre syrische Armee tatsächlich besiegen oder die
       Bevölkerung effektiv schützen können. Und diejenigen, die militärische oder
       logistische Unterstützung für die Rebellen beschlossen haben, stellen sich
       damit in Widerspruch zum Annan-Plan, den sie angeblich unterstützen.
       
       Die Militärhilfe wurde von den Golfstaaten ins Spiel gebracht. Welche
       Interessen haben die Scheichs? 
       
       Es liegt auf der Hand, dass es Katar und Saudi-Arabien nicht um
       demokratischen Wandel, Menschenrechte und die syrische Zivilbevölkerung
       geht. Ihre Hauptmotivation ist, Syrien als Einfallstor des Iran in die
       arabische Welt zu schließen. Teherans Einfluss in der Region soll
       eingedämmt, die „Geländegewinne“, die der Iran seit der Invasion der USA im
       Irak erzielt hat, sollen rückgängig gemacht werden. Konfessionelle und
       regionalpolitische Interessen stehen für die arabischen Golfstaaten klar im
       Vordergrund.
       
       Schiiten gegen Sunniten: Läuft in Syrien ein Stellvertreterkrieg? 
       
       Es besteht die Gefahr, dass sich der Konflikt zu einem solchen entwickelt.
       Aber man darf dabei nicht den Ursprung des Konflikts aus den Augen
       verlieren, der ein genuin syrischer ist, nämlich der Protest gegen das
       autoritäre Assad-Regime. An seinem Anfang stand eine zivile
       Protestbewegung, deren Widerstand trotz der Repression des Regimes seit nun
       über einem Jahr anhält und die nichts mit den Interessen in Katar oder
       Saudi-Arabien zu tun hat. Wenn es um den Aufbau eines neuen Syriens geht,
       dann ist die zivile Bewegung entscheidend – nicht die Rebellen.
       
       Nach langem Streit rückt die internationale Gemeinschaft nun ein bisschen
       enger zusammen. Ein Paradigmenwechsel? 
       
       Den sehe ich nicht. Annan hat es zwar geschafft, China und Russland mit ins
       Boot zu holen und so die Sicherheitsratsmitglieder hinter sich zu einen.
       Das ist zweifellos ein wichtiger Fortschritt. Nun wird auch Moskau Assad
       daran messen, ob er den Annan-Plan umsetzt oder nicht. Nach wie vor gibt es
       aber keine Einigkeit über weiter gehende Schritte.
       
       Warum ändert Moskau seinen Kurs? 
       
       Um den politischen Schaden zu begrenzen. Russland würde aufseiten des
       Assad-Regimes in die Isolation mit hineingezogen. Das stünde nicht zuletzt
       dem vor allem wirtschaftlich begründeten Interesse Moskaus entgegen, die
       Beziehungen zu den Golfstaaten auszubauen.
       
       Hätte Russland nicht früher in eine diplomatische Front gegen Assad
       eingebunden werden können? 
       
       Nicht nur deutsche Vertreter haben versucht, auf Russland zuzugehen.
       Vielleicht hätte man das noch stärker tun können. Aber der Spielraum dafür
       war sehr begrenzt. Moskau ist lange davon ausgegangen, dass sich das
       Assad-Regime wieder konsolidiert. Als diese Einschätzung nicht mehr
       begründet war, hat Moskau seine Position angepasst.
       
       Hat der Westen eine Mitverantwortung für das Andauern der Gewalt? 
       
       Ich sehe keine realistischen Optionen, die die westlichen Regierungen
       gehabt hätten, um die Gewalt zu beenden. Eine Militärintervention in Syrien
       etwa hätte wenig Aussicht, zu einer Beruhigung der Lage beizutragen, und
       dürfte im Gegenteil die Opferzahlen weiter in die Höhe treiben. Ein
       verhandelter Übergang wäre sicherlich die beste Option, wird aber vom
       Regime abgelehnt. Es bleibt also nur, den Druck auf das Regime auf
       diplomatischem Wege zu erhöhen. Das hätte sicher noch konsequenter erfolgen
       können. Aber diplomatische Prozesse und das Aufbauen von internationalem
       Druck brauchen Zeit – so weh das tut, wenn zugleich Menschen sterben und
       leiden.
       
       Wie bewerten Sie die Rolle der Bundesregierung in dem Konflikt? 
       
       Die Bundesregierung hat sehr früh versucht, eine diplomatische Lösung
       voranzutreiben. Sie hat dann zunehmend einen Schwerpunkt auf die
       Verbesserung der humanitären Lage in Syrien gelegt. Ein zweiter Schwerpunkt
       der Berliner Außenpolitik liegt darin, die Opposition in der notwendigen
       internen Konsolidierung zu unterstützen, sie handlungsfähig zu machen.
       
       Dabei geht es auch darum, für den Syrischen Nationalrat als Vertretung der
       Opposition eine Formel zu finden, in der sich auch andere
       Oppositionsgruppen wiederfinden – also um das Ende des kontraproduktiven
       Dauerstreits unter den Assad-Gegnern. Und drittens arbeitet die
       Bundesregierung darauf hin, gemeinsam mit den Vereinigten Arabischen
       Emiraten eine Führungsrolle beim wirtschaftlichen Wiederaufbau Syriens in
       der Zeit nach Assad zu übernehmen.
       
       Sind Berlin also ökonomische Interessen wichtiger als der demokratische
       Wandel? 
       
       Nein. Die Wirtschaft wird ein zentraler Pfeiler für eine demokratische
       Zukunft Syriens sein.
       
       9 Apr 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Tom Strohschneider
       
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