# taz.de -- Ex-Ministerin über Entwicklungshilfe: „Wo bleibt der Aufschrei?“
       
       > Die ehemalige SPD-Bundesentwicklungsministerin Wieczorek-Zeul über
       > weltweit sinkende Gelder für Entwicklungshilfe und die Verantwortung der
       > reichen Länder.
       
 (IMG) Bild: Vom Klimawandel ist vor allem der globale Süden betroffen: überschwemmter Mangrovenwald in Indien.
       
       taz: Frau Wieczorek-Zeul, laut OECD gehen die Mittel für
       Entwicklungszusammenarbeit erstmals seit Langem zurück. Ist
       Entwicklungshilfe out? 
       
       Heidemarie Wieczorek-Zeul: Das wäre eine Katastrophe. Ich frage mich
       allerdings, wo der Aufschrei bleibt. Die Millenniumsziele, nach denen die
       weltweite Armut bis 2015 halbiert werden soll, können so niemals erreicht
       werden.
       
       Aus den Industrieländern ist oft zu hören: Die Finanzkrise ist schuld. 
       
       Die Finanzkrise ist in den Industrieländern entstanden. Aber die Ärmsten in
       den Entwicklungsländern waren die Opfer. Die Exportchancen haben sich
       reduziert, die Überweisungen von Migrantinnen und Migranten in die
       Heimatländer haben sich verlangsamt. Die Zahl der weltweit Hungernden stieg
       zum ersten Mal seit Jahren über eine Milliarde Menschen.
       
       In manchen Bereichen ist die Armut spürbar gesunken. 
       
       Das ist ein wichtiger Erfolg. Aber die OECD weist auch darauf hin, dass
       verringerte Entwicklungszusammenarbeit sich erst langsam auf die
       Reduzierung von Bildungs- und Gesundheitsausgaben der Entwicklungsländer
       auswirkt.
       
       Der Entwicklungsetat von Minister Niebel hat einen Rekordstand erreicht. 
       
       Deutschland liegt bei seinen prozentualen Leistungen von 15
       EU-Mitgliedstaaten an zehnter Stelle. Die Wahrheit ist doch: Statt zu den
       finanziellen Zusagen der Industrieländer zu stehen, werden diese einfach
       kassiert. Und mit der Austeritätspolitik, der sich gerade die
       Bundesregierung und in ihrem Gefolge die Europäische Union verschrieben
       haben, wird die Krise des Nordens erneut auf die Ärmsten abgewälzt. Ich
       finde das zynisch und unerträglich.
       
       Sind die Sparziele grundsätzlich falsch? 
       
       Notwendig ist eine globale Wachstumsstrategie, denn aus der Krise spart
       sich niemand heraus. Und bei der Entwicklungszusammenarbeit zu kürzen ist
       das Dümmste und Kurzsichtigste.
       
       Bald steht die Klimakonferenz Rio+20 an. Ist ein Umdenken zu erwarten? 
       
       Wenn nicht, frage ich mich, wie die Bundesregierung den ärmsten
       Entwicklungsländern gegenüber auftreten will. Denn um den Klimawandel zu
       bremsen, brauchen die armen Länder mehr Finanzmittel für den Umbau ihrer
       Energieversorgung hin zu erneuerbaren Energien und nicht weniger. Wer
       derart gravierende globale Entwicklungstrends einfach laufen lässt, der
       darf sich nicht wundern, wenn weder Klimagerechtigkeit noch nachhaltige
       Entwicklung eine Chance erhalten. Dafür werden aber in Jahren und
       Jahrzehnten die Wellen der weltweiten Entwicklung massive Krisen,
       Katastrophen, ja Kriege bewirken.
       
       Was muss Ihrer Meinung nach passieren? 
       
       Von den Regierungen, wie sie jetzt scheinbar Krisen bewältigen, ist nicht
       Gutes zu erwarten. Es wird Zeit, dass die internationale Zivilgesellschaft
       aufschreit und Druck macht.
       
       11 Apr 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Gordon Repinski
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Deutsche Entwicklungshilfe: Ein Bruchteil des Notwendigen
       
       Deutschland hinkt seinen Zusagen in der Entwicklungshilfe hinterher. Eine
       Vergleichsstudie bemängelt die Effektivität der deutschen Förderung.
       
 (DIR) 20 Jahre nach dem Rio-Umweltgipfel: Wieder mal die Welt retten
       
       In der nächsten Woche tagt erneut der Umweltgipfel von Rio. Die
       Schlagzeilen werden die gleichen wie vor 20 Jahren sein. Würden uns gute
       Nachrichten überfordern?
       
 (DIR) Entwicklungshilfe lahmt: Kritik an Rechentricks
       
       Die Entwicklungshilfe-Quotein Deutschland steigt zu langsam, bemängeln
       Hilfsorganisationen. Vor allem die Anrechnung von Krediten finden Verbände
       falsch.
       
 (DIR) Kommentar Entwicklungshilfe: Viel hilft nicht unbedingt viel
       
       Manche Projekte und Programme verändern etwas – doch sind dies oft nur
       begrenzte Lösungen für Einzelfälle. Die globalen Strukture, die dazu
       führen, werden dabei selten beeinflusst.
       
 (DIR) Anzeige wegen umstrittener Personalpolitik: Keine Ermittlungen gegen Niebel
       
       Die umstrittene Personalpolitik von Minister Dirk Niebel wird kein
       juristisches Nachspiel haben. Dieser kontert nun in Richtung Opposition.
       
 (DIR) Beratungsposten in der Regierung: FDP-Minister beschäftigen Lobbyisten
       
       In FDP-geführten Bundesministerien arbeiten offenbar Mitarbeiter von
       Interessenverbänden als Berater. Insgesamt beschäftigte die Regierung im
       ersten Halbjahr 2011 70 Leihmitarbeiter.
       
 (DIR) Streit bei Entwicklungsorganisation: GIZ-Frauen müssen warten
       
       Politposse im Aufsichtsrat der Entwicklungsorganisation GIZ: Weil der
       zuständige Staatssekretär einen FDPler durchdrücken will, scheitert die
       Berufung des Vorstands.