# taz.de -- Goethes „Faust“ am Theater Bremen: Neuanfang mit jungen Männern
       
       > WELTURAUFFÜHRUNG Seine allererste Intendanten-Spielzeit hat Michael
       > Börgerding vorgestellt. Der Neustart ist reichhaltig, künstlerisch mutig
       > - und absolut nicht gegendert
       
 (IMG) Bild: Kein Krawallo: Michael Börgerding
       
       Und dann setzt die Langeweile ein im Foyer des Goetheplatztheaters. Sie ist
       auch unvermeidlich. Spielplanvorstellungen, also die Veranstaltungen, bei
       denen Theaterintendanzen vorstellen, was sie fürs kommende Jahr an
       Peroduktionen planen, ähneln Vorträgen über die Menüfolge von Galadiners.
       Das Hors d’oeuvre baut sich noch vorm inneren Gaumen auf, aber dann wird
       die Sache dröge: Namen von AutorInnen, RegisseurInnen, Stücken, Namen die
       man kennt, nicht kennt, kennen müsste – und völlig neue, über die sich noch
       nichts sagen lässt. Das sind die spannendsten.
       
       Und obwohl Michael Börgerding einen Ausblick auf seine allererste
       Intendantenspielzeit überhaupt gibt – das Interesse ist riesig – dieser
       Ödnis entkommt er nicht, auch weil er zunächst den Eindruck erweckt, er
       wolle nur ja keine Produktion unerwähnt lassen: Rekordverdächtige 37
       Premieren hat er anzukündigen. Zum Vergleich: In der laufenden Spielzeit
       gab es 30 Neuproduktionen, ein guter Wert. Die kommende Spielzeit wird –
       schulferienbedingt – kürzer sein, der Etat ist nicht gewachsen. „Das ist
       sportlich“, sagt Börgerding, „aber wir schaffen das.“
       
       Es sind ein paar Erz-Klassiker im Spielplan: „Der Freischütz“, „Hamlet“ und
       das „Sacre du Printemps“ – wenn auch in einer jenes epochale Ballett
       reflektierenden Produktion von Laurent Chétouane, die „Sacré Sacre du
       Printemps“ heißt, also so viel wie ’Heiliges‘ oder auch ’Verdammtes
       Frühlingsopfer‘. Es gibt sperriges Repertoire wie Leoš Janačeks Oper „In
       der Sache Makropulos“, und das Stück für die profitable
       Weihnachtsmärchen-Produktion, nämlich „Robin Hood“, schreibt diesmal ein
       wichtiger Theaterautor, nämlich John von Düffel. Und am 14. März 2013 soll
       „Aber sicher!“ uraufgeführt werden, eine Prosakaskade, die
       Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek als Fortsetzung zu ihrem
       Bankenkrisenstück „Kontrakte des Kaufmanns“ (2009) konzipiert hat.
       
       Wechsel gibt’s, auch auf der Bühne: Komplett neu ist die
       Tanztheaterkompagnie – und im Grunde sind es sogar zwei. Neben dem Corps,
       das der einst von Pina Bausch geförderte algerische Choreograf Samir Akika
       zusammengestellt hat, binden sich Monika Gintersdorfer und Knut Klaßen mit
       ihrem Ensemble, das zu den profiliertesten der freien Szene Deutschlands
       zählt, als Artists in Residence für eine Spielzeit an Bremen. Von den
       SchauspielerInnen sind zehn nicht mehr dabei, aber sieben geblieben. Ganz
       unverändert bleibt das SängerInnen-Ensemble. Und Rebecca Hohmann ist
       weiterhin die Chefin von Moks und Jungen Akteuren.
       
       Es ist ein echter Neubeginn, obwohl die krawalligen Abgrenzungs-Rituale
       fehlen: Seit 1985 gab es in Bremen keinen friedlichen Intendanten-Wechsel
       mehr. Und Hans-Joachim F. hatte 2010 schließlich für den unrühmlichen
       Höhepunkt gesorgt: Nur durch seinen Rauswurf konnte, so scheint es, der
       Komplettruin verhindert werden. Zu Beginn danken also Kulturstaatsrätin
       Carmen Emigholz (SPD) und Börgerding dem Dramaturgen-Team, das nach jenem
       Abgang den größten Kulturbetrieb des Landes wieder auf Kurs gebracht hat,
       künstlerisch und haushalterisch: „Das liegt vor allem daran“, vermutet der
       scheidende Schauspiel-Chef Marcel Klett, „dass wir uns ständig austauschen
       mussten“ – also über die Grenzen der Sparten hinweg.
       
       Deren Egoismen scheint auch Börgerding nicht zu mögen: Zwar,
       spartenübergreifende Produktionen gibt es in der ersten Spielzeit noch
       keine. Aber die wird es geben, verspricht Börgerding, der weiterhin als
       Professor an der Theaterakademie Hamburg lehren wird. Er hat sehr gute
       Voraussetzungen dafür geschaffen – etwa durchs Prinzip festangestellter
       Regisseure. Und durchs Prinzip alte Bekannte. So binden sich mit Alexander
       Riemenschneider und Felix Rothenhäusler zwei seiner Ex-Studententen
       dauerhaft ans Haus. Einen Dreijahresvertrag hat auch der Leitende
       Opernregisseur Benedikt von Peter, der mit Schauspiel-Chefdramaturg
       Benjamin von Blomberg seit ewig befreundet ist: Gemeinsam hatten sie einst
       die freie Musiktheater-Gruppe „eviva la diva“. Die Hürden für Kooperationen
       sinken damit.
       
       20 Apr 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Benno Schirrmeister
 (DIR) Benno Schirrmeister
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Goethe
 (DIR) Theater
 (DIR) Schauspiel
 (DIR) Theater Bremen
 (DIR) München
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Goethes „Faust“ am Theater Bremen: Mindfuck mit Kondom
       
       Felix Rothenhäuslers „Faust“ setzt in Bremen auf die Rahmentexte Widmung,
       Vorspiel und Prolog. Siegfried W. Maschek sagt die Verse alleine auf.
       
 (DIR) Science Fiction im Theater: Früher war nicht alles schlecht
       
       In Bremen, Hamburg und Hannover kommen mittelalte Science-Fiction-Stoffe
       auf die Bühne – mit durchaus unterschiedlichen Ergebnissen.
       
 (DIR) Schauspiel mit Toten: Auf Burg Rossitz spuckt’s
       
       Durch nichts verstellt Alexander Riemenschneiders Bremer Inszenierung von
       „Die Familie Schroffenstein“ die Sprach-Gewalt Heinrich von Kleists
       
 (DIR) Islamismus im Jugendtheater: Die Kids sind nicht alright
       
       Das Verführerische des radikalen Islamismus erforschen die Bremer Jungen
       Akteure in „Grüne Vögel“: Freiheit ist eine Zumutung – und trotzdem
       alternativlos
       
 (DIR) Elfriede Jelinek in München aufgeführt: Die Orgie als Gebot
       
       Elfriede Jelinek hat den Münchner Kammerspielen ein schickes Stück über
       Mode geschenkt. Konsumkritiker dürften enttäuscht sein.