# taz.de -- Prozess gegen den Recyclingbetrieb Envio: „Der Mann hat uns vergiftet“
       
       > Die Firma Envio und der Giftstoff PCB: Einer der größten deutschen
       > Umweltskandale wird vor Gericht verhandelt. Doch die Behörden schützen
       > die Verantwortlichen.
       
 (IMG) Bild: Seinen ehemaligen Angestellten gilt er als Vergifter: Uwe Neupert, Ex-Chef von Envio.
       
       Die Wut, der Hass – sie sind immer zu spüren, wenn der einstige
       Schichtführer Stefan Schulz* über den Prozess gegen seinen Ex-Chef Uwe
       Neupert spricht. „Der Mann hat uns vergiftet“, sagt Schulz über sich und
       Hunderte seiner ehemaligen Kollegen, die beim Dortmunder Recyclingbetrieb
       Envio jahrelang alte Transformatoren zerlegten – und dabei vermutlich
       krebserregende Polychlorierte Biphenyle (PCB) einatmeten. „Wir haben das
       Gift im Körper – und Neupert macht sich ein schönes Leben, als sei nichts
       gewesen.“
       
       Verantworten muss sich Envio-Chef Neupert seit dem gestrigen Mittwoch vor
       dem Dortmunder Landgericht – der Name Envio steht schon jetzt für einen der
       größten Umweltskandale der letzten Jahrzehnte. Gebilligt und gefördert von
       Politik und Kontrollbehörden, warb Neuperts international tätiger Konzern
       mit der „sicheren und umweltfreundlichen Dekontaminierung“ von hochgradig
       PCB-belasteten Kondensatoren und Transformatoren.
       
       Zwar zählt die Chemikaliengruppe zum „dreckigen Dutzend“ hochgefährlicher
       Stoffe, die 2001 wegen ihrer vermutlich erbgutverändernden und
       krebserregenden Wirkung durch die Stockholmer Konvention verboten wurden.
       Bis Ende der achtziger Jahre aber wurden PCB etwa in Großtransformatoren
       als Kühlflüssigkeit und Isolieröl genutzt. Heute müssen die Bauteile als
       Sondermüll entsorgt werden – bei Überhitzung verwandelt sich PCB in Dioxin.
       
       ## Frühkapitalistische Arbeitsbedingungen
       
       Doch in Neuperts Dortmunder Firma herrschten frühkapitalistische
       Arbeitsbedingungen. Ohne geeignete Schutzkleidung schraubten Männer wie
       Schulz die oft zimmergroßen Transformatoren auseinander. Heraus rieselte
       hochgradig PCB-belasteter Staub. Nicht nur über die Haut, auch über die
       Atemluft gelangte das Gift in die Körper der Arbeiter. Geeignete
       Schutzanzüge und -masken waren kaum vorhanden: Sie hätten 29 Euro pro Stück
       gekostet, so Staatsanwalt Dirk Stickeln in seiner Anklage – doch Neuperts
       Betriebsleiter Dirk Kaulmann ließ lieber Maleranzüge in Baumarktqualität
       beschaffen – für 1,16 Euro das Stück.
       
       Für Neupert war das ein gutes Geschäft: In dem Elektroschrott steckten
       Tausende Tonnen Edelmetalle wie Kupfer und Aluminium – 2008 etwa
       kalkulierte Kaulmann mit Preisen von 5.300 Euro pro Tonne Kupfer und 1.300
       Euro pro Tonne Aluminium.
       
       Den Preis zahlten Arbeiter wie Schulz. Der verheiratete Vater einer Tochter
       leidet unter den typischen Folgen einer PCB-Vergiftung: Der Arbeiter klagt
       über Hautveränderungen, Haarausfall, kann sich kaum konzentrieren: „Ich
       habe Angst, dass ich irgendwann nicht einmal meine Frau wiedererkenne“,
       sagt Schulz.
       
       Seinen richtigen Namen will er trotzdem nicht in der Zeitung lesen – nach
       langer Arbeitslosigkeit hat der gelernte Kfz-Mechaniker wieder einen Job,
       wenn auch nur bei einer Leiharbeitsfirma: „Wenn der Betrieb, an den ich
       verliehen bin, herausfindet, dass ich bei Envio war, wollen die mich nicht
       mehr haben.“ Sein neuer Arbeitgeber könne fürchten, dass er für mögliche
       Spätschäden der PCB-Vergiftung aufkommen muss, glaubt Schulz.
       
       ## Angekündigte Kontrolle
       
       Dabei hätten Arbeitsschutz und Umweltkontrollbehörden gewarnt sein müssen.
       Doch selbst anonyme Anzeigen über „illegale Aktivitäten der Firma“ ließen
       die Beamten der zuständigen Bezirksregierung Arnsberg ins Leere laufen:
       2008 etwa reagieren sie mit einer angekündigten Kontrolle – und treffen
       daraufhin „keine Stilllegungsanordnung“, heißt es in Unterlagen aus
       Arnsberg, die die taz nach langem Tauziehen mit der Behörde Ende 2010
       veröffentlicht hat.
       
       Keine Folgen hat auch eine weitere Anzeige vom Januar 2010, in der die
       Demontage der kontaminierten Trafos „bei geöffneten Toren“ beschrieben wird
       – dabei suchte das nordrhein-westfälische Landesamt da schon seit zwei
       Jahren nach der Quelle für die erhöhten PCB-Werte, die den Dortmunder
       Norden rund um Envio belasten. Selbst als ein Pförtner meldet, vor jeder
       Kontrolle finde ein „Großreinemachen“ statt, geschieht – nichts.
       Unglaublich scheint das nur auf den ersten Blick: Denn für die Genehmigung
       des Envio-Betriebs war über Jahre hinweg nur ein Beamter verantwortlich –
       Bernd K. Und der notierte immer wieder, wie kooperativ Neupert doch sei.
       
       Doch vor Gericht verantworten muss sich weder Bernd K. noch sonst ein
       Beamter. „Wir sind nicht die Oberkontrolleure der Verwaltung“, sagt die
       Sprecherin der Dortmunder Staatsanwaltschaft, Ina Holznagel, zur
       Begründung. Zwar hätten die staatlichen Kontrolleure „nicht so gearbeitet,
       wie wir uns das wünschen“. Allerdings beinhalte das Umweltverwaltungsrecht
       ein „riesiges Ermessensarsenal“, und die Politik habe Arbeitsschützern und
       Umweltkontrolleuren nun einmal die „allgemeine Linie“ vorgegeben,
       „aufstrebenden Unternehmen keine bürokratischen Hemmnisse in den Weg zu
       legen“.
       
       Zu der auffallend milden Bewertung könnte auch politischer Druck
       beigetragen haben. Wie aus Unterlagen der Dortmunder Polizei, die der taz
       vorliegen, hervorgeht, tauchte die stellvertretende Regierungspräsidentin
       Karola Geiß-Netthövel Mitte Dezember 2010 persönlich im Präsidium auf und
       bat „um ergänzende, weiterführende Ermittlungsansätze“ – heute ist die
       Sozialdemokratin Geiß-Netthövel Direktorin des wichtigen Regionalverbands
       Ruhr (RVR).
       
       Schon zuvor hatten Geiß-Netthövels Beamte alles getan, ihre
       Mitverantwortung für den Envio-Skandal möglichst gering erscheinen zu
       lassen: Wichtige Berichte über die Transporte aus dem Giftgrab
       Herfa-Neurode etwa stellten die Arnsberger der Staatsanwaltschaft erst zur
       Verfügung, nachdem die taz sie im Internet veröffentlicht hatte – in exakt
       der gleichen Reihenfolge.
       
       ## Aus- und Umbau nicht beleuchten
       
       Die Kontrolleure machten „nicht den Eindruck, dass man einen klaren
       Überblick über die noch vorhandenen bzw. zur Verfügung gestellten
       Unterlagen habe“, notierte die Dortmunder Staatsanwältin Britta Affeldt
       irritiert. Trotzdem will die Staatsanwaltschaft den Aus- und Umbau der
       Envio-Anlagen, den Arnsberg immer wieder durchwinkte, im laufenden Prozess
       nicht beleuchteten: In der Anklageschrift wird kein Genehmigungs- und
       Änderungsbescheid von 1999 bis 2008 berücksichtigt.
       
       Im Prozess dürfte die Großzügigkeit gegenüber den Kontrollbehörden Folgen
       haben. Selbst Envio-Chef Neupert droht nicht unbedingt Gefängnis. Schon in
       einer „Eröffnungserklärung“ skizzierte Neuperts renommierter Anwalt Ralf
       Neuhaus seine Verteidigungsstrategie: Sein Mandant habe einen „zugelassenen
       PCB-Entsorgungsbetrieb“ geführt. Von „unerlaubtem Umgang mit gefährlichen
       Stoffen in einem besonders schweren Fall“, die Staatsanwalt Stickeln
       Neupert vorwirft, könne keine Rede sein – schließlich habe Arnsberg den
       Envio-Betrieb zumindest „aktiv geduldet“.
       
       Und vom staatsanwaltlichen Vorwurf der „Körperverletzung in 51 Fällen“ will
       Neuhaus erst recht nichts wissen: Die Ermittler sollten doch erst einmal
       nachweisen, dass die PCB-Belastung tatsächlich von der Arbeit bei Envio
       herrühre – und Ursache für die Folgeerkrankungen sei: Die könnten,
       argumentiert Neuhaus, auch „plausibel mit ungesunden Lebensstilfaktoren“
       erklärt werden.
       
       Eine Anklage wegen gefährlicher oder schwerer Körperverletzung sei deshalb
       nicht in Frage gekommen, sagt auch Staatsanwältin Holznagel: „Juristisch
       ist PCB kein Gift.“
       
       * Name von der Redaktion geändert
       
       9 May 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andreas Wyputta
       
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