# taz.de -- Eurovision Song Contest in Baku: Schnulzenkult trifft auf Personenkult
       
       > In Aserbaidschan sorgt der Alijew-Clan mit Prestigeprojekten für seinen
       > Machterhalt. Der Eurovision Song Contest kommt da recht. Aber die
       > Oppositin hat auch Pläne.
       
 (IMG) Bild: Mitte Mai ging die Polizei hart gegen Demonstranten in Baku vor.
       
       MÖNCHENGLADBACH taz | Bei einer Reise durch Aserbaidschan merkt man auch
       ohne Sprachkenntnisse schnell, wer hier das Sagen hat. Will man mit dem
       Wagen von Aserbaidschans Hauptstadt Baku in die 200 Kilometer entfernte
       Provinzstadt Gabala, geht es auf der besten Straße der Republik vorbei an
       unzähligen Riesenplakaten mit den Konterfeis von Aserbaidschans
       langjährigem Präsidenten Heidar Aliew und dessen Sohn und heutigem
       Präsidenten, Ilcham Aliew.
       
       „Strenge dich für dein Volk an, damit die Republik gestärkt wird!“ prangt
       es unter einem dieser Plakate und „Ein Land, das eine starke Wirtschaft
       hat, ist zu allem in der Lage“ verkündet Aliew senior auf einem anderen
       Plakat. Wer in Aserbaidschan mit der eigenen Firma erfolgreich sein will,
       hängt Alijew-Plakate auf dem Firmengelände auf oder benennt den
       firmeneigenen Park nach dem verstorbenen Präsidenten Heidar Alijew. Die
       Straße nach Gabala, so sagen böse Zungen, sei deswegen erstklassig, weil
       sie Mechriban Alijewa, die Frau des Präsidenten, jede Woche nutzt, um auf
       ihren Landsitz zu gelangen.
       
       Nicht erst seit der Unabhängigkeit im Oktober 1991 ist die Kaukasusrepublik
       fest in der Hand der Familie Alijew. Der frühere Präsident Heidar Alijew,
       der Vater des derzeitigen Präsidenten Ilcham Alijew, regierte die Republik
       von 1993 bis 2003. In Wahlen, die nach der OSZE nicht frei und fair waren,
       wurde Ilcham Alijew, der Sohn von Heidar Alijew, zu seinem Nachfolger
       gekürt. Heidar Alijew, bereits 1966 vier Jahre lang KGB-Chef und
       anschließend 13 Jahre Chef der aserbaidschanischen KP, bevor er im
       Politbüro und Ministerrat in Moskau tätig war, war schon zu Zeiten der
       Sowjetunion der starke Mann in Aserbaidschan.
       
       Auch in der Hauptstadt Baku gibt es kaum eine Straße, die nicht mit einem
       riesigen Plakat von Alijew junior oder Alijew senior geschmückt wäre. Die
       Schlagzeilen des beliebten aserbaidschanischen Internetportals day.az am
       Wochenende sind typisch für die aserbaidschanische Medienwelt: Von vier
       Schlagzeilen gelten drei dem Präsidenten, seiner Frau und seiner Tochter,
       lediglich die vierte Schlagzeile kündigt die Wettervorhersage an. Anfang
       Mai stellte Lejla Alijewa, die Tochter von Präsident Alijew und
       gleichzeitig stellvertretende Präsidentin der Heidar-Alijew-Stiftung, im
       Zentrum von Baku ihre Werke aus.
       
       ## 1 Milliarde Euro für den Contest
       
       Heute ist Aserbaidschan auf der internationalen Bühne angekommen. Am 1. Mai
       übernahm es den Vorsitz im UNO-Sicherheitsrat. Der Eurovision Song Contest,
       dessen Komitee-Leitung die First Lady des Landes, Mechriban Alijewa,
       innehat, ist ein weiterer Meilenstein in Aserbaidschans Bemühungen um
       Ansehen in der Welt. Damit der ESC in Baku zu einem Superlativ der
       Superlative wird, hat man keine Mühen gescheut. Hunderte von
       Autobahnkilometern wurden gebaut, Plätze neu gestaltet, der Strandboulevard
       um mehrere Kilometer verlängert.
       
       Architektonischer Höhepunkt ist der Konzertkomplex „Kristallhalle“, der
       nach Angaben von Radio Liberty mehr als 120 Millionen Dollar gekostet hat.
       Direkt daneben befindet sich der „Flaggenplatz“ mit der zweitgrößten Flagge
       der Welt, fast so groß wie ein Fußballfeld. Insgesamt liegen die Kosten für
       das Land, dessen Durchschnittseinkommen 400 Euro beträgt, bei fast 1
       Milliarde Euro.
       
       Aserbaidschans Elite weiß dieses neue Selbstbewusstsein für den Erhalt der
       eigenen Macht und die Durchsetzung der politischen Ziele zu nutzen.
       Propaganda für Aserbaidschan ist zugleich Propaganda für Aserbaidschans
       Außenpolitik, durch die sich die Bemühung um eine Isolierung Armeniens auf
       der internationalen Bühne wie ein roter Faden zieht. Angesichts der
       antiarmenischen Rhetorik ist die Absage Armeniens, keine Delegation zum
       Song Contest nach Baku zu entsenden, nachvollziehbar.
       
       Auch die Opposition in Aserbaidschan steht der Alijew-Regierung
       unversöhnlich gegenüber. Sie hatte die Präsidentschaftswahlen 2008
       boykottiert, der Regierung nach den Parlamentswahlen von 2010 Wahlbetrug
       vorgeworfen. Vereinzelte Freilassungen einiger Gefangener in der jüngsten
       Zeit und die Genehmigung einiger Kundgebungen sind für sie keine realen
       Fortschritte. 4.000 Häuser sind in den letzten drei Jahren gegen den Willen
       ihrer Bewohner niedergerissen, kritisieren Menschenrechtler. Sie planen
       deswegen auch während des ESC Aktionen.
       
       ## Musikprotest
       
       Im Mittelpunkt ihrer Aktivitäten steht ein Hungerstreik, in den zahlreiche
       politische Gefangene am 15. Mai getreten waren. Die von Amnesty
       International als Gewissensgefangene adoptierten Gefangenen fordern die
       Freilassung aller politischen Gefangenen in Aserbaidschan. Mit ihnen
       hungern auch einige ihrer Verwandten in den Büros der Oppositionspartei
       Musavat. Am Samstag berichtete das Internetportal „contact.az“, das täglich
       über Menschenrechtsverletzungen in dem Land informiert, die
       Gefängnisleitung habe als Reaktion auf den Hungerstreik die Haftbedingungen
       der Streikenden verschärft. Mindestens sieben Häftlinge seien nun in
       Strafzellen gebracht worden, wo sie in Einzelhaft festgehalten werden.
       
       Auf einer Veranstaltung parallel zum ESC wollten Künstler unter dem Motto
       „Sing for Democracy“ auftreten. Einer von ihnen, der junge Songwriter Jamal
       Ali, wird nicht dabei sein können. Er floh vor wenigen Tagen vor
       Polizeigewalt nach Berlin. Tausende von „Spaziergängern“ wollen bei einem
       Gang durch die Fußgängerbereiche auf T-Shirts Versammlungsfreiheit fordern.
       
       Arsu Abdullajewa, Vorsitzende der Helsinki Citizens Assembly und
       langjährige Menschenrechtsaktivistin, sagte der taz, sie wisse von weiteren
       Aktionen, die Oppositionsparteien und Nichtregierungsorganisationen für die
       Zeit des Contest planten. Die Organisatoren hätten jedoch vereinbart,
       nichts Näheres über diese Aktionen am Telefon zu besprechen. „Auch mein
       Telefon wird seit Jahren abgehört“ so Abdullajewa. Sie freut sich darüber,
       dass Baku Austragungsort des ESC sein kann. „Es ist ein sehr schönes Fest.
       Es ist nur schmerzhaft, dass nicht alle an diesem Fest teilhaben können.“
       
       21 May 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bernhard Clasen
 (DIR) Bernhard Clasen
       
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