# taz.de -- Russlands ESC-Beitrag: Die Welt neu entdecken
       
       > Acht Großmütter aus Buranowa mischen den Eurovision Song Contest auf: Sie
       > betören mit Zahnlücke und Goldzahn. Zuhause arbeiten sie trotzdem weiter
       > im Stall.
       
 (IMG) Bild: Der Charme des Alters: Die Omas bei einer Probe in Baku.
       
       BURANOWA taz | Der Tag beginnt immer gleich. 5.30 aufstehen, Ofen heizen,
       Wasser holen und das Vieh füttern. Galina macht das schon länger als 60
       Jahre. „Daran ändert sich auch heute nichts“, meint sie, während sie vor
       dem Küchenfenster Tomatensetzlinge in Blumenkästen pflanzt.
       
       Noch liegt draußen hoher Schnee, sobald die Sonne untergeht, wird es wieder
       bitter kalt in Buranowo. Galina Nikolajewnja ist der Motor des
       Folkloreensembles „Buranowskije Babuschki“, zu Deutsch „Omas aus Buranowo“.
       Ihre Freundinnen nennen sie in ihrer Sprache, dem Udmurtischen, auch
       „muschmumy“, die Bienenkönigin. Wohl weil sie alle mit ihren Ideen auf
       Trapp hält. 73 Jahre ist sie alt, die Jahre sind ihr auch anzusehen, aber
       nicht anzumerken.
       
       Im März gewannen die acht Großmütter die Vorausscheidung des Eurovision
       Song Contest 2012 in Russland. Das war eine Sensation. Die Zuschauer, vor
       allem die jüngeren, gerieten aus dem Häuschen, als die Trachten-Omas mit
       leichten Bastschuhen und opulentem Halsschmuck auf die Bühne
       kletterten:„Party for Everybody“, gaben sie zum Besten. Eine Mischung aus
       „House of the Rising Sun“ und Klängen traditioneller Gebrauchsmusik.
       Irgendwie schon mal gehört. Das Publikum störte das nicht.
       
       Nach dem Gig der Greisinnen war der Wettbewerb entschieden. Die
       Seniorencombo stahl den übrigen Kombattanten die Show. Niemand hörte mehr
       zu. „Come on and dance, come on and dance ….Boom! Boom!“ hüpften sie Arme
       schwingend über die Bühne. Der englische Refrain sei ein Zugeständnis an
       die Eurovision gewesen, meint die künstlerische Leiterin Olga Tuktarewa.
       „Die Babuschkis sträubten sich, weil keine Englisch versteht“.
       
       ## Lang ersehntes Familientreffen
       
       Die „Party“ erzählen sie in ihrem finno-ugrischen Idiom. Sie ist eher ein
       lang ersehntes Familientreffen. Groß ist die Vorfreude, denn die Kinder aus
       der Stadt kommen nach langer Zeit mal wieder ins Dorf. Grund genug zum
       Tanzen…come on and dance…Boom! Boom! Der Text interessierte die Zuhörer
       nicht wirklich. Sie waren von den Babuschkis betört, die beim Refrain
       fröhlich über die Bühne trippelten. Keine Kosmetik, kein ausgeklügeltes
       Bühnenkonzept. Es war schon eine graue Revolution, als Natalja Pugatschewa,
       die kleinste und älteste Folkloristin (76), kokett in die Kamera lächelte.
       Mit Zahnlücke und Goldzahn. Der aalglatten Branche zeigten die Alten
       selbstbewusst Runzeln und Falten.
       
       Zuhause in Buranowo geht es bodenständig zu. Noch zumindest. Treffpunkt ist
       das einstöckige Kulturhaus, ein Ziegelbau mit Bühne und großem Saal. Ein
       Raum beherbergt ein kleines Museum mit Exponaten, die sie über die Jahre
       zusammengetragen haben. Altes Gerät für die Feldarbeit, Webstuhl und
       Reiseandenken. Die stammen vor allem aus Estland, wo die Truppe schon
       häufiger auftrat.
       
       Die Esten gehören auch zur finno-ugrischen Sprachfamilie und sind ebenso
       leidenschaftliche Sänger. Das traditionelle Liedgut wurde in der „Singenden
       Revolution“ der Balten Ende der 1980er Jahre zu einer Waffe, mit der sie
       sich die Unabhängigkeit von Russland ertrotzten. Um staatliche
       Selbständigkeit geht es den Frauen jedoch nicht. Die Republik Udmurtien
       liegt mitten im Herzen Russlands.
       
       Am nationalen Erbe liegt ihnen indes schon etwas. „Wir haben in der
       Sowjetunion unsere Sprache nur zu Hause gesprochen“, erzählt Galina. Die
       resolute Babuschka arbeitete 40 Jahre als Kindergärtnerin.“ Wenn ich mit
       den Kindern Udmurtisch sprach, wurde das nicht gern gesehen“. Die Sowjets
       waren misstrauisch, auch wenn Folklore zur Ideologie der glücklichen
       Völkerfamilie gehörte. Wer nicht Russisch sprach, hatte der nicht etwas zu
       verbergen? Viele Jüngere beherrschen die eigene Sprache nicht mehr, doch
       das Interesse sei wieder gewachsen.
       
       ## Lieder als Klingelton
       
       „Unsere Lieder gibt es schon als Klingelton, bei den Jüngeren kommt das gut
       an“, sagt sie stolz. Gesungen haben die Frauen auch schon, bevor sie Ruhm
       erlangten. Die meisten Lieder sind melancholisch, traurig und sehr
       naturverbunden. Der Udmurte ist denn auch auf Deutsch „ein Mensch auf der
       Wiese“. Es sind Klagelieder über das schwere Los von Frauen, die den Hof
       alleine versorgen und die Kinder ohne Mann großziehen müssen. Galina,
       Valentina, Soja – sie alle könnten davon ein Lied singen. Die Männer sind
       früh gestorben, der Alkohol hat sie dahingerafft oder sie seien Allotris
       gewesen, die sich gleich aus dem Staub gemacht hätten, meint Galina.
       
       Unbeschwert war ihr Leben nicht. Gemeinsam zu singen, hätte ihnen geholfen.
       Mit einer elegischen Weise traten sie 2010 bei der Vorausscheidung auch
       schon mal an. „Die lange, lange Birkenrinde und wie man aus ihr einen Aisch
       (Kopfputz) macht“, war die Klage einer verzweifelten und einsamen Frau. Die
       uralte Babuschka Lisa hatte die herzergreifende Lyrik gedichtet. Dass die
       Babuschkis ausgelassen über die Bühne sausten, passte zwar nicht zum Text,
       aber Udmurtisch verstand ohnehin niemand. Für den dritten Platz reichte es.
       
       Diesmal kümmern sich Profis um das Arrangement, selbst die „Party for
       Everybody“ ist eine deutsche Komposition. Volksliedensembles gibt es viele
       in der Republik. Aber keine wie die Buranowskije, die vor vier Jahren
       anfingen, Rockmusik auf Udmurtisch zu singen, „Let it be“, „Hotel
       California“ oder „Smoke on the Water“. Am Nachmittag geben sie für die
       Journalisten, die inzwischen in Scharen in das Dorf einfallen, noch Queens
       „We are the Champions”.
       
       ## Gute Chancen
       
       Setzen sie auf Sieg? In Baku dabei zu sein, meint Valentina bescheiden, sei
       das Wichtigste – und alle nicken zustimmend. Natürlich wollen sie gewinnen
       und die Chancen stehen nicht schlecht, zumindest bei Buchmachern und
       Insidern.
       
       Im Hinterraum laden die Großmütter zwischendurch zu einem Imbiss.
       Schwitzkartoffeln mit Zwiebeln, Perepetsch, eine Spezialität aus Pilzen mit
       Käse und Salate stehen auf dem Tisch. Jede hat etwas zuhause vorbereitet.
       Galina zieht noch eine Plastikflasche aus der Schürze. Der Schnaps schmeckt
       wie Grappa und stammt auch aus der eigenen Destille. Die Zutaten gibt sie
       nicht preis.
       
       Dass sie auf einmal zu Popikonen wurden, beunruhigt sie das? Der Alltag
       hätte sich nicht verändert. Nur schneller müsste die Arbeit jetzt erledigt
       werden. „Wir entdecken die Welt noch einmal neu“, lacht Valentina. Die
       meisten waren aus der Republik nie herausgekommen. Moskau sei schon eine
       andere Welt, aber Nizza erst! sagt Valentina und kann es immer noch nicht
       verwinden, dass sie statt eines Badeanzugs warme Pullover einpackte. „Wir
       wussten nicht, wo das liegt!“
       
       Die Souvenire kleben am Eisschrank. Natalja, die älteste, hat es von allen
       am schwierigsten. Sie muss vor jeder Reise den Mann um Erlaubnis bitten.
       „Wer füttert das Vieh?“ fragt er jedes Mal. Früher war der Stolz des Dorfes
       die Sowchose „10 Jahre Udmurtische Autonome Sowjetrepublik“. Sie ist längst
       eingegangen. Nur die riesigen Kornsilos am Ortseingang stehen noch. Unter
       der pulvrigen Schneedecke wirkt der Weiler wie gepökelt. Das Tauwetter im
       Mai wird die unasphaltierte Dorfstrasse wieder in einen Wasserlauf
       verwandeln.
       
       ## Leben und Hoffnung eingehaucht
       
       Buranowo ist eine Sedlung wie tausende in der Provinz. Es gibt zwar Gas,
       doch nicht jeder Hof kann sich einen Anschluss leisten. Die Omas haben dem
       600-Seelen-Dorf jedoch wieder etwas Leben und Hoffnung eingehaucht. Als sie
       siegreich aus Moskau heimkehrten, war die Freude daheim groß. Eine
       Blaskapelle stand Spalier. Wenn sie jetzt auch noch in Baku gewännen, würde
       aus dem Dorf ein Wallfahrtsort und die Strasse endlich asphaltiert, meinten
       die Einwohner kühn.
       
       Die Babuschkis haben anderes im Sinn. Von der Gage wollen sie die Kirche
       wieder aufbauen, in der Galina noch getauft wurde. Nach dem Abriss mauerten
       sich die Einwohner aus den Ziegeln neue Öfen. Krankheiten und Unglück
       hätten sie sich ins Haus geholt, sagt sie in der typischen Mischung aus
       Glauben und Naturreligion. Das Geld haben sie längst beisammen.
       
       Und was machen sie mit dem anderen? Darüber spricht man in ungern. Denn
       auch Neider gibt es schon. Der Erfolg sei doch nur eine Eintagsfliege,
       meinen einige. Die Alten kümmert das aber nicht. Den Spaß wollen sie
       einfach noch einmal haben.
       
       22 May 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Klaus-Helge Donath
 (DIR) Klaus-Helge Donath
       
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 (DIR) Schwerpunkt Eurovision Song Contest
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