# taz.de -- Pläne für neue Stromtrassen: „Der Ausbau geht zu langsam“
       
       > Jochen Homann, Chef der Bundesnetzagentur, fordert die Bundesbürger zur
       > Beteiligung an der Trassendiskussion auf. Wer nicht mitmacht, verpasst
       > seine Chance.
       
 (IMG) Bild: „Nur 100 Kilometer in Betrieb genommen“. Zum gemütlichen Sitzen reicht es.
       
       taz: Herr Homann, wenn die Energiewende ein Marathonlauf wäre, welche
       Strecke hätten wir dann bisher zurückgelegt? 
       
       Jochen Homann: Wir sind auf den ersten fünf Kilometern. Da, wo die ersten
       Läufer anfangen zu schwitzen. Es fehlen noch 37,195 Kilometer.
       
       Sie kennen sich ja aus bei diesem Sport. 
       
       Ja, früher war ich selbst Marathonläufer. Jetzt laufe ich nur noch zwischen
       Bürotür und Fahrstuhl. Das bringen Führungspositionen in der Verwaltung so
       mit sich. Aber später hoffe ich das Marathonlaufen wieder aufnehmen zu
       können.
       
       Versetzen Sie sich in die Lage eines aktiven Läufers. Was würden Sie sagen,
       wenn entlang ihrer Trainingsstrecke eine neue Hochspannungsleitung
       errichtet würde? 
       
       Ich bin ein vernünftiger Mensch und weiß um die Notwendigkeit solcher
       Leitungen. Wir brauchen sie beispielsweise, um Windstrom von der Nordsee
       nach Baden-Württemberg und Bayern zu transportieren. Ohne neue Leitungen
       gibt es keine Energiewende. Deshalb haben wir 2011 ein Gesetz beschlossen,
       das den Ausbau des Netzes beschleunigen soll. Es sieht vor, dass alle
       Betroffenen vom ersten Tag an über die zusätzlichen Trassen mitdiskutieren
       können.
       
       Im ersten Schritt hat die Bundesnetzagentur Szenarien dazu entworfen, wie
       viele Kraftwerke künftig gebraucht werden. Da gingen nur 76 Stellungnahmen
       von Kommunen, Verbänden und Bürgerinitiativen bei Ihnen ein. Wieso
       interessiert sich kaum jemand für Ihre Bürgerbeteiligung? 
       
       Am Anfang ist naturgemäß vieles noch recht abstrakt, sodass noch nicht alle
       die Notwendigkeit sehen, ihre Chance zur Partizipation wahrzunehmen. Zur
       Ermittlung der Entwicklungsszenarien, die Sie erwähnten, hätte jeder
       Bundesbürger einen Brief an die Bundesnetzagentur schicken können. Wir
       hätten alle Argumente in unserer Abwägung berücksichtigt.
       
       Machen die Bundesnetzagentur und die Politik die neuen Möglichkeiten der
       Bürgerbeteiligung zu wenig bekannt, weil vielleicht auch kein Interesse
       daran besteht, dass sich zu viele Leute einschalten? 
       
       Dieser Vorwurf ist grundfalsch. Im Gegenteil: Ich war bis Anfang dieses
       Jahres als Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium tätig, daher weiß
       ich, dass es dieser Regierung sehr wichtig ist, Akzeptanz für die
       Energiewende und den Netzausbau in der Bevölkerung zu schaffen. Dafür sind
       eingehende Diskussionen notwendig und gewünscht. Dieses Angebot machen wir.
       Wenn die Bürger das nicht nutzen, kann man der Politik oder der Netzagentur
       keinen Vorwurf machen. Am Ende werden sich vielleicht einige ärgern. Aber
       dann werden wir darauf hinweisen, dass sie ihre Chance verpasst haben, von
       Anfang an mitzureden. Es gibt aber noch genug Gelegenheit dazu. Wenn die
       Planungen konkreter werden, wird sicherlich auch das Interesse steigen.
       
       Schafft das dann mehr Akzeptanz? 
       
       Ich bin davon überzeugt, dass wir mit dem transparenten Verfahren mehr
       Zustimmung schaffen können. Ob wir jeden mitnehmen werden, weiß ich nicht.
       Es wird immer Bürger geben, die sich so stark betroffen fühlen, dass sie
       unzufrieden bleiben.
       
       Viele Bürgerinitiativen, etwa in den Bundesländern Hessen oder
       Niedersachsen, sind doch gesprächsbereit. Warum kommen Sie diesen Gruppen
       von Bürgern nicht entgegen, indem Sie mehr Stromleitungen unterirdisch
       verlegen? 
       
       Wir müssen zunächst viel mehr Erfahrung mit Erdkabeln sammeln. Zudem sind
       die wesentlich teurer als Hochspannungsleitungen. Die Planung in Hessen und
       Niedersachsen basiert auf dem Energieleitungsausbaugesetz von 2009, dem
       sogenannten EnLAG, das nur vier Pilotprojekte erlaubt. Später, wenn wir
       mehr Erfahrung haben, könnten Erdkabel eine größere Rolle spielen.
       
       Kommt der Ausbau des Stromnetzes schnell genug voran? 
       
       Auf der Basis des EnLAG wurden seit 2009 rund 1.800 Kilometer
       Leitungstrassen geplant. Davon sind bisher erst 214 gebaut und nur 100
       Kilometer in Betrieb genommen worden. Daraus kann man schließen: Der Ausbau
       geht zu langsam.
       
       Der Netzbetreiber Tennet hat kürzlich eingeräumt, mit dem Anschluss von
       Windparks auf dem Meer überfordert zu sein. War es politisch falsch, ein
       einzelnes Unternehmen mit einer so gigantischen Aufgabe zu betrauen? 
       
       Als die Entscheidung fiel, das Netz von Eon zu übernehmen, sah sich Tennet
       durchaus in der Lage, die Anbindung der Offshorewindparks zu
       bewerkstelligen. Jetzt muss man darüber sprechen, wie man die
       Schwierigkeiten überwinden kann.
       
       Vielleicht liegt es daran, dass ein Oligopol von nur vier Firmen für die
       Hochspannungsnetze zuständig ist? 
       
       Der Begriff „Oligopol“ ist hier fehl am Platze. Die alte Machtstruktur
       wurde ja gerade aufgelöst. Früher gehörten die Netze noch den
       Stromproduzenten, die sie in den letzten Jahren verkauft haben. Weitere
       Unternehmen einzubeziehen ist im Übrigen schwierig, es gibt kaum
       Interessenten. Tennet hätte sicher nichts gegen weitere Akteure.
       
       Im Gespräch ist eine staatliche Beteiligung. Besteht die Gefahr, dass die
       Kosten sozialisiert werden, während die Gewinne in private Kassen fließen? 
       
       Keineswegs, das wäre eine Überinterpretation. Es sind schlicht einige
       Probleme zu lösen, die so früher nicht absehbar waren. Beispielsweise sind
       Haftungsfragen derzeit nicht geklärt. Unfälle wie beispielsweise die
       Kollision von Schiffen mit Plattformen für den Bau von Windanlagen sind
       heute kaum zu tragbaren Preisen zu versichern. Die
       Übertragungsnetzbetreiber könnten die Versicherungskosten, wenn sie
       einseitig auf sie abgewälzt werden, nicht allein stemmen. Deshalb ist es
       notwendig, eine ausgewogene Haftungsregelung zu schaffen. Alle beteiligten
       Unternehmen und ihre Investoren brauchen die Berechenbarkeit von Risiken.
       Eine weitere Frage betrifft die Finanzierung weiterer Stromleitungen, etwa
       zwischen den neuen Windparks und dem Festland.
       
       Müssen Sie eingestehen, dass das bisherige Modell nicht funktioniert: Die
       Privatwirtschaft baut die Stromnetze, Ihre Behörde reguliert so, dass die
       Gewinne stimmen? 
       
       So grundsätzlich würde ich das nicht sagen. Tennet braucht eine gewisse
       Unterstützung. Vorstellbar ist, dass sich die öffentliche KfW-Bankengruppe
       mit Kapital in einer gemeinsamen Netzgesellschaft engagiert. Alternativ
       könnte auch an eine Offshore-Umlage zum Anschluss von Windparks auf dem
       Meer gedacht werden. All dies ist Gegenstand laufender Gespräche.
       
       Manche Kommunen versuchen, Stromnetze wieder in eigene Regie zu übernehmen.
       Was halten Sie von diesen Bestrebungen? 
       
       Zu viele kleine Einheiten machen keinen Sinn. Nicht alle Städte und
       Gemeinden in Deutschland verfügen über das Know-how, ein Netz zu betreiben.
       Zudem droht mit Hunderten kleiner Netze auch ein hoher Verwaltungsanteil.
       Dadurch könnten zusätzliche Probleme bei der Finanzierung des Netzausbaus
       entstehen. Wir erleben ja auch, dass sich viele dieser kleinen Netze wieder
       zu größeren Einheiten zusammenfinden.
       
       Schauen Sie 30 Jahre voraus. Hat die Energiewende dann geklappt, fahren Sie
       dann ein Elektroauto? 
       
       Dieses Megaprojekt wird von niemandem mehr grundsätzlich infrage gestellt –
       auch nicht von denen, über die es heißt, sie seien dagegen. Gestritten wird
       allenfalls über Details. Deshalb wird die Energiewende funktionieren. Und
       was mich betrifft: In 30 Jahren bin ich 89 Jahre alt. Dann werde ich wohl
       nicht mehr Auto fahren – sondern vielleicht einen elektrischen Rollator.
       
       28 May 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ingo Arzt
 (DIR) Hannes Koch
       
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