# taz.de -- Der neue Staat in Nordmali: Staat ja, aber was für einer?
       
       > Tuareg-Rebellen und Islamisten beraten über eine gemeinsame Regierung für
       > ihren neuen Staat „Azawad“ in Nordmali. Aber der Umgang mit al-Qaida
       > spaltet die Geister.
       
 (IMG) Bild: Moulay Mohammed, 55, ist mit seiner Tochter Katita nach Mauretanien geflüchtet.
       
       BERLIN taz | Knapp zwei Monate nach der Unabhängigkeitserklärung der
       Tuareg-Rebellen im Norden Malis nimmt die Gründung eines Staates namens
       „Azawad“ Gestalt an. Aber wie der aussehen soll, ist umstritten: ein
       Ausdruck der Selbstbestimmung der Wüstenvölker – oder ein Schaufenster des
       grenzüberschreitenden Islamismus?
       
       Am Samstag unterschrieben die Tuareg-Rebellenarmee MNLA (Nationalbewegung
       zur Befreiung von Awazad) und die islamistische Gruppe Ansar Dine ein
       gemeinsames „Protokoll“ zur Gründung eines „Übergangsrates des Islamischen
       Staates Azawad“.
       
       Unterzeichner waren MNLA-Generalsekretär Bilal Ag Chérif, gewählter
       malischer Parlamentsabgeordneter für die nördliche Stadt Kidal, und
       Stammesführer Abass Ould Antilla für Ansar Dine. Das Protokoll verkündet
       die Selbstauflösung beider Organisationen und ihre Verschmelzung in einem
       40-köpfigen Übergangsrat als Vorläufer einer Regierung.
       
       Das hätte eine historische Versöhnung sein sollen. Die MNLA besteht aus
       Rebellen des Tuareg-Nomadenvolkes. Ansar Dine ist eine rivalisierende
       Gruppe unter Führung des früheren Tuareg-Rebellenführers Iyad Ag Ghali, die
       aus Südalgerien heraus agiert.
       
       Sie soll der radikalen „al-Qaida im Islamischen Maghreb“ (AQMI), geführt
       von Algeriern und zuletzt auch in Niger und Mauretanien aktiv, nahestehen.
       All diese Gruppen profitierten davon, dass seit dem Sturz der
       Gaddafi-Diktatur große libysche Waffenbestände umhergeistern.
       
       Die Rebellen eroberten ganz Nord-Mali, nachdem in Malis Hauptstadt Bamako
       in der Nacht zum 22. März unzufriedene Soldaten putschten, und riefen am 6.
       April „Azawad“ aus.
       
       Die MNLA brauchte Ansar Dine, weil in Nordmali auch andere Volksgruppen als
       die Tuareg leben; Ansar Dine brauchte die MNLA, um nicht als Anhängsel
       al-Qaidas gesehen zu werden.
       
       Aber Ansar Dine huldigt einer strikten Auslegung der Scharia, möglichst in
       ganz Mali; sie hat die algerischen Al-Qaida-Führer nach Mali eingeladen und
       Sittenpolizei auf die Straßen von Gao und Timbuktu geschickt. Die
       laizistische MNLA hingegen verfolgt einfach den alten Tuareg-Traum von
       Selbstbestimmung.
       
       ## Die Differnzen bleiben
       
       Die gemeinsame Erklärung vom Samstag hat diese Differenzen nicht beseitigt.
       So hat sich die Ratifizierung einer abschließenden Erklärung verschoben:
       Die MNLA sperrt sich gegen die Scharia als alleiniges Recht und gegen ein
       Betätigungsverbot für nichtmuslimische Hilfsorganisationen.
       
       Sie will auch nichts mit den Al-Qaida-Kämpfern von AQMI zu tun haben. Ansar
       Dine wiederum „hat uns gesagt, dass es nicht in Frage kommt, AQMI den Krieg
       zu erklären; das ist das Problem“, sagte MNLA-Mitglied Ibrahim Assaley,
       Bürgermeister der Kleinstadt Talataye.
       
       Aus Sicht der Tuareg-Rebellen spielen die Islamisten ein doppeltes Spiel.
       Während MNLA und Ansar Dine in Gao über ihre Fusion verhandelten, traf
       Ansar Dines Führer Iyad Ag Ghali in Timbuktu die Führer von AQMI und einer
       weiteren bewaffneten islamistischen Gruppe namens Mujao (Bewegung für
       Einheit und Dschihad in Westafrika).
       
       ## Unterirdisches Waffenarsenal
       
       AQMI-Chef Abdelmalek Droukdel, Algerier, soll seine Kämpfer aufgerufen
       haben, sich Iyad Ag Ghali unterzuordnen. Damit wäre AQMI offiziell Teil
       eines neuen islamischen Azawad-Staates.
       
       Die algerische Zeitung L’Expression äußerte gestern die Befürchtung, nun
       könnten im Norden Malis tunesische, libysche und marokkanische Rekruten
       ausgebildet werden. Für Beunruhigung sorgt in diesem Zusammenhang die
       Meldung, dass die Islamisten vergangene Woche in Gao ein gigantisches
       unterirdisches Waffenarsenal entdeckt haben, das Malis Regierungstruppen
       bei ihrer Flucht vor zwei Monaten zurückließen.
       
       „Bisher waren sie leichte Waffen gewohnt und seit kurzem Luftabwehrraketen
       aus Libyen; jetzt haben die bewaffneten Gruppen in der Region schwere
       Waffen und sogar Panzer“, analysiert der Fachdienst Sahel Intelligence.
       „Dies ermöglicht ihnen einen qualitativen Sprung.“
       
       29 May 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Dominic Johnson
       
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