# taz.de -- Islamisten in Mali: Nichts ist, wie es war
       
       > Der Norden Malis wird von Islamisten beherrscht. Im Grenzgebiet versucht
       > das Militär, Stärke zu zeigen, und gängelt die Medien. Eine Stadt und ihr
       > Lokalradio im Alarmzustand.
       
 (IMG) Bild: Im Ausbildungscamp in Mopti warten die jungen Milizen auf ihren Einsatz – zur Verstärkung der malischen Armee. Offiziell wird dies bestritten.
       
       MOPTI taz | Sie waren schon mehrfach bei ihm. Drei, vier Soldaten der
       malischen Armee, bewaffnet mit Sturmgewehren. Sie klopften, durchsuchten
       die Räume, drohten und gingen wieder. „Nichts Besonderes“, sagt Mamadou
       Bocoum. Er ist Chefredakteur des lokalen Radiosenders Kaoural in Mopti. Die
       Stadt ist die letzte in der Südhälfte des Landes, die gefahrlos bereist
       werden kann. Rund 70 Kilometer dahinter beginnt Islamistengebiet.
       
       Mamadou Bocoum ist Journalist des Jahres 2012 in Mali. Seit Wochen darf er
       aber nicht mehr berichten, jedenfalls nichts Politisches. „Es gibt für uns
       eine ganz klare Warnung des Militärs: Entweder wir bleiben unpolitisch oder
       sie kommen und zerstören den Sender.“
       
       Bocoum ist derzeit nicht gut auf das [1][Militär und die Pseudoregierung in
       Malis Hauptstadt Bamako] zu sprechen. „Ich darf zwar nicht senden, aber wer
       soll mir das Recherchieren verbieten?“, fragt er trotzig. Die Freiheit der
       Presse ist in Malis Grundgesetz verankert, doch seit mehr als zwei Monaten
       gilt dies nur noch eingeschränkt. Seitdem im März in der Hauptstadt Bamako
       [2][das Militär putschte] und die Nordhälfte des Landes unter die Kontrolle
       einer Koalition von Tuareg-Rebellen und islamistischen Milizen geriet,
       haben sich die politischen Verhältnisse in Mali dramatisch verändert.
       
       Wieder klingelt eines der Telefone auf Bocoums Schreibtisch. Er spricht
       laut, die Verbindung ist schlecht. Ein Kollege aus Gao berichtet ihm von
       den Zuständen in der von Islamisten kontrollierten größten Stadt Nordmalis.
       Bocoum stellt auf laut.
       
       In Gao, sagt der Journalist, sei am Morgen demonstriert worden. Die
       Islamisten hätten in die Menge geschossen. „Es hat mehrere Tote gegeben.“
       Die Stimmung sei ebenso angespannt wie die Versorgungslage. „Es fehlt vor
       allem Wasser.“ Beim Sturm auf Gao Ende März hätten die Tuareg-Rebellen und
       die islamistischen Kämpfer alles zerstört, was nach öffentlicher Ordnung
       aussah: Banken, Krankenhäuser, Verwaltungsgebäude, Geschäfte und
       Mobilfunkantennen. „Gao, Timbuktu und Kidal – es ist überall dasselbe“,
       sagt Bocoum, als er das Gespräch beendet.
       
       ## Armee trägt Mitschuld
       
       Wenn man den Radiojournalisten nach den Gründen für die Situation im Norden
       fragt, beschuldigt er an erster Stelle Malis Armee. Sie habe versagt. Und
       mehr als das. „Ich habe hier Interviews“, sagt er und zeigt auf seinen
       Laptop, „mit Eltern, deren Söhne seit Wochen verschwunden sind. Wir haben
       Anhaltspunkte dafür, dass die Armee gegen arabisch- und tuaregstämmige
       Familien vorgeht.“ Fünf Menschen soll die Armee allein in Mopti in den
       letzten Wochen verschwinden lassen haben.
       
       Das Leben in Mopti scheint äußerlich seinen gewohnten Gang zu gehen,
       Geschäfte und Märkte sind geöffnet. Aber der Handel stagniert, die Händler
       aus dem Norden bleiben aus. Immer weniger kommen mit ihren Pirogen den
       Fluss Niger hinauf, der sich eigentlich von Mopti aus gen Norden schwingt,
       bevor er südöstlich Richtung Niger und Nigeria weiterfließt. Diese Route
       ist jetzt dicht, und im Kriegsfalle würden wohl auch die Lastwagen aus
       Burkina Faso und der Elfenbeinküste wegbleiben. Die Menschen in Südmali
       sind jedoch auf diese Waren angewiesen.
       
       ## „Die Lücken geschlossen“
       
       Bereits jetzt nimmt die Militärpräsenz in und um Mopti spürbar zu. Die
       Armee patrouilliert zunehmend mit hochgerüsteten Pick-ups, selbst in der
       Altstadt. Außerhalb hat das Militär die Kontrolle der Checkpoints
       übernommen – ein Job, den in Friedenszeiten die Polizei erledigt. Jetzt
       stehen dort Truppenpanzer und bewaffnete Fahrzeuge.
       
       Offensichtlich bereitet sich Malis Militär in Mopti auf den großen
       Gegenschlag vor: Immer wieder sind Schüsse vom Flughafen her zu hören. Dort
       hat die Armee ein Trainingsgelände. Die Truppenteile, die im März aus Gao,
       Timbuktu und Kidal geflohen sind, hat man nun teilweise in Mopti
       konzentriert.
       
       Moptis Armeekommandant Patrick Sangaré ist zum Gespräch an einem neutralen
       Ort bereit. „Die Sicherheit der Menschen hier ist gewährleistet“, behauptet
       der Kommandant. Es habe einige wenige Korridore gegeben, durch die
       Islamisten oder Tuareg-Rebellen gen Süden gelangt seien, aber „diese Lücken
       sind nun geschlossen“. Auf die Frage, ob die Armee noch in diesem Jahr in
       den Norden einmarschieren wolle, antwortet er nur: „Als Soldat muss man den
       Feind überraschen.“ Derzeit, sagt Sangaré, sei die Luftwaffe mit Aufklärern
       über dem Norden im Einsatz. „Die malische Armee ist gut ausgerüstet, die
       Region Mopti ist sicher.“
       
       ## Traditionelle Miliz
       
       Eine Behauptung, die in Sicherheitskreisen auf große Skepsis stößt. Vier
       Flugzeuge soll Malis Militär angeblich besitzen. „Nicht eines davon kann
       Munition mit sich führen“, sagt ein belgischer Sicherheitsexperte, der seit
       Jahren in Westafrika tätig ist. Die Hubschrauber seien zu klein und „zum
       großen Teil nicht einsatzbereit“. Und ausländische Hilfe? Einiges sei wohl
       schon da, vermutet der Belgier.
       
       Verstärkung für die malische Armee könnten die sogenannten Gandakoye und
       Ganda Izo bringen: eine traditionelle Miliz, die von jungen Männern
       gebildet wird, die anderen Ethnien als den Tuareg oder Arabern angehören
       und gemeinsam aus den Städten des Nordens nach Mopti geflohen sind. Sie
       scheinen für den Ernstfall zu proben. Das Militär spricht darüber nicht,
       die Bevölkerung wohl.
       
       Bei einem Besuch im Camp der Milizen sitzen dort etwa 700 junge Männer in
       kleinen Gruppen – und warten. Auf was, dürfen sie nicht sagen. Sie rauchen,
       spielen Karten, schlafen auf gepackten Taschen. In einem der Schlafsäle
       näht ein Jugendlicher ein GriGri, einen Talisman.
       
       Die Funktionäre reden, doch gesprächig sind sie nicht. Sie wiederholen
       lediglich die offizielle Sprachregelung: Gandakoye und Ganda Izo seien sie
       nicht, sondern Flüchtlinge, die dringend Hilfe bräuchten. Nur einmal
       gewährt der Mann, der sich als „Personalleiter“ vorgestellt hat, einen
       kleinen Einblick in die Kämpfermentalität: „Die Ziege ist ein friedliches
       Tier, aber wenn man sie reizt, stößt sie zu.“
       
       Auch Radiomann Mamadou Bocoum hat das Camp besucht. „Es besteht kein
       Zweifel, dass die Jungs kämpfen werden“, sagt er. Er hat erfahren, dass sie
       in Mopti Geld für Waffen gesammelt haben. Inzwischen gibt es Berichte, dass
       in Douentza, einer Stadt 180 Kilometer von Mopti, Angehörige dieser Milizen
       zu den Islamisten übergelaufen seien.
       
       ## Über Mali hinaus
       
       Was viele Malier zurückhaltend mit „das Problem im Norden“ umschreiben,
       sorgte international für Aufsehen, als die Islamisten in einem brutalen Akt
       das [3][Weltkulturerbe in Timbuktu zerstörten]. Die Sache hat durchaus
       Potenzial, zum internationalen Konfliktfall zu werden. Das islamistische
       Bündnis – bestehend aus der in Algerien beheimateten Aqmi (al-Qaida im
       Islamischen Maghreb) und der malischen Miliz Ansar Dine – ist keine rein
       malische Bewegung. Man geht von Verbindungen nach Nigeria und Somalia aus,
       sogar bis nach Pakistan und Afghanistan, und aus den Anrainerstaaten wie
       Mauretanien, Tschad, Niger, Burkina Faso und Libyen sollen Sympathisanten
       oder heimatlose Terroristen bereitstehen.
       
       Wenn sie sich im Norden Malis festsetzen, dann haben die salafistischen
       Extremisten den Gürtel in Afrika geschlossen. Der belgische
       Sicherheitsexperte, der seinen Namen nicht nennen will, sagt: „Das
       Schlimmste wäre, wenn sich die Islamisten hinter Kidal in die Berge
       verschanzen.“ Dort beginnt Algerien.
       
       Um die Tuareg-Rebellen und ihren Traum vom eigenen Staat Azawad geht es
       schon gar nicht mehr. Es zeigt sich immer deutlicher, dass die Tuareg von
       den Islamisten nur benutzt wurden. Jetzt regieren neue Herren in den
       Städten. In Gao sollen die Islamisten den Tuareg-Rebellen ein Ultimatum
       gestellt haben, innerhalb von zwei Stunden die Stadt zu verlassen. Nun
       patrouilliert dort die Schariapolizei, wie Menschen aus Gao berichten.
       Frauen und Männer dürfen sich nicht mehr zusammen zeigen, Bars sind
       geschlossen oder zerstört, Sport ist verboten, Rauchen und Alkohol sowieso.
       
       Könnte Mali ein afrikanisches Afghanistan werden? Bocoum nickt. „Wir müssen
       uns darauf einstellen.“
       
       21 Jul 2012
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Der-neue-Staat-in-Nordmali/!94241/
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 (DIR) [3] /Islamisten-schleifen-Timbuktus-Kulturerbe-/!96491/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Gunnar Rechenburg
       
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