# taz.de -- Flucht aus Mali: Lieber friedlich hungern
       
       > Hunderttausende sind inner- und außerhalb des Landes vor dem Bürgerkrieg
       > auf der Flucht. Das verschärft die ohnehin schwierige Versorgungslage.
       
 (IMG) Bild: Diese Frauen flüchten aus dem Norden Malis.
       
       COTONOU taz | Wer noch irgendwie kann, der flieht. Seit dem Putsch in Mali,
       vor allem aber der Ausrufung des Staates Azawad durch die
       Tuareg-Rebellenbewegung MNLA (Nationale Bewegung zur Befreiung Azawads) vor
       drei Wochen versuchen immer mehr Menschen, den Norden Malis zu verlassen.
       Fehlende Nahrungsmittel treiben sie zur Flucht, aber auch eine große
       Unsicherheit.
       
       Erst flohen viele Tuareg vor Übergriffen, die im Süden Malis aus Rache
       gegen das Vorrücken der Tuareg-Rebellen im Norden stattfanden. Dann
       breiteten sich im MNLA-Gebiet im Norden islamistische Gruppierungen aus und
       trieben lokale Bevölkerungen sowie Zugereiste aus dem Süden in die Flucht.
       
       Laut dem UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR haben bislang knapp 133.000 Personen
       innerhalb Malis einen sichereren Ort aufgesucht; das
       UN-Welternährungsprogramm WFP geht von bis zu 200.000 aus. Aber auch die
       Flüchtlingsströme in die Nachbarländer werden immer stärker. In die
       Nachbarländer Mauretanien, Burkina Faso und Niger sollen sich bislang mehr
       als 146.000 Personen gerettet haben. Dazu kommen rund 30.000 in Algerien.
       
       Das könnte nun verheerend für die ganze Region werden. Schon seit Monaten
       warnen Hilfsorganisationen vor einer möglichen Hungerkrise im Sahel. Grund
       dafür sind die schlechten und sehr ungleich verteilten Niederschläge im
       vergangenen Jahr. In den Sahel-Ländern sank die nationale
       Getreideproduktion 2011 deshalb um 20 bis 56 Prozent im Vergleich zu 2010.
       Nahrungsmittel gibt es zwar vielerorts noch, doch die Preise sind derart
       gestiegen, dass sich viele Menschen selbst einen Sack Hirse schlichtweg
       nicht mehr leisten können.
       
       Über 15 Millionen Menschen, so schätzen die UN-Hilfswerke, könnten dieses
       Jahr in der Sahelregion von akuter Nahrungsknappheit betroffen sein. In
       Malis Nachbarländern würden die Flüchtlingsströme die
       Nahrungsmittelknappheit verschärfen, sagt Charlotte Heyl vom
       Leibniz-Institut für Globale und Regionale Studien (Giga) in Hamburg. „Dies
       wird die Nachbarländer unter Druck setzen“, so Heyl.
       
       ## Hitze, Wassermangel und Seuchen
       
       Die meisten Menschen – vor allem aus der Region Timbuktu – haben sich
       bisher nach Mauretanien geflüchtet. Offiziell sollen es gut 60.000 sein.
       Der mauretanische Journalist Intagrist El Ansari geht jedoch davon aus,
       dass allein in den letzten zwei Monaten mehr als 70.000 Menschen gekommen
       sind. Es gebe zwar eine Grundversorgung durch das UNHCR, die mauretanischen
       Behörden und verschiedene nichtstaatliche Organisationen.
       
       Trotzdem sei die Situation der Flüchtlinge äußerst schwierig, so der
       Mauretanier. „Sie leben jetzt im äußersten Südosten Mauretaniens. Es ist
       eine Region, in der Hitze, Wassermangel, Seuchen und Dürrekatastrophen an
       der Tagesordnung sind.“ Ausgerechnet dort müssen nun jeden Tag weitere
       1.000 neu eintreffende Menschen versorgt werden.
       
       Besorgniserregend für Intagrist El Ansari ist auch, dass die Situation
       eigentlich vorhersehbar war. Vor gut zwanzig Jahren sei es ganz ähnlich
       gewesen, analysiert er. Damals tobte im Norden Malis die erste
       Tuareg-Rebellion, wegen der ebenfalls viele tausend Menschen nach
       Mauretanien flohen. Erst viele Jahre später trauten sie sich zurück in den
       Norden Malis. „Die Geschichte wiederholt sich – das hat mir gerade jemand
       gesagt, der damals 13 Jahre alt war“, so El Ansari.
       
       Auch in Burkina Faso scheint sich die Situation weiter zuzuspitzen. Gut
       46.000 Menschen sollen sich dorthin geflüchtet haben. Laut UNHCR, das
       Neuankömmlinge interviewt, fürchten sie Offensiven der malischen Armee zur
       Rückeroberung der Rebellengebiete. Die schwierige Sicherheitslage an der
       Grenze mache eine Betreuung unmöglich.
       
       Auch laut Ärzte ohne Grenzen ist die Hilfe sehr begrenzt. In der Provinz
       Oudalan im Norden würde es lediglich behelfsmäßige Unterkünfte geben. Kurz
       vor Ende der Trockenzeit klettern dort die Temperaturen gern auf über 40
       Grad Celsius.
       
       27 Apr 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Katrin Gänsler
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Entwicklungszusammenarbeit
       
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