# taz.de -- Feuer, Fußball und Wahl in Griechenland: Angst vor dem Morgen
       
       > Griechenland bleibt vorerst in der Euro – zumindest in Sachen Fußball.
       > Nach dem Sieg über Russland steht die griechische Elf im Viertelfinale.
       > Doch die Freude im Land ist verhalten.
       
 (IMG) Bild: Keine Dusch-, sondern eine Wahlkabine.
       
       ATHEN taz | Auf dem Syntagmaplatz vor dem griechischen Parlamentsgebäude
       betreibt Panajotis seit fünf Jahren einen Kiosk. Das Vorrundenspiel der
       Gruppe A – Russland gegen Griechenland – hat er sich auf einem kleinen
       Fernseher in seinem „Kioski“ angesehen. Nach dem unerwarteten 1:0-Sieg
       seiner Landsleute wurde er Zeuge des verhaltenen Autokorsos rund um den
       Syntagmaplatz. „Auch wenn die Freude über den Sieg im Spiel gegen die
       Russen da ist – so ganz rauslassen konnten wir sie nicht.“ Zwar flitzten
       einzelne Motorräder mit fahneschwenkenden Frauen und rasant anfahrenden
       Männern am Steuer sowie ein paar hupende Autos am Parlament vorbei – doch
       so richtige Siegesstimmung wollte nicht aufkommen.
       
       Griechenland – wirtschaftlich ausgelaugt und politisch instabil – steht
       nach wie vor unter Anspannung. Am Sonntag wurden knapp 10 Millionen
       wahlberechtigte Griechen erneut an die Urnen gebeten, nachdem eine
       Regierungsbildung nach den Wahlen am 6. Mai gescheitert war. „Nach dem
       Spiel ist vor dem Spiel“, lächelt der Deutschgrieche Nikos Pavlakis, der
       sich das Fußballspiel in einem Café nahe dem Syntagmaplatz vor dem
       Parlamentsgebäude angesehen hat. Er ist zu den Wahlen nach Athen gereist.
       „Der wohl bekannteste Fußballspruch lässt sich heutzutage in Griechenland
       wunderbar auf die Wahlen übertragen: Nach den Wahlen ist vor den Wahlen!“,
       sagt Nikos mit bitterem Unterton.
       
       Sowohl die konservative Nea Dimokratia als auch das linke Bündnis Syriza
       hoffen in dieser zweiten Wahl auf den Sieg, welcher der ersten Partei im
       Parlament die 50 Bonussitze beschert und so zur absoluten Mehrheit
       verhelfen soll. Seit Wochen liefern sich die beiden Kontrahenten ein
       nervenaufreibendes Kopf-an-Kopf-Rennen. Dabei wirbt Alexis Tsipras,
       Vorsitzender der Syriza, mit einem modernen Griechenland fernab von
       Eliteparteien. Im Falle eines Wahlsiegs werde seine Partei eine „Regierung
       aller Griechen“ aufstellen, die den Verbleib des Landes in der Eurozone
       sichern werde, so Tsipras am Donnerstag auf seiner letzten
       Wahlkampfkundgebung in Athen.
       
       ## Drachme oder Euro?
       
       Der Konservativenchef Antonis Samaras bezeichnete die Parlamentswahlen am
       Sonntag als „Entscheid zwischen Drachme und Euro“. Bei seiner letzten
       Wahlveranstaltung am Freitagabend in Athen warnte er die Griechen davor,
       für Syriza zu stimmen. Die ökonomischen Konsequenzen eines Euro-Austritts
       wären für Griechenland „eine Katastrophe“.
       
       Offiziell dürfen zwei Wochen vor den Wahlen keine Umfragen mehr
       durchgeführt werden – inoffizielle Prognosen jedoch sehen die konservative
       Nea Dimokratia knapp vor der Syriza.
       
       „Egal wie die Wahlen ausgehen, ich hoffe diesmal einfach auf ein Ergebnis.
       Das Gefühl, im Niemandsland zu stehen, ist furchtbar. Hauptsache ist, dass
       wir bei diesen zweiten Wahlen überhaupt eine Regierung bilden“, sagt Nikos
       müde. Der Fußballsieg scheint vergessen.
       
       Kioskbesitzer Panajotis zeigt auf die griechische Sportzeitung Goal-News,
       die neben anderen Zeitungen vor seinem Kiosk liegt, und lächelt
       verschmitzt. Ein wenig mehr Fußballbegeisterung könnte doch noch aufkommen:
       „Kommt auch darauf an, gegen wen Griechenland im Viertelfinale antritt.“
       Die Sportzeitung titelt jetzt schon kämpferisch: „Jetzt bringt uns Merkel.
       Ihr werdet Griechenland nie aus dem Euro rausschmeißen.“ Trotzdem stellt
       Panajotis ernüchtert fest: „Es ist definitiv ruhiger als in den letzten
       Jahren bei Fußballspielen. Die momentane Anspannung vor den Wahlen ist zu
       groß. Wir haben ja wirklich gar keine Ahnung über ihren Ausgang. Aber
       wenigstens ist ab morgen diese schreckliche Ungewissheit fürs Erste vorbei.
       Beim nächsten Spiel im Viertelfinale wird es dann hoffentlich entspannter.“
       
       ## Symbolcharakter
       
       Über Deutschland wird in Griechenland – sowohl politisch als auch sportlich
       – momentan viel diskutiert. Letzteres, weil das Team von Bundestrainer
       Joachim Löw potenzieller Gegner der Griechen im Viertelfinale sein wird:
       ein brisanteres Spiel ist kaum vorstellbar. „Wenn wir gegen die Deutschen
       spielen, wird das ein Kampf, der sich nicht nur um den sportlichen Sieg
       dreht. Solch ein Spiel hätte symbolischen Charakter.“
       
       Taxifahrer Antonis Papadopoulos schwärmt noch vom Highlight des gestrigen
       Spiels: das Tor von Georgios Karagounis in der Nachspielzeit der ersten
       Halbzeit. Der griechische Mittelfeldspieler kam am russischen Strafraum an
       den Ball, fand eine Lücke und schoss. Tor! Der Taxifahrer, der das gesamte
       Spiel über sein Radio mitverfolgt hat, strahlt über das ganze Gesicht. „In
       den letzten Jahren habe ich aus diesen verdammten Boxen immer nur ’Krise,
       Krise, Krise‘ gehört.“ Er schlägt leicht auf die Lautsprecher neben den
       Sitzen seines gelben Autos.“ Da tut es gut, mal etwas Positives zu hören!
       Es ist zwar nur ein Spiel, aber ich freue mich über den Sieg – auch wenn
       diese Freude die Angst vor dem Morgen nicht vertreiben kann.“
       
       17 Jun 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Theodora Mavropoulos
       
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