# taz.de -- EU-Gipfel in Brüssel: An den Rand gespielt
       
       > Wie die Bundeskanzlerin sich selbst ins Abseits stellte und Italiens
       > Regierungschef Monti das Match gewann. Ob es ein Rückspiel gibt, wird
       > sich noch zeigen.
       
 (IMG) Bild: „Den Teufelskreis zwischen Banken und Staatsanleihen durchbrechen“: Bundeskanzlerin Merkel und Italiens Premier Monti auf dem Euro-Gipfel.
       
       Der Gipfel: Das ist also der Abend, an dem Merkel die Führung über den Euro
       verliert. Nein, nein, nein, hatte sie vor dem EU-Gipfel ausgerufen: Keine
       Eurobonds, "solange ich lebe", keine Sonderkonditionen bei der
       Bankenrettung in Spanien, keine speziellen Hilfen für Italien. Dass die
       Finanzmärkte Italien und Spanien in die Zange genommen hatten und der
       Zinsdruck ins Unerträgliche wuchs, schien die "eiserne Kanzlerin" nicht zu
       kümmern.
       
       Ganz anders Italiens Premier Mario Monti: er warnte vor einer
       "Katastrophe", falls seinem Land nicht geholfen werde, und drohte, zur Not
       bis Sonntagabend in Brüssel zu bleiben, um einen Gipfelbeschluss zu
       erzwingen. In Merkels Lager nahm man das nicht ernst. Monti könne ja einen
       Hilfsantrag stellen und die internationale Troika nach Rom rufen, sagten
       ihre Berater. Die hohen Zinsen seien gar nicht schlimm, zu "Panik" bestehe
       kein Grund.
       
       Was als sachliche Bemerkung gemeint war, kam als typisch deutsche Arroganz
       bei Monti an - und bei François Hollande und Mariano Rajoy. Frankreichs
       neuer Staatschef und Spaniens nicht mehr ganz so neuer Regierungschef
       verabredeten, sich bei diesem Gipfel gemeinsam mit Monti die Bälle
       zuzuspielen. Und so kam es dann auch.
       
       Dass es nicht gut lief für Deutschland, wurde gleich zu Beginn des
       Gipfelspiels deutlich: Merkel konnte ihren Wunschkandidaten für die Leitung
       der Eurogruppe, ihren Parteifreund Wolfgang Schäuble, nicht durchsetzen.
       Frankreich blockierte die Nominierung des deutschen Kassenwarts, ein
       Kompromisskandidat wurde nicht gefunden. Also blieb den Eurochefs nichts
       anderes übrig, als Amtsinhaber Jean-Claude Juncker um Verlängerung zu
       bitten. Merkel hatte ihre erste Schlacht verloren.
       
       Der entscheidende Moment: Am Donnerstag gegen 19 Uhr wollen die Chefs ihren
       ersten Beschluss verkünden: die Einigung auf den Wachstumspakt. Doch Monti
       bekommt einen Wutanfall, weil immer noch keine kurzfristigen Maßnahmen zur
       Stützung Spaniens und Italiens beschlossen wurden. Der Italiener droht mit
       seiner Abreise und damit, den Wachstumspakt platzen zu lassen. "Sind wir
       nun alle Geiseln", fragt die dänische Ministerpräsidentin Helle
       Thorning-Schmidt.
       
       Montis Drohung zielt ganz klar auf die Kanzlerin. Merkel bekommt den
       Fiskalpakt im Bundestag nur dann durch, wenn vorher, beim EU-Gipfel, auch
       der Wachstumspakt beschlossen wird. Denn SPD und Grüne haben ihre
       Zustimmung genau davon abhängig gemacht. Das weiß natürlich auch Monti - er
       spielt nun Hardball mit der Kanzlerin.
       
       Ergebnis: Merkel sagt ihr Pressegespräch ab, das Abendessen wird auf später
       verschoben, die Debatte geht weiter - und Monti bekommt seine EU-Hilfen.
       Allerdings wird erst mal Fußball geguckt.
       
       Die Verlängerung: Als feststeht, dass Italien die Euro 2:1 gewonnen hat,
       geht es wieder um den Euro. Merkel versucht ein letztes Mal, das Spiel zu
       wenden. Sie drängt Van Rompuy, vor die Presse zu treten und eine Einigung
       beim Wachstumspakt zu verkünden - eine glatte Lüge. Schließlich blockiert
       Monti weiter, auch Rajoy hat sich der Fronde angeschlossen. Hollande
       empfiehlt, besser bei der Wahrheit zu bleiben. Die Presse bekommt Wind von
       dem Streit, nun gibt es kein Zurück mehr. Die 17 Euroländer beraumen eine
       Nachtsitzung ein. Um halb fünf morgens steht der Deal - Italien hat
       gewonnen.
       
       Die große Verliererin: Angela Merkel. Dies war eindeutig nicht ihr Spiel.
       Sie wollte weder die nächtliche Krisensitzung noch das Ergebnis. Die
       "eiserne Kanzlerin" wurde Opfer ihrer eigenen Taktik, den EU-Gipfel und die
       Ratifizierung von Fiskalpakt und ESM miteinander zu verknüpfen. Wenn die
       entscheidende Sitzung des Bundestags nicht am Freitag gewesen wäre, hätte
       sie locker auf Zeit spielen können. Nun wurde sie zur Geisel ihrer eigenen
       Strategie.
       
       Schlussfolgerung: Die Zeit, in der Merkel und Schäuble die Eurozone mit
       Spardiktaten disziplinierten, ist vorbei. Deutschland muss sich neu
       aufstellen, sonst könnte es irgendwann an den Rand gedrängt werden.
       
       Und sonst? Die Zitterpartie um den Euro geht weiter. Gestern machten die
       Finanzmärkte einen Freudensprung. Doch wenn sie das Kleingedruckte der
       Gipfelbeschlüsse lesen, könnten sie schon bald wieder zweifeln - und erneut
       gegen Spanien und Italien spekulieren.
       
       29 Jun 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Eric Bonse
       
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