# taz.de -- Islamisten in Nordmali: „Wir sind alle Mudschaheddin“
       
       > Im Norden Malis sammeln die Islamisten Rekruten und rüsten sich gegen
       > eine Militärintervention. Insbesondere die Frauen leider unter der
       > Scharia.
       
 (IMG) Bild: Vorbei: Im Norden Malis haben die Frauen keine Freiheiten mehr.
       
       GAO afp | Den Finger am Abzug seines Gewehres befiehlt der
       Islamistenkämpfer dem Fahrer des Autos anzuhalten. „Wir haben beschlossen,
       die Sicherheit zu verstärken“, sagt Aziz Maiga. Er ist erst 14. Eine Gruppe
       junger Männer in staubigen Uniformen beginnt mit einer minutiösen
       Durchsuchung des Fahrzeugs.
       
       Auf dem Weg von Nigers Grenze nach Gao, die größte Stadt unter
       Islamistenkontrolle in Mali, sind fast alle Bewaffneten Schwarzafrikaner -
       nicht mehr Nordafrikaner wie vor einem halben Jahr, als islamistische
       Rebellen das Gebiet eroberten. „Jeden Tag bekommen wir neue Freiwillige“,
       sagt Hicham Bilal aus Niger, der in Gao eine Kampfeinheit (“Katiba“)
       kommandiert. „Sie kommen aus Togo, Benin, Niger, Guinea, Senegal, Algerien
       und sonstwo. Wir sind alle Mudschaheddin. Wir sind überall zuhause.“
       
       In Gao fahren offene Militärlastwagen mit schwarzen Fahnen herum. Auf den
       Ladeflächen drängeln sich Waffen und teils sehr junge Kämpfer. „Wir stehen
       bereit“, sagt ein Ivorer. „Wir warten auf die französischen und
       afrikanischen Truppen“.
       
       Die Freiwilligen melden sich in Gao am Sitz der islamischen Polizei. „Ich
       heiße Khalil, ich bin Ägypter“, sagt ein hagerer Mann, der sein Arabisch
       von einem sierraleonischen Begleiter übersetzen lässt. „Ich bin gekommen,
       um meine Brüder zu unterstützern“. Ein anderer sagt ein Englisch, er komme
       aus Pakistan: „Der Islam kennt keine Grenzen“.
       
       Die „islamische Polizei“ in Gao scheint tatsächlich unter Kontrolle von
       Ägyptern und Pakistanis zu stehen. Auf der Straße Richtung Südwesten, also
       Richtung Frontlinie, stehen vor allem kampferfahrene Algerier. Es heißt,
       sie gehörten zur Einheit von Mokhtar Belmokhtar, Chef der „al-Qaida im
       Islamischen Maghreb“ (AQMI).
       
       Der westafrikanische Staatenbund Ecowas (Westafrikanische
       Wirtschaftsgemeinschaft) will in Mali eingreifen, um der Regierung bei der
       Rückeroberung des Nordens zu helfen. Am Rande der UN-Vollversammlung in New
       York diese Woche erneuerte Malis Übergangspremier Cheikh Modibo Diarra
       diese Forderung, unterstützt von Frankreich. Ein UN-Beschluss steht noch
       aus.
       
       Um eine mögliche Landung von Elitetruppen aus der Luft zu verhindern, haben
       die Islamisten in Gao die Flugpiste der Stadt mit Autowracks vollgestellt.
       In Wohnvierteln wurden schwere Waffen in Stellung gebracht.
       
       Die Islamisten haben die Anwendung des islamischen Scharia-Rechts in Gao
       verschärft. Am 10. September wurde fünf mutmaßlichen Straßenräubern jeweils
       eine Hand und ein Fuß abgehackt. Sie liegen im städtischen Krankenhaus,
       bewacht von Bewaffneten in einem grell beleuchteten Zimmer.
       
       „Ja, ich gebe zu, einen Reisebus überfallen zu haben“, sagt einer der fünf.
       „Aber es ist nicht Ordnung, mir dafür Hand und Fuß abzuschneiden“. Die
       Gruppe aus vier Peul und einem Tuareg griff im September einen Bus auf der
       Straße von Gao nach Niger an und raubte die Passagiere aus. Sie wurden
       verhaftet und öffentlich in Gao amputiert. Jetzt liegen sie bis auf
       weiteres in rostigen Betten auf Matratzen ohne Decken, es ist mehr eine
       Gefängniszelle als ein Krankenzimmer.
       
       „Ich wusste nicht, dass mir das passiert“, sagt ein anderer. „Ich werde nie
       mehr arbeiten können. Ich werde mich verstecken müssen. Mein Leben ist zu
       Ende.“
       
       Der Arzt Moulaye Djité meint, den fünf gehe es gut. „Es gibt keine
       Infektion, nichts. Sie sind auf dem Weg der Genesung.“ Zur Lage in Gao sagt
       er bloß: „Es gibt eine Situation, die Sie kennen.“
       
       Die „Situation“ ist ein strenges islamisches Regelwerk, auf dessen Bruch
       mindestens Auspeitschung steht. Im Radio gibt es keine Musik mehr, Frauen
       trauen sich nur noch verschleiert auf die Straße, und nur die ganz Mutigen
       rauchen in der Öffentlichkeit. Wer Tabak kaufen will, fragt im Laden nach
       „Paracetamol“.
       
       „Ich hasse das“, sagt Aicha, ein 15jähriges Mädchen. Sie sitzt mit ihren
       Freundinnen im Innenhof eines Hause. „Ich fühle mich wie im Gefängnis“.
       Alle die jungen Mädchen sagen, das Leben sei jetzt die Hölle.
       
       „Wir sind absolut gegen die Anwendung der Scharia. Aber sagen dürfen wir
       das nicht“, sagt Mimi, ihre Augen hinter dem Schleier versteckt. „Sogar bei
       45 Grad müssen wir uns anziehen, als sei es kalt. Genug ist genug!“
       
       Zeinab ist wütend: Sie spielt Basketball, aber das ist jetzt verboten.
       Toula erinnert sich, wie sie früher mit ihren Freundinnen zum Fluss ging,
       um Wäsche zu waschen und zu baden. „Das war schön! Aber heute verbieten die
       Barbaren alles. Wir sind nicht mehr frei. Und niemand kommt, um uns zu
       befreien.“
       
       Ihre Nachbarin Fatoumata sagt, die Mädchen würden sich gegenseitig per SMS
       aufmuntern. „Halte durch“, steht in einer Textnachricht. „Mit Gottes Hilfe
       ist das bald vorbei.“
       
       28 Sep 2012
       
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