# taz.de -- Terrorismus in Nigeria: Im Schatten des Sultans ist es friedlich
       
       > Der Terror der islamistischen Gruppe Boko Haram breitet sich in Nigeria
       > weiter aus. Ausgerechnet der Sitz des Oberhauptes der nigerianischen
       > Muslime bleibt friedlich.
       
 (IMG) Bild: „Als ich hier ankam und Auto fuhr, schauten mich die Menschen an, als sei ich eine Außerirdische“: Lehrerin Rahmatu Saleh.
       
       SOKOTO taz | Der Sultan wird keine Zeit haben. Muhammad Sa’ad Abubakar III
       soll zwar im Laufe des Nachmittages ankommen, bestätigt sein Sekretär.
       „Aber morgen früh wird er gleich weiterreisen.“ Der Sekretär schüttelt
       bedauernd den Kopf und klopft mit seinem Fingern auf die Tischplatte des
       riesigen Schreibtisches, hinter dem er sitzt. Vor der Tür, die in den
       dunklen, fensterlosen Raum führt, stehen Besucher Schlange. Jeder möchte
       mit ihm sprechen, ihn um einen Rat bitten. Vor dem Palast, einem
       schmucklosen weißen Gebäude, warten ein paar Bettler auf Almosen.
       
       Der Sultan Sokoto ist in Nigeria das geistige Oberhaupt aller Muslime. Der
       erste Sultan war Usman dan Fodio, der vor gut 200 Jahren in den Heiligen
       Krieg zog und 1808 das mächtige Kalifat von Sokoto ausrief. Egal, wer
       danach die Region und dann das spätere Nigeria beherrschte – der Sultan
       behielt seine Bedeutung.
       
       Der Palast, der Sultan und die Stadt Sokoto, die mit 360.000 Einwohnern im
       äußersten Nordwesten Nigerias kurz vor der Grenze zum Nachbarland Niger
       liegt, sind noch heute untrennbar miteinander verbunden. Böse Zungen sagen:
       Ansonsten hätte Sokoto auch nicht viel – keine Industrie, eine schlechte
       Anbindung an den Rest Nigerias, kein pulsierendes Leben.
       
       „Als ich vor mehr als 30 Jahren nach Sokoto kam und Auto fuhr, schauten
       mich die Menschen hier an, als ob ich eine Außerirdische sei“, erinnert
       sich Rahmatu A. Saleh. Sie sitzt in einem leeren Klassenzimmer, auf dem
       Schulhof toben hunderte Mädchen und Jungen. Sie lacht. „Und heute ist es
       manchmal immer noch so.“
       
       Das sei typisch für Sokoto, findet die Lehrerin, die auch Vorsitzende der
       Vereinigung der muslimischen Frauen im Bundesstaat Sokoto ist. Sie selbst
       kam 1978. Der Heirat wegen verließ sie ihre Heimat, den Bundesstaat Gombe
       im Nordosten Nigerias. „Gombe ist ganz anders. Es gibt viele ethnische
       Gruppen, und meine Leute haben westliche Bildung genossen.“
       
       ## „Westliche Bildung ist Sünde“
       
       Die Anschläge, die die islamistische Gruppe Boko Haram – der Name heißt
       „Westliche Bildung ist Sünde“ – in den vergangenen Monaten immer wieder in
       Gombe verübt hat, würden sie nicht von einer Rückkehr abhalten, wenn sie
       denn könnte. Dabei gilt ausgerechnet ihre zweite Heimat Sokoto noch als
       einigermaßen sicher. Seit gut einem Jahr breitet sich Boko Haram durch die
       gesamte Nordhälfte Nigerias aus. Wo der nächste Anschlag geplant ist, lässt
       sich mittlerweile nicht einmal mehr erraten. Sokoto aber blieb bisher
       verschont.
       
       „Es gibt immer wieder Gerüchte, dass Boko Haram auch in Sokoto zuschlagen
       könnte“, sagt Dan Chijioke vom nichtstaatlichen „Zentrum für Gesundheit,
       Frieden und Fortschritt“ (3Ps). Einen entscheidenden Vorteil habe Sokoto
       jedoch: „Viele Einwohner hören noch auf die traditionellen Machthaber.
       Deren Einfluss ist größer als der von Politikern und Regierung.“ Der Sultan
       genießt ganz besonderes Ansehen, sagt Dan Chijioke. „Er ist die größte
       Respektsperson. In den Medien ruft er zum Frieden auf.“
       
       „Wir müssen weiterhin friedlich miteinander leben, ganz gleich, welche
       Religion wir haben, welcher ethnischen Gruppe wir angehören“, ließ der
       Sultan von Sokoto zu Beginn des Fastenmonats Ramadan verkünden. Lange ist
       er dafür auch von vielen Christen im Land gelobt worden. Heute finden viele
       seine Aussagen zu schwach. Er müsse sich, heißt es, deutlicher gegen den
       Boko-Haram-Terror aussprechen, dem allein in diesem Jahr mehrere hundert
       Menschen zum Opfer gefallen sind.
       
       Auf den Sultan zu setzen, das reicht auch Cecilia M. Eseme nicht. Die
       Leiterin von 3Ps schaut aus ihrem vergitterten Fenster. Der Strom ist mal
       wieder ausgefallen. „Es sieht friedlich aus, ja. Aber wir müssen auf der
       Hut sein“, sagt sie skeptisch. Sprengstoff ist auch in Sokoto längst
       gefunden worden.
       
       Noch mehr Sorge machen ihr allerdings die unzähligen Kinder und
       Jugendlichen, die aus dem Nachbarland Niger kommen und von ihren
       Koranlehrern zum Betteln geschickt würden. Solche Kinder werden, wenn sie
       größer sind, oftmals Rekruten von Boko Haram. „Wenn wir nicht ganz gewaltig
       aufpassen, dann kann sich Sokoto ganz schnell zu einer Stadt wie alle
       anderen auch entwickeln. Einflussreiche traditionelle Herrscher hin oder
       her.“
       
       29 Jul 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Katrin Gänsler
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Nigeria
       
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