# taz.de -- Ein Jahr nach den Anschlägen von Utøya: Rechtes Gedankengut blüht wieder auf
       
       > Das Attentat in Norwegen wurde zum Dilemma für Neonazis: sie
       > distanzierten sich von dem Rechtsterroristen und fanden doch Verständnis
       > für seine rassistischen Thesen.
       
 (IMG) Bild: Die rechtsextreme NPD hielt ihn für „durchgeknallt“ und schrieb ihm doch Durchblick zu: Anders Breivik.
       
       BERLIN taz | In den Tagen nach den Anschlägen vom 22. Juli 2011 kamen immer
       mehr Einzelheiten über den Täter, Anders Behring Breivik, ans Tageslicht.
       Und mit dem Bekanntwerden seiner wirren, im Internet unter dem
       aufgedonnerten Titel „2083 – eine europäische Unabhängigkeitserklärung“
       veröffentlichten Aufzeichnungen wurden auch die ideologischen Beweggründe
       des jungen Mannes klarer, die in den internationalen Presseberichten als
       rechtsextremistisch, rassistisch und fremdenfeindlich etikettiert wurden.
       
       In Norwegen reagierten zahlreiche rechtsgerichtete und nationalkonservative
       Organisationen und Parteien schnell: Sie distanzierten sich von Breivik, um
       jedweden Verdacht einer ideologischen Verwandtschaft mit dem norwegischen
       Massenmörder, der sich als militanter Gegner des „Massenimports von
       Moslems“ definierte, auszuräumen. Nationalpopulisten und fremdenfeindliche
       Organisationen erklärten ihre Solidarität mit den Opfern und verurteilten
       den Terrorismus als ideologische Waffe.
       
       Auch in anderen Staaten Europas meldeten sich schon bald rechte
       Organisationen zu Wort: In Tschechien organisierte die für ihre rüden
       Methoden in der Bekämpfung der sogenannten Zigeunerkriminalität bekannte
       rechtsradikale Arbeiterpartei für Soziale Gerechtigkeit (DSSS) sogar eine
       Solidaritätskundgebung für die Hinterbliebenen. In seiner Rede vor der
       norwegischen Botschaft kaschierte der DSSS-Chef nur schlecht seine
       Vorstellungen bezüglich des Zuzugs von Ausländern aus der islamischen Welt.
       Er sprach von „kriminellen Umtrieben“ der Emigranten und plädierte
       letztendlich – ähnlich wie Breivik – für einen radikalen Stopp der
       Einwanderung nach Europa.
       
       Breivik hatte seine Tat mit der „Bedrohung des Abendlandes durch die
       eingewanderten Moslems“ begründet. Die multikulturelle Gesellschaft empfand
       er als ein Gräuel. Hauptverantwortlich für den Niedergang der
       traditionellen Werte durch systematische Überfremdung seien linke Politiker
       und ihr „Kulturmarxismus“, schrieb Breivik. Solche Vorstellungen sind
       keineswegs neu: Breivik listet in seinem „Manifest“ mehrere Organisationen
       aus den USA, Ost- und Westeuropa auf, deren Gedankenwelt er nahesteht.
       
       ## Historische Vorbilder
       
       In Deutschland war die Reaktion von rechts auf die Taten Breiviks nicht
       eindeutig: Für die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD), die
       Breivik in seinem Manifest zusammen mit deren Bündnispartner aus der
       Europäischen Nationalen Front (ENF) als artverwandte Organisation erwähnt,
       ist der Attentäter wohl ein „durchgeknallter Mörder“. Zugleich erklärte ein
       NPD-Funktionär, Breivik „hatte begriffen“: „Der größte Feind, den die einst
       freien Völker Europas haben, sind ihre eigenen Regierungen.“
       
       Weiter im Osten, in Rumänien, greift Iulian Urban, ein Parlamentarier der
       Liberal-Demokratischen Partei (PDL), den im rechtsextremen Milieu
       weitverbreiteten Gedanken von der Schuld der Regierungen und der
       Europäischen Union an der Einwanderung fremdstämmiger Menschen aus Asien
       und Afrika auf. Urban wörtlich: Nicht Breivik habe das Attentat verübt,
       sondern die „Führer der Europäischen Union“.
       
       Breivik berief sich in seinem von Gewaltfantasien triefenden Manifest auf
       historische Vorbilder, um seine zusammengewürfelte Weltanschauung mit etwas
       mehr ideologischer Substanz zu versüßen. Seine Bewunderung gilt in gleichem
       Maße dem mittelalterlichen walachischen Fürsten Vlad Tepes, auch noch als
       Dracula der Pfähler bekannt, wie dem verstorbenen serbischen
       Kriegsverbrecher Slobodan Milosevic.
       
       ## Ein gewalttätiges Gebräu
       
       In der Überzeugung Breiviks verdienen beide besondere Anerkennung wegen
       ihrer Verdienste im Widerstand gegen den Vormarsch der Muslime in Europa.
       In seinem ideologischen Sammelsurium ließ sich Breivik auch aus der
       Weltanschauungsfabrik neokonservativer Vordenker inspirieren. Deren
       israelfreundliche und islamkritische Ideen mixt er zu einem gewalttätigen
       Gebräu.
       
       Rumänische Rechtsextremisten wiederum distanzierten sich von Breivik wegen
       seiner erklärt projüdischen Haltung. Man dürfe Breivik nicht als
       Rechtsradikalen und als Christ beschreiben. Seine zeitweilige
       Mitgliedschaft in einer Freimaurerloge habe ihn als Patrioten
       disqualifiziert und als „zionistischen Aktivisten“ und Befürworter der
       Schwulen entlarvt, hieß es in einem von rumänischen Autonomen Nationalisten
       online verbreiteten Artikel.
       
       Einige Wochen nach dem Attentat schien sich die Aufregung in Europa gelegt
       zu haben. Auch die rechtsradikalen Organisationen, die sich für eine kurze
       Periode durch den Anschlag einem Argumentationsnotstand ausgesetzt fühlten,
       fanden zurück in die Normalität.
       
       Die Warnungen vor den Bedrohungen der Demokratie und des Rechtsstaates
       durch militante Rechtsgruppierungen scheinen ein Jahr nach der Tragödie
       vergessen zu sein. Den Beweis dafür lieferten die Ergebnisse der jüngsten
       Wahlen in Frankreich und in Griechenland, wo die ultranationalistische
       Front National beziehungsweise die Goldene Morgendämmerung beispiellose
       Erfolge verbuchen konnten.
       
       22 Jul 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) William Totok
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Milo Rau
       
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