# taz.de -- Kommission zum Massaker in Norwegen: Kennzeichen VH-24605
       
       > Es häufen sich die Vorwürfe gegen den Polizeieinsatz auf Utøya. Ein Zeuge
       > lieferte eine Beschreibung Breiviks samt Autokennzeichen – eine Fahndung
       > wurde nicht veranlasst.
       
 (IMG) Bild: Blumen zum Gedenken für die unschuldigen Opfer auf Utøya.
       
       STOCKHOLM taz | Von einem Schuss an der Schulter getroffen lag Adrian
       Pracon in knietiefem Wasser vor der Südspitze der Insel Utøya. Neben ihm
       fielen die Körper weiterer von Anders Breiviks Waffen getroffener
       Jugendlicher in den See. Adrian stellte sich tot. Nahe dem Ertrinken hörte
       er Sirenen und sah am gegenüberliegenden Ufer das Blaulicht von
       Polizeifahrzeugen.
       
       Der Alptraum ist vorüber, dachte er. Es war 17.52 Uhr an diesem 22. Juli
       2011. Eine halbe Stunde, nachdem Breivik sein Blutbad begonnen hatte. Doch
       es sollte noch fast eine Dreiviertelstunde vergehen, bis die Polizei auf
       der Insel war und den Terroristen festnahm. In dieser Zeit starben auf
       Utøya weitere 27 der dort insgesamt 69 getöteten Menschen.
       
       Der Polizeieinsatz auf Utøya ist einer der Komplexe, mit der sich die
       „22.Juli-Kommission“ in ihrem am Montag in Oslo vorgelegten Bericht
       beschäftigt. Von der Regierung eingesetzt, um zu untersuchen, was an diesem
       Tag passierte und wie Norwegen für einen ähnlichen Terrorangriff in Zukunft
       besser gerüstet sein könnte.
       
       Ihr Fazit: Nahezu alles war damals schief gegangen. Mit besserer
       Arbeitsmethodik hätte der Verfassungsschutz dem Terroristen rechtzeitig auf
       die Spur kommen können. Der Bombenanschlag auf das Regierungsviertel hätte
       ganz verhindert werden können, wenn die bestehenden Vorschriften effektiv
       angewendet worden wären. Und ein rascherer Polizeieinsatz auf Utøya und
       damit die Rettung von Menschenleben sei „wirklich möglich“ gewesen.
       
       Von der Insel waren Schüsse zu hören, als die erste bewaffnete
       Polizeieinheit am Kai gegenüber von Utøya anlangte – eine knappe halbe
       Stunde nach dem ersten Alarm. Die Beamten beschränken sich darauf zu
       „observieren“ – und den Verkehr zu dirigieren. „Sie hätten sich sofort ein
       Boot beschaffen und zu unmittelbarer Aktion auf Utøya übergehen müssen“,
       rügt die Kommission.
       
       Stattdessen lehnen die Polizisten Angebote von Touristen des nahen
       Campingplatzes, ihre Boote zu benutzen, ab und schauen tatenlos zu, wie
       Urlauber mit ihren Privatbooten Jugendliche, die von der 700 m entfernten
       Insel herüberschwimmen, retten und an Land bringen. Warum man nicht aktiv
       wurde? Die Lage sei unübersichtlich gewesen und man habe auf Anordnungen
       gewartet.
       
       ## Polizei fährt zur falschen Insel
       
       Als weitere Polizeieinsatzfahrzeuge – einige hatten sich zwischenzeitlich
       verfahren – kurz nach 18 Uhr endlich mit einem eigenen – nicht betankten -
       Boot ankommen, wählt die Einsatztruppe nicht nur eine Route von 3,6 km
       Wasserweg, fünfmal länger als nötig, zur Insel, sondern steuert zunächst
       auch noch eine falsche Insel an. Ihr kleines Schlauchboot ist völlig
       überladen und läuft unterwegs voll Wasser. Die Beamten müssen mitten auf
       dem See von privaten Booten an Bord genommen und übergesetzt werden.
       Weitere 16 Minuten vergehen. „Die freiwilligen Helfer retteten
       Menschenleben und den Polizeieinsatz“, konstatierte die
       Kommissionvorsitzende Alexandra Bech Gjørv am Montag auf einer
       Pressekonferenz.
       
       Einige andere Kritikpunkte der Kommission: Nach den Anschlägen habe Chaos
       geherrscht, eine wenige Monate vorher aktualisierte Terror- und
       Sabotagecheckliste sei nicht benutzt worden. Die polizeilichen Ressourcen
       seien insgesamt ungenügend gewesen, die Zusammenarbeit habe nicht
       funktioniert. So meldete sich gleich nach der Explosion und eineinhalb
       Stunden bevor Breivik die Fähre zur Insel Utøya nahm, ein verletzter Zeuge
       des Bombenanschlags bei der Polizei mit einer Beschreibung des Terroristen
       und des von ihm benutzten Autos samt des Kennzeichens VH-24605. Es wurde
       keine Fahndung veranlasst.
       
       Hätte es die gegeben, so die Kommission, hätte eine gute Chance bestanden,
       den von Breivik benutzten Kleintransporter rechtzeitig über das enge Netz
       von Verkehrsüberwachungskameras zu entdecken. Oder von Polizeiautos -
       Breivik passierte auf dem Weg nach Utøya gleich mehrere.
       
       Überhaupt wurde ein landesweiter Alarm erst eine Stunde nach der Explosion
       ausgelöst, Grenzkontrollen zwei Stunden später verhängt. Norwegens einziger
       Polizeihubschrauber war erst fünf Stunden nach dem Alarm einsatzfähig. Die
       polizeiliche Kommunikationtechnik brach teilweise zusammen, das Personal in
       der Alarmzentrale und die Sicherheitsleute im Regierungsviertel waren
       untrainiert. Einige Schwachstellen waren seit Jahren bekannt. Der Bericht
       zählt 31 Punkte auf, an denen Verbesserungen stattfinden müssen.
       
       ## Niemand will Verntwortung übernehmen
       
       Wer ist verantwortlich? Die Frage strafrechtlicher oder „sonstiger
       rechtlicher“ Verantwortung lag ausdrücklich ausserhalb des Mandats der aus
       vier Männern und sechs Frauen bestehenden Kommission. Der Abschlussbericht
       nennt deshalb keine Namen. „Unverständlich“, meint Arne Jensen von der
       Journalistenorganisation „Norsk Redaktørforening“: „Schliesslich ist die
       Kommission ja eingesetzt worden, um einer ganzen Nation Antwort auf ihre
       Fragen geben.“ Man setze fort, was schon die ersten Monate nach den
       Terroranschlägen prägte, sagen auch andere Kritiker: Von allen Seiten
       Bedauern, teilweise Entschuldigung, aber niemand, der konkret Verantwortung
       übernehmen will.
       
       Ganz im Stillen wurden allerdings schon personelle Konsequenzen gezogen.
       Sechs zentrale Entscheidungsträger in Polizei, Verfassungsschutz und
       Regierung haben in den letzten 12 Monaten ihre Posten verloren. Wenn auch
       ohne offiziellen Bezug auf die Vorgänge zum 22. Juli.
       
       13 Aug 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Reinhard Wolff
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Norwegen
 (DIR) Terrorismus
 (DIR) Anders Breivik
       
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