# taz.de -- Endlagersuche in der Schweiz: „Die Atomindustrie steuert die Behörde“
       
       > Marcos Buser will sich nicht mehr an der Standortsuche für ein Endlager
       > in der Schweiz beteiligen. Der Atommüllexperte spricht über die „absurden
       > Zustände“ und die Konsequenzen.
       
 (IMG) Bild: Idyllisch gelegen: das Schweizer Atomkraftwerk Leibstadt am Hochrhein.
       
       taz: Herr Buser, bisher sahen die Deutschen in der Schweiz ein Vorbild, was
       die Endlagersuche angeht. War das ein Irrtum? 
       
       Marcos Buser: So wie das Schweizer Verfahren derzeit läuft, ist es falsch.
       Wir sind vom richtigen Kurs abgekommen und steuern auf einen Eisberg zu.
       Das Schlimme ist, Kritiken und Warnungen, die ich als Mitglied der
       Eidgenössischen Kommission für nukleare Sicherheit immer wieder geäußert
       habe, wurden nicht gehört. Viereinhalb Jahre nicht. Darum bin ich im Juni
       zurückgetreten. Ich will da nicht mehr mitspielen.
       
       Was genau läuft falsch? 
       
       Den Bürgern wurde ein offenes und gründliches Verfahren versprochen, um
       einen geeigneten Standort zu finden. Dieses Suchverfahren wurde weltweit
       als vorbildlich dargestellt, und alle haben es geglaubt. Denn wenn etwas
       aus der Schweiz kommt, dann muss es ja gut sein.
       
       Stimmt. Die Schweizer gelten als noch gründlicher als die Deutschen. Und
       sie haben die direkte Demokratie. 
       
       Es ist ein Fehler, so aufzutreten. Die prozessführende Behörde, das
       Bundesamt für Energie, hätte mit mehr Demut an die Sache herangehen sollen.
       Es geht um hochgiftigen Abfall, der noch in Hunderttausenden von Jahren
       strahlen wird. Die Frage, wie wir diesen Abfall endgültig lagern, wird noch
       Generationen beschäftigen. Es dauert mindestens 100 Jahre, bis das erste
       Endlager verschlossen wird. Da können Sie doch nicht mit so ehrgeizigen
       Zeitplänen in das Verfahren gehen wie in der Schweiz. Stattdessen sollten
       Sie offen zugeben: Wir wissen noch wenig, und wir müssen jetzt damit
       beginnen, nach einer umsetzbaren Lösung zu suchen.
       
       Ihren Rücktritt haben Sie damit begründet, dass die Behörden mit der
       Atomindustrie unter einer Decke stecken. 
       
       Die Nagra, die Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver
       Abfälle, steuert das Verfahren aus dem Hintergrund. Das weiß ich seit
       Dezember, seitdem kann ich das System lesen. Ich habe im letzten halben
       Jahr noch klarer und lauter gewarnt, aber die Kapitäne des Verfahrens
       wollten meine Warnungen nicht hören. Sie halten an ihrem Kurs Richtung
       Eisberg fest. Mir blieb keine andere Möglichkeit, als zurückzutreten. Nur
       so kann ich mir Gehör verschaffen.
       
       Die Nagra ist ein Zusammenschluss der Schweizer Atomkraftwerksbetreiber.
       Wieso hatte sie das Kommando? 
       
       Ganz einfach: Sie hat die Fachkenntnisse. Dem Bundesamt für Energie, das
       das Verfahren führt, fehlt das technische Wissen. Es ist deshalb in die
       Abhängigkeit der Nagra geraten. Die Informationen zwischen diesen
       Institutionen fließen auf unsichtbaren Kanälen hin und her. Die inhaltliche
       Konzept- und Strategieplanung ist weiter in der Hand der Nagra. Und dies
       wird nicht hinterfragt. Das ist eine Täuschung der Öffentlichkeit, der wir
       eine ergebnisoffene und transparente Standortsuche versprochen haben. Da
       mache ich nicht mit.
       
       Aber wie kann es eigentlich sein, dass die federführende Behörde keine
       Fachkenntnisse hat? 
       
       Ich weiß, es klingt absurd. Es ist wie bei einem Flugzeug, bei dem der
       Pilot für das Fliegen nicht ausgebildet ist und deshalb Hilfe vom
       Flugzeughersteller braucht. Wenn der Flug gut geht, war der Pilot gut.
       Stürzt das Flugzeug ab, war der Hersteller schlecht. So funktioniert das
       System in der Schweiz. Die prozessführenden Behörden schieben die
       planerische Verantwortung und die strategische Führung ab. Das kann man
       nicht mit einem Problem dieser Dimension machen. Die Kernkraftkonzerne gibt
       es vielleicht noch 20 oder 30 Jahre. Danach muss der Staat ohnehin die
       Verantwortung übernehmen. Deshalb sollte er lieber jetzt schon Strukturen
       schaffen, die von Bestand sind.
       
       Auch staatliche Strukturen sind nicht von ewiger Dauer. 
       
       Es gibt technische Institutionen, die über Jahrhunderte Bestand hatten.
       Dammbaubehörden in den Niederlanden zum Beispiel oder Wasserkorporationen
       in Spanien, welche die Wasserverteilung in der Landwirtschaft
       sicherstellten und regulierten. Diese Korporationen gibt es schon seit dem
       Mittelalter, als die Araber noch in Spanien waren. Das sind Institutionen,
       die über alle politischen Brüche hinweg stabil geblieben sind. So etwas
       brauchen wir auch für unseren Atommüll.
       
       Wäre es besser, ihn in die Obhut des Vatikans zu geben? 
       
       Nein, der Vatikan ist eine religiöse Institution. Alle ideologischen und
       religiösen Institutionen sind im Lauf der Geschichte irgendwann einmal
       verschwunden. Daher sollten sich solche Strukturen nicht mit Atommüll
       befassen. Wir brauchen eine technische Institution, die das Problem
       pragmatisch angeht. Eine Atompriesterschaft wäre gefährlich.
       
       25 Jul 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Daniel Gräber
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Atomkraft
       
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