# taz.de -- Bürgerkrieg in Syrien: Kurden zwischen den Fronten
       
       > Im Nordosten des Landes verliert das syrische Regime langsam die
       > Kontrolle. Die Bevölkerung ist gegen Assad, fürchtet aber zugleich die
       > Zeit nach dessen Sturz.
       
 (IMG) Bild: Sorgen um die Zukunft: Kontrollposten kurdischer-syrischer Kämpfer am Stadtrand von Dêrik.
       
       DÊRIK taz | In der Provinz Dêrik im kurdischen Nordosten Syriens sind die
       Polizeistationen verlassen. Mitglieder der vor zehn Tagen gegründeten
       bewaffneten „Union zum Schutz der Bevölkerung“ (YPG) haben die Anhänger von
       Präsident Baschar al-Assad vertrieben.
       
       Gleichzeitig achtet die YPG mit ihren schätzungsweise 2.000 Kämpfern aber
       darauf, dass keine arabischen Kräfte der Freien Syrischen Armee (FSA) in
       die von ihnen kontrollierten Gebiete einsickern. Denn die Kurden wollen
       nicht in den Konflikt zwischen der FSA und der Armee hineingezogen werden.
       
       Zu groß ist die Angst davor, dass das säkulare Regime durch eine
       islamistische Regierung ersetzt wird und dies der Türkei die Möglichkeit
       gibt, ihren Einfluß auf Syrien zu verstärken. In der Region ist auch ein
       Ableger der türkisch-kurdischen Arbeiterpartei PKK aktiv, die die Regierung
       in Ankara bekämpft.
       
       Freunde Assads sind die syrischen Kurden, die etwa zehn Prozent der
       Bevölkerung ausmachen, jedoch nicht, leiden sie doch als Bürger zweiter
       Klasse unter zahlreichen Einschränkungen. So wurde 300.000 Personen die
       Staatsbürgerschaft entzogen und Unterricht in Kurdisch ist verboten.
       
       ## Angriffe auf das Regime lehnen die Kurden ab
       
       Daher legen die Kurden seit dem Beginn der Proteste in Syrien ihre
       Priorität auf die Sicherung der eigenen Interessen. Zwar demonstrierten
       auch hier je nach Größe des Ortes zwischen einigen hundert bis zu mehreren
       zehntausend Menschen gegen Assad, aber Angriffe gegen Einrichtungen des
       Regimes lehnten sie zunächst ab. Statt dessen eröffneten Aktivisten
       Kulturzentren und richteten Sprachschulen ein.
       
       Da das Regime sich auf die arabischen Gebiete konzentriert und dort die
       Aufstände niederschlägt, gab dies der 2007 ins Leben gerufenen
       zivilgesellschaftlichen Organisation Tev-Dem (Demokratische
       Gemeinde-Bewegung) die Möglichkeit, eigene Pläne zu machen. Mittlerweile
       haben sich fast alle kurdischen Gruppen unter diesem Dach versammelt.
       
       „Ehe man die Regierung ändern kann und das System stürzt, muss die
       Bevölkerung organisiert werden. Und das herrschende Gedankengut muss
       verändert werden“, meint Aldar Xelil, einer der drei Vorsitzenden von
       Tev-Dem. „Wir sind natürlich gegen die Regierung, aber wir werden genauso
       für die Kurdenrechte kämpfen und nicht das Eine für das Andere aufgeben.“
       
       Die Befürchtungen scheinen gerechtfertigt. So hat der oppositionelle
       Syrische Nationalrat bisher den Begriff „Kurden“ vermieden und erweiterte
       Minderheitenrechte für die Zeit nach Assad abgelehnt.
       
       ## Frauen fürchten die Islamisierung
       
       Daher versuchen die Kurden einen dritten Weg: Einerseits gegen das Regime
       zu protestieren, sich aber andererseits auf einen eventuellen Bürgerkrieg
       mit dem arabischen Teil der Bevölkerung nach dem Sturz Assads
       vorzubereiten.
       
       Insbesondere Frauen fürchten eine Islamisierung: „Wir versuchen, uns selber
       zu organisieren und die Frauenbewegung - nicht nur bei uns Kurden, sondern
       auch bei den Christen, Alawiten und Arabern - zu stärken“, meint Amara
       Kocher, Tanzlehrerin im neuen Kulturzentrum im Dorf Bestasos. „Denn wenn
       die arabische Opposition an die Macht kommen sollte, wird es für uns Frauen
       gefährlich.“
       
       Auch die Frauen in dem ebenfalls neuen Frauenzentrum in Dêrik sehen die
       Gefahr eines Bürgerkriegs: „Wir bereiten uns darauf vor, die Gemeinde in
       einem Bürgerkrieg zu unterstützen. Jede Frau hier kann nun Erste Hilfe
       leisten und mit einer Waffe umgehen. Wir wollen nicht die Opfer sein, wie
       es die Frauen und Familien in Homs und Idlib sind,“ betont eine der
       Anwesenden.
       
       In den letzten beiden Wochen kam es fast täglich zu Protesten gegen Assad,
       oft unter der Parole „Freiheit für Kurdistan“. Der Anschlag in Damaskus,
       bei dem vier führende Personen des Regimes getötet wurden, war eine Art
       Startschuss: In einer koordinierten Aktion der YPG wurden in den Städten
       Girke Lege, Kubani, Ifrin und Amude Polizisten verhaftet, Soldaten
       entwaffnet und Regierungsgebäude eingenommen.
       
       Doch in Dêrik, einer für die Ölindustrie wichtigen Stadt, es kam zu
       Feuergefechten, worauf die Armee Verstärkung schickte. Es scheint, als sei
       der bewaffnete Konflikt nun auch in den kurdischen Gebeiten Syriens
       angekommen.
       
       26 Jul 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Benjamin Hiller
       
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