# taz.de -- Kolumne Am Gerät: Die Fahne
       
       > Im Traum hat der Bibi seinen Sohn schon gesehen, wie er mit der Fahne in
       > der Hand das deutsche Olympiateam ins Londoner Stadion führt. An den
       > Namen der Frau erinnert er sich nicht mehr.
       
 (IMG) Bild: Die Fahne ist zum Wedeln da
       
       Der Bader Bibi ist immer vorneweg gegangen. Der Wimmer Wigg kann sich an
       keinen anderen Kreuzträger erinnern. Solange er ministriert hat, hat bei
       den wichtigen Messen immer der Bibi die Stange mit dem Kreuz vor dem
       Pfarrer hergetragen. Der Bibi war der Oberministrant.
       
       Der Wigg war neidisch auf ihn. Als der Bibi einmal krank war, sollte der
       Wigg einspringen. Weil er aber zur Fronleichnahmsprozession statt im
       Sonntagsstaat mit einer kurzen Jeans gekommen war, hat ihm der Pfarrer eine
       Watschn verpasst und ihn dann heimgeschickt. Das war dem Wigg zwar nicht
       ganz so unangenehm wie der sonntägliche Griff des Pfarrers an den Sack,
       aber ministriert hat er nie mehr.
       
       Neidisch auf den Bibi ist er auch nicht mehr. Beim Schützenumzug geht der
       Wigg seit Jahren vorneweg. Er ist eine Autorität, nicht nur weil er bei den
       bayerischen Heimatabenden im Verein immer auf der Quetschn spielt. Vor
       zwölf Jahren hat er tief in die Tasche gegriffen, damit er Schützenkönig
       werden kann. Seitdem weiß er, wie man sich ein Ehre kaufen kann.
       
       Als vor vier Jahren der Nowitzki in Peking die deutsche Fahne ins Stadion
       getragen hat, hat er sich nicht gewundert. Einer, der so reich ist, wie der
       Nowitzki von den Dallas Mavericks, kann sich jede Ehre kaufen, hat er
       geglaubt. Das mit [1][Natascha Keller] in London hat er nicht verstanden
       und sich gefragt, ob jetzt schon Hockeyspielerinnen Millionengehälter
       kassieren. Unmöglich. Seitdem glaubt der Wigg wieder ein wenig mehr an das
       Ehrliche bei der Ehre und ärgert sich, dass er seinen Sohn seinerzeit nicht
       besser gefördert hat, obwohl der als Bub ein begabter Luftgewehrschütze
       war.
       
       Im Traum hat er seinen Sohn schon gesehen, wie er mit der Fahne in der Hand
       das deutsche Olympiateam ins Londoner Stadion führt. Vom ewigen Ruhm für
       seinen Sohn hat er geträumt, weil einen Fahnenträger, den vergisst niemand
       nicht mehr in seinem ganzen Leben. Der Wigg kann sich sogar noch an den
       Toni Breder erinnern, der 1952 in Helsinki die Fahne des Saarlands ins
       Olympiastadion getragen hat. Eine komische Fahne, blau und rot mit einem
       weißen Kreuz, was so ausgesehen hat, als wäre das kleine Saarland ein von
       den Franzosen besetztes Gebiet in Skandinavien.
       
       Am Abend am Stammtisch erzählt er von seinem Traum. Von dem Saarländer Toni
       Breder hat keiner seiner Freunde je etwas gehört. Von wegen ewiger Ruhm.
       Auf dem Heimweg fragt sich der Wigg, wie lange man sich im Ort wohl an ihn
       als Fahnenträger erinnern wird. Oder überhaupt an diese Frau. Der Name
       dieser Hockeyspielerin fällt ihm gerade nicht ein.
       
       28 Jul 2012
       
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