# taz.de -- Sahra Wagenknecht über die Finanzkrise: „Die Illusion ist, dass es so weitergeht“
       
       > Sahra Wagenknecht fordert einen Schuldenschnitt, der Banken in die Pleite
       > treiben würde. Der Crash komme sowieso, sagt sie - die Frage sei nur, wer
       > für ihn bezahlen müsse.
       
 (IMG) Bild: „Die CDU mit ihrem eigenen Gründungsanspruch zu konfrontieren“: Sahra Wagenknecht zitiert gerne mal Ludwig Erhard.
       
       taz: Frau Wagenknecht, reden wir über Geld. Wo haben Sie Ihr Geld? 
       
       Sahra Wagenknecht: Wir haben uns gerade ein gemeinsames Haus gekauft. Daher
       habe ich nicht die Sorge „Wohin mit dem Geld?“.
       
       Also in Betongold investiert? 
       
       Das Haus ist für uns und keine Anlage. Sonst hätte ich mein Geld bei der
       Sparkasse. Deren Geschäftsmodell ist noch das vertrauenswürdigste.
       
       Haben Sie Aktien? 
       
       Nein. Wenn Aktienkurse steigen, weil Leute entlassen werden, will ich davon
       nicht profitieren.
       
       Also aus moralischen Gründen? 
       
       Ja, außerdem habe ich keine Lust und keine Zeit, mich dauernd mit
       Kursbewegungen zu befassen.
       
       Sie gehören als Abgeordnete zu den Besserverdienenden. Haben Sie damit ein
       Problem? 
       
       Ich bin bekanntlich für eine stärkere Besteuerung von Besserverdienenden.
       Es ist schändlich, wenn die einen immer mehr verdienen und andere trotz
       Vollzeitjobs nicht von ihrer Arbeit leben können. Deshalb brauchen wir
       außerdem einen Mindestlohn von 10 Euro.
       
       Ist es kein Widerspruch, im Namen von Hartz-IV-Empfängern zu reden, aber
       selbst relativ reich zu sein? 
       
       Ich rede nicht im Namen von Hartz-IV-Empfängern, sondern ich trete für die
       Wiederherstellung einer ordentlichen Arbeitslosenversicherung ein. Mein
       politisches Ziel ist nicht Armut für alle, sondern das Gegenteil: dass
       niemand mehr unter unwürdigen Bedingungen leben muss.
       
       Wenn es nach Gregor Gysi geht, werden Sie 2013 nicht nur Abgeordnete sein,
       sondern seine Nachfolgerin als Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag –
       wogegen sich Gysi lange gesperrt hatte. Zufrieden? 
       
       Über den neuen Fraktionsvorsitz entscheidet die Fraktion im Herbst 2013.
       
       Gysi hat auch gesagt, Sie hätten „einen distanzierten Charme, der Männer
       reizt“. Erkennen Sie sich darin wieder? 
       
       Zu meinem Charme gehört es, dass ich solche Bemerkungen nicht kommentiere.
       
       Gysi sagt, Sie müssen lernen, Ihre Botschaft einfachen Leuten zu erklären.
       Hat er recht? 
       
       Die Eurokrise ist hochkomplex. Viele haben das richtige Gefühl, dass sie
       über den Tisch gezogen werden, aber sie haben keine Chance, zu
       durchschauen, was wirklich abläuft. Nationalistische Scheinlösungen sind
       leicht präsentiert: Griechen raus aus dem Euro! Wir Linken müssen die
       ökonomischen Zusammenhänge und die Rolle der Banken erklären. Das ist eine
       Herausforderung.
       
       Sie greifen dabei gern auf Ludwig Erhards Schrift „Wohlstand für alle“
       zurück. Warum? 
       
       Um daran zu erinnern, was in der alten Bundesrepublik einst politischer
       Anspruch war. CDU und FDP berufen sich noch heute gern auf Erhard, aber sie
       zerstören den Wohlstand von Mehrheiten. Der Ordoliberalismus fordert: Wer
       den Nutzen hat, muss auch den Schaden tragen. Das hieße heute, die
       Vermögenden und Profiteure der Finanzmarktparty zur Kasse zu bitten und
       nicht Rentner und Beschäftigte. Die milliardenschwere Rettung privater
       Zockerbanken auf Kosten der Steuerzahler hätte Erhard kaum mitgemacht
       Außerdem verlangte er, dass die Löhne mit der Produktivität steigen. Heute
       werden die Löhne mit Leiharbeit, Hartz IV und Werkverträgen nach unten
       gedrückt.
       
       Sie erwecken manchmal den Eindruck, Erhards „Wohlstand für alle“ wäre ein
       komplexer Grundlagentext. Dabei ist es eine Wahlkampfschrift aus der Feder
       eines Ghostwriters für die Wahl 1957. „Bank“ oder „Finanzmarkt“ kommen in
       dem Buch keinmal Mal vor. Warum führen Sie in der Eurokrise immer wieder
       Erhard an? 
       
       Weil die Forderung „Wohlstand für alle“ sehr eingängig ist und jeder heute
       erlebt, dass die Politik das Gegenteil bewirkt. Was spricht dagegen, die
       Bundesrepublik und die CDU mit ihrem eigenen Gründungsanspruch zu
       konfrontieren? Merkel jedenfalls steht nicht für Wohlstand für alle,
       sondern für die Sozialisierung der Bankschulden und die staatliche
       Absicherung der Vermögen der Reichsten.
       
       Oskar Lafontaine hat schon 2005 in Reden auf „Wohlstand für alle“
       zurückgegriffen. Haben Sie von ihm die Idee, Erhard für Ihre Position zu
       reklamieren? 
       
       Ob Sie es glauben oder nicht: Ich kann selbstständig denken. Es liegt nahe,
       andere Parteien mit Traditionen zu konfrontieren, auf die sie sich zu
       Unrecht berufen. Auch die SPD sollte man immer wieder daran erinnern, dass
       Willy Brandt Krieg als Mittel der Politik ablehnte.
       
       Wenn Sie – wie einst Erhard – Bundeskanzler wären, wie würden Sie die
       Eurokrise lösen? 
       
       Wir haben heute eine Generalhaftung des Steuerzahlers für die Banken. Der
       Kleinsparer ist dabei die Geisel, mit der die Finanzindustrie die
       Regierungen erpresst. Diese permanente Bankenrettung lässt die
       Staatsschulden weiter steigen und macht die Staaten immer abhängiger. Das
       muss beendet werden.
       
       Wie? 
       
       Durch einen Schuldenschnitt. Ich plädiere dafür, dass mindestens alle
       Staatsschulden, die auf die Bankenkrise zurückzuführen sind, gestrichen
       werden. 2007 hatte Deutschland Staatsschulden in Höhe von 60 Prozent der
       jährlichen Wirtschaftsleistung, jetzt sind es über 80 Prozent. In Spanien
       waren es damals sogar nur 36 Prozent. Die Steuerzahler sollen ausgerechnet
       an jene Banken, die die Krise verursacht haben, noch über Jahrzehnte Zinsen
       zahlen. Das ist absurd.
       
       Bei einem solchen Schuldenschnitt müssten Banken und Versicherungen ca. 2
       Billionen Euro abschreiben. Sie wären pleite. Das Finanzsystem bräche
       zusammen. Wollen Sie das? 
       
       Nein, die öffentliche Hand hat eine Verantwortung – aber nur für die
       Einlagen normaler Sparer und den Kreditfluss an die Wirtschaft.
       Spareinlagen bis zu einer Million Euro sollte sie garantieren. Und auch die
       Kreditvergabe sollte nicht länger notorischen Zockerbuden überlassen
       werden, die viel lieber mit Derivaten herumspielen, als einem
       Mittelständler eine neue Maschine zu finanzieren. Aber der Staat hat keine
       Verantwortung, spekulative Wettgeschäfte abzusichern.
       
       Die Pleite von Lehman Brothers im Jahr 2008 hat gezeigt, dass es
       komplizierter ist. Lehman war eine relativ kleine Investmentbank ohne
       Kundeneinlagen – dennoch gab es aufgrund der Verflechtung eine globale
       Krise. 
       
       Die Verflechtung ist der Fehler. Öffentlichen Kreditinstituten muss es
       nicht nur verboten sein, zu spekulieren, sondern auch, mit Wettbuden
       Geschäfte zu machen.
       
       Einverstanden, aber die Verflechtung ist ein Fakt. Sie würden einen
       globalen Crash riskieren. 
       
       Wettbuden und Hedgefonds würden zusammenbrechen. Das wäre nur gut, denn
       dann würde der überdimensionierte Finanzsektor endlich schrumpfen. Eine
       Wirtschaftskrise gibt es nur, wenn der Kreditfluss an reale Unternehmen
       versiegt und die kleinen Leute bluten. Das muss und kann man verhindern.
       
       Aber dies würde doch auf die Realwirtschaft zurückwirken. Die Banken würden
       in ihrer Not versuchen, ihre Vermögenswerte wie Aktien und
       Kreditforderungen zu verkaufen. Das Ergebnis wäre eine tiefe Krise wie
       1931. 
       
       Das Auf und Ab der Aktienkurse ist für die reale Produktion ohne jede
       Bedeutung. Die Börsen haben sich von ihrer alten Rolle als Finanzier der
       Wirtschaft längst verabschiedet. Es gibt derzeit eine gigantische Blase.
       Seit 25 Jahren wächst der Finanzsektor ungleich schneller als die
       Realwirtschaft. Die Frage ist nicht, ob die Blase platzt, sondern nur, auf
       wessen Kosten sie platzt. Derzeit steuern wir auf einen unkontrollierten
       Crash zu. Es ist besser, kontrolliert die Luft herauszulassen. Wenn der
       Derivatehandel zusammenbricht, na und?
       
       Warum nicht einfach kontrolliert die Luft ablassen, indem man die Reichen
       sehr hoch besteuert? Das wäre sicherer als ein Bankencrash … 
       
       Wir sind für hohe Reichensteuern. Aber der Finanzsektor muss verkleinert
       werden.
       
       Ein Schuldenschnitt, der die Reichen enteignet und die Gesellschaft
       ungeschoren lässt – ist das nicht nur eine hübsche Illusion? 
       
       Die Illusion ist, dass es so weitergehen kann. Und ich weiß auch nicht,
       warum immer nur die Enteignung von Normalverdienern als praktikabel gilt.
       
       Jürgen Habermas und Peter Bofinger glauben, dass der Euro dauerhaft nur zu
       retten ist, wenn die nationalen Parlamente einige ihrer Rechte an eine
       gewählte europäische Regierung abtreten. Die SPD unterstützt dies.
       Einverstanden? 
       
       Wir brauchen in der Eurozone Mindeststeuersätze auf hohem Niveau, gerade
       bei Unternehmen und Vermögen, um den Steuersenkungswettbewerb zu stoppen.
       Und Ländern, in denen die Löhne deutlich langsamer steigen als die
       Produktivität, sollten Sanktionen drohen. Aber eine EU-Superbehörde, die in
       die einzelnen Länder hineinregiert, ist mit einem demokratischen Anspruch
       nicht vereinbar.
       
       Den Euro schützen ja, Rechte an Europa abgeben nein – da klingt die CSU
       auch nicht anders. 
       
       Die CSU tut derzeit alles, um mit nationalistischer Hetze Europa zu spalten
       und den Euro kaputt zu machen. Wogegen ich mich wende, ist die Zerstörung
       der Demokratie. Wie wäre denn eine europäische Regierung heute legitimiert?
       Schauen Sie sich die Beteiligung bei Wahlen zum Europaparlament an: Die
       meisten gehen nicht hin. Dieses Parlament ist dem Wähler fremd, es ist kaum
       öffentlich beaufsichtigt und deshalb sehr anfällig für die Einflüsterungen
       mächtiger Wirtschaftslobbys.
       
       18 Aug 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) U. Herrmann
 (DIR) S. Reinecke
       
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