# taz.de -- Leiharbeiter in der Industrie: Ein bisschen Zuschlag
       
       > Leiharbeiter in der Metall- und Elektroindustrie sollen künftig mehr Geld
       > bekommen. Bei der Gewerkschaft der Dienstleister sorgt das für Ärger.
       
 (IMG) Bild: Metall- und Elektroleiharbeiter bekommen nach sechs Wochen einen 15-prozentigen Aufschlag auf ihren Tarif-Leiharbeitslohn.
       
       BERLIN taz | Zwischen den Gewerkschaften herrscht Zwist. „Ich persönlich
       halte den Abschluss für eine politische Fehlleistung der IG Metall“, sagt
       Jörg Wiedemuth, Leiter der tarifpolitischen Grundsatzabteilung der
       Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di, über den neuen Tarifvertrag zwischen
       der Metallgewerkschaft und den Leiharbeitsverbänden.
       
       Die im Mai getroffene Regelung sieht vor, dass Metall-Leiharbeiter künftig
       Zuschläge erhalten. Mit diesem Abschluss habe der Druck auf die
       Bundesarbeitsministerin nachgelassen, per Gesetz die Gleichbezahlung und
       Gleichbehandlung von Leih- und Stammbeschäftigten vorzuschreiben, so
       Wiedemuth.
       
       Auch Karsten Rothe, Leiter der Tarifabteilung der Gewerkschaft
       Nahrung-Genuss-Gasstätten (NGG), meint: „Unsere Marschrichtung wäre
       gewesen, den Druck auf die Politik aufrechtzuerhalten.“
       
       Tatsächlich: Kaum war der Vertrag mit dem Interessenverband Deutscher
       Zeitarbeitsunternehmen (iGZ) und dem Bundesarbeitgeberverband
       Personaldienstleister (BAP) besiegelt, verkündete Arbeitsministerin Ursula
       von der Leyen (CDU), ein Gleichstellungsgesetz für Leiharbeiter lege sie
       erst einmal wieder auf Eis, tarifliche Lösungen hätten „Vorfahrt“. Im
       November will sie sich mit Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt und DGB-Chef
       Michael Sommer ansehen, was sich in anderen Branchen getan hat.
       
       ## Blaupause für andere Branchen
       
       Für Ver.di und die NGG ist es eine missliche Lage. Die Leiharbeitsverbände
       verstehen die mit der Metallgewerkschaft ausgehandelten Zuschläge als
       Blaupause für andere Branchen. Metall- und Elektroleiharbeiter bekommen
       nach sechs Wochen einen 15-prozentigen Aufschlag auf ihren
       Tarif-Leiharbeitslohn. Der liegt im Westen auf der untersten Stufe bei 7,89
       Euro, im Osten bei 7,01 Euro. Nach dem dritten, fünften und siebten Monat
       steigt der Zuschlag auf 20, 30 und 45 Prozent, nach neun Monaten gibt es
       auf 50 Prozent mehr Geld.
       
       Doch für Wiedemuth ist dieses Modell nicht auf die Dienstleistungen
       übertragbar: „Bei uns sind viele Leiharbeiter, anders als in der Metall-
       und Elektroindustrie, weniger als sechs Wochen beschäftigt. Gerade die
       flexibelsten würden leer ausgehen.“ Doch beim Handelsverband Deutschland
       (HDE) und in der Druckindustrie, die insgesamt rund 65.000 Leiharbeiter
       beschäftigen sollen, kann man sich kürzere Wartezeiten nicht vorstellen.
       „Man muss die Aufstockungsbeträge zeitlich staffeln, bis hin zu einem
       Jahr“, sagt Paul Albert Deimel, Hauptgeschäftsführer beim Bundesverband
       Druck und Medien.
       
       Am Montag haben Ver.di, iGZ und BAP zum ersten Mal gemeinsam sondiert –
       ohne nennenswerte Ergebnisse. Man will sich erneut treffen. Die NGG hat
       ihre Gespräche derweil schon wieder ausgesetzt.
       
       ## Sie haben weniger Macht
       
       Beide Gewerkschaften stehen vor viel größeren Problemen als die IG Metall:
       Sie sind weniger durchsetzungsmächtig, vertreten schlechter entlohnte
       Beschäftigte und deutlich mehr und heterogenere Branchen: von der
       Abfallwirtschaft bis zur Pflegewirtschaft, von der Getränkeindustrie bis
       zum Hotel- und Gastgewerbe. Überall werden die Branchen-Arbeitgeber im
       Hintergrund mitreden, schließlich werden die Leiharbeitsverbände Mehrkosten
       auf sie abwälzen.
       
       Heribert Jöris, HDE-Geschäftsführer, warnt bereits: „Die Zeitarbeit muss
       aufpassen, dass sie den geringen Preisvorteil und damit den Einzelhandel
       nicht als Kunden verliert. Steigen die Kosten zu sehr, müssen wir unseren
       Bedarf anders lösen.“
       
       Bei der IG Metall will man die Schwesterorganisationen nicht im Stich
       gelassen haben. „Wir wollen weiterhin die gleichen Arbeitsbedingungen und
       Entlohnungen für Stammbeschäftigte und Leiharbeiter. Aber es gab keinen
       Grund, darauf zu vertrauen, dass die Politik tätig wird. Dazu hatte sie
       genug Zeit“, sagt Helga Schwitzer, Tarifexpertin und geschäftsführendes
       Mitglied im IG-Metall-Vorstand.
       
       In der Metallbranche hat sich Leiharbeit zum Teil drastisch ausgeweitet.
       BMW beispielsweise setzt rund 12.000 Leiharbeiter ein. So hat vor allem die
       IG Metall seit 2008 die öffentlichkeitswirksamen, zwischen den
       Gewerkschaften koordinierten Kampagnen gegen Leiharbeit getragen.
       Mittlerweile zählt sie nach eigenen Angaben 40.000 Leiharbeiter in ihren
       Reihen. Und die wollen Erfolge sehen. Leiharbeiter erhalten laut Schwitzer
       jetzt in der untersten Entgeltgruppe nach neun Monaten künftig 621 Euro
       Brutto mehr im Monat. In der obersten Gruppe seien es sogar 1.380 Euro. So
       schrumpfe der Verdienstabstand zu Stammbeschäftigten auf bis zu 10 Prozent.
       
       Das IG-Metall-Beispiel macht Schule: Auch die Chemiebranche, die Kautschuk-
       und Kunststoffindustrie sowie die Eisenbahner haben sich auf Zuschläge
       geeinigt. „Wir haben Leiharbeit als Geschäftsmodell für Lohndumping
       deutlich unattraktiver gemacht“, sagt Schwitzer. Der Traktorenhersteller
       John Deere, BMW oder Siemens haben bereits angekündigt, etliche bisherige
       Leiharbeiter als Stammbeschäftigte zu übernehmen.
       
       So wird die Leiharbeit einerseits zurückgedrängt – andererseits drohen die
       Schwächsten unter den Beschäftigten leer auszugehen. Zwar beharren
       grundsätzlich alle DGB-Gewerkschaften darauf, dass die Politik gleiche
       Löhne für gleiche Arbeit vorschreibt. Doch mit ihrem Zuschlagsmodell hat
       die IG Metall den Druck auf die Politik unfreiwillig gemindert. Ursula von
       der Leyen kann sich freuen: Sie hat immer betont, dass sie zuerst die
       Tarifparteien in der Verantwortung sieht und nur eingreifen will, wenn es
       gar nicht anders geht. Jetzt kann sie diese Position wieder etwas bequemer
       rechtfertigen.
       
       20 Aug 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Eva Völpel
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Festanstellung
       
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