# taz.de -- Streit um erneuerbare Energie: Öko gegen Öko
       
       > Die Energiewende treibt Natur- gegen Klimaschützer. Die Debatte über
       > Windräder und Stromtrassen kann der Umweltbewegung nutzen.
       
 (IMG) Bild: Kampf der Giganten: Windräder neben Strommasten.
       
       Mit der Atomwirtschaft ist die deutsche Umweltbewegung fertiggeworden. Aber
       mit dem Gründer des Bunds Naturschutz (BN) in Bayern haben die Ökos ein
       Problem. Enoch zu Guttenberg, Dirigent, Schlossherr und seit Jahrzehnten
       engagierter Naturschützer, trat im Mai unter Protest aus dem BN, der
       bayerischen Sektion des Umweltverbands BUND aus. Wichtigste Begründung: Der
       „Enthusiasmus des BUND für die Windkraft“.
       
       Seine ehemaligen Weggefährten schütteln den Kopf. Aber der Vater des
       unehrenhaft entlassenen Verteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg
       trifft für viele konservative Naturschützer ins Schwarze: Energiewende
       schön und gut – aber nicht, wenn sie uns die Heimat zerstört. Neben den
       Kosten der Energiewende ängstigt viele Menschen offenbar auch die
       Vorstellung von stinkenden Güllekraftwerken und Monsterwindrädern auf jedem
       Hügelkamm. Die Energiewende bedroht nicht nur die deutsche Brieftasche,
       sondern auch die deutsche Seele.
       
       Darüber sollte man sich nicht mokieren. Viele Deutsche haben zur „Natur“
       eine romantische Beziehung: Wir lieben den dunklen Wald, spenden für den
       Tierschutz und wandern sogar in Vereinen. Das ist bei den meisten Menschen
       weniger Deutschtümelei als Heimatliebe (neudeutsch und für Städter:
       Solidarität mit den lokalen Strukturen) und es ist die feste Basis der
       deutschen Umweltbewegung. Hier heißt konservativ sein noch, „die Schöpfung
       zu bewahren“ und nicht die neoliberalen Dogmen nachzubeten. Wer einmal
       gesehen hat, wie etwa die Franzosen die Ufer der Loire mit AKW gepflastert
       haben, weiß die deutsche Haltung zu schätzen.
       
       ## „Verspargelung“ des Landes
       
       Aber jetzt sind die Guten die Bösen. Windkraftanlagen „verspargeln“ das
       Land, vor allem neue Stromleitungen sind umstritten. Gummistiefel-Ökos
       stehen gegen Klimaschützer. Feldhamster und Schweinswal, bisher immer gute
       Argumente gegen das nächste Gewerbegebiet oder die nächste Probebohrung im
       Wattenmeer, geraten zwischen die Fronten. Und der Wirtschaftsminister
       fordert schon, den Naturschutz zu beschneiden, um die Energiewende
       voranzutreiben.
       
       Die Umweltverbände, allen voran BUND und Nabu, die vor allem aus Natur- und
       Vogelschützern bestehen, weisen das von sich: Kaum ein Vorhaben der
       erneuerbaren Energien scheitere an ihnen, sagen sie. Wenn es hakt, dann an
       der Bürokratie. Und vor allem reichten zwei Prozent der Flächen aus, um
       Deutschland mit grüner Energie zu versorgen. Aber sie haben bei ihrer Basis
       damit oft einen schweren Stand. Guttenbergs Thesen vom Ausverkauf der Natur
       an die grünen Stromkonzerne finden eine Menge Anhänger.
       
       Den Aktivisten und Unterstützern von Greenpeace und WWF und den
       Öko-Bürokraten – viele eher linksalternativ und urban – ist das suspekt:
       Kommt für die Naturschützer der Strom nicht einfach aus der Steckdose? Muss
       man für die Rettung vor Klimawandel und Atomwahnsinn nicht Windräder in
       Kauf nehmen? Und wie sieht Der Deutsche Wald in Zukunft eigentlich aus,
       wenn Die Deutsche Kohle weiterhin das Klima röstet?
       
       Ein bisschen Augenmaß kann nicht schaden. Das Industrieland Deutschland
       funktioniert nur mit Elektrizität – für den Fernseher, die S-Bahn und das
       Beatmungsgerät. Das jetzige Energiesystem verlagert und versteckt seine
       Probleme – die grünen Energien sind da ehrlicher. Vieles ist eine Sache der
       Gewöhnung: Windspargel gelten als Schandfleck, Industrieschlote und
       Backsteinbrachen als hippes Retro-Environment. Kritiker der neuen Energien
       sollten sich überlegen, ob sie ökologisch oder ästhetisch argumentieren
       wollen und sich vor falschen Freunden hüten. Wenn etwa die Initiative neue
       Soziale Marktwirtschaft, die von den Arbeitgebern der Metall- und
       Elektroindustrie finanziert wird, Windkraftanlagen nur noch an Land bauen
       will, dann sollten die Alarmglocken schrillen. Mit gutem Grund plant die
       Bundesregierung bisher die Offshore-Windparks so weit vor der Küste. Wer da
       den deutschen Windstrom an Land erzeugen will, provoziert einen Aufschrei
       der Empörung und einen Stopp der Energiewende.
       
       Selbstverständlich bringt der Umbau der Energieversorgung Konflikte. Was
       tun? Energiepolitik muss eben Politik sein: Berlin muss die Energiewende
       zentral koordinieren. Der Ethikrat hatte der Bundesregierung dazu geraten,
       sie hat es ignoriert. Wir brauchen einen Überblick, wer wo was baut und was
       gebraucht wird, und Kriterien für Kraftwerke und Netze, die die Natur und
       die Anwohner schützen – ähnlich wie bei der Suche nach einem atomaren
       Endlager. Die Bürger vor Ort sollten sich rechtzeitig beteiligen, anstatt
       hinterher auf die Barrikaden zu gehen. Die Energiewende sollte mehr
       Demokratie bringen. Die lebt bekanntlich vom Mitmachen.
       
       ## Frieden durch Beteiligung
       
       Und vom Mitverdienen. Denn oft reduziert sich der Widerstand der Menschen
       vor Ort, wenn sie an den umstrittenen Projekten finanziell beteiligt
       werden. Die Erfindung der Bürgerwindparks hat vor 20 Jahren die Küsten
       befriedet, als der erste Windenergieboom losging. Heute ist nichts dagegen
       zu sagen, auch Stromnetzbetreiber so zu organisieren, dass die Menschen,
       die von ihnen betroffen sind, an ihnen verdienen können. Wenn die Konzerne
       das Kapital für die Leitungen nicht auftreiben können, liegt das an ihren
       zweistelligen Renditeerwartungen. Aber wenn die Überlandleitungen eine
       sichere Rendite von acht Prozent versprechen, könnten sich damit viele
       Leute ihre Rente sichern.
       
       Schließlich wäre auch ein gesundes Misstrauen gegen allzu hochfliegende
       Pläne angebracht. Das Energiekonzept der Bundesregierung sieht neben
       gigantischen Windparks das Energiesparen als zweite Säule vor. Aber von
       diesem Ziel sind wir weit entfernt und werden es mit den bisherigen Mitteln
       niemals erreichen. Die Energiewende funktioniert bisher da am besten, wo
       mit viel Geld und viel Macht Projekte durchgezogen werden. Kein Wunder,
       wenn die alten Stromkonzerne grün werden.
       
       Dagegen könnten die Ökos eine andere Strategie setzen: Wie viel Strom
       brauchen wir, was können wir einsparen, was produzieren wir selbst, und was
       heißt das für die Energiewende? Auch sonst wäre das geschickt: Sie könnte
       die konservativen Naturschützer à la Guttenberg mit den Postmaterialisten
       aus den Stadtzentren zusammenbringen, wenn über das Weniger, Langsamer und
       Anders geredet würde. Denn die beste Stromleitung ist immer noch die, die
       nicht gebaut wird – egal, wie grün der Strom ist, der in ihr fließt.
       
       28 Aug 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bernhard Pötter
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Naturschutz
 (DIR) Bund
 (DIR) Klagerecht
 (DIR) Schweinswal
 (DIR) Ökostrom
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Zoff um Nähe zur Windkraftbranche: BUND klagt doch nicht gegen Gründer
       
       Enoch zu Guttenberg meint, der BUND sei zu eng mit der Windkraftlobby
       verquickt. Diese Aussage wollte der Verband verbieten lassen.
       
 (DIR) Interner Streit: Naturschützer gegen Klimaretter
       
       Beim BUND Sachsen gärt es: Die Alten wollen den Wald schützen, Vögel und
       Fledermäuse, den Neuen geht es auch um die Energiewende. Geht das zusammen?
       
 (DIR) Klagerecht der Verbände: Bessere Chancen für Umweltprozesse
       
       Von Artenschutz bis Grenzwerte: Umweltorganisationen dürfen in mehr Fällen
       vor Gericht gehen. Das könnte auch den Bau von Stromtrassen betreffen.
       
 (DIR) Ausbau des Stromnetzes: Wie viele Kilometer sind nötig?
       
       Um die Energiewende zu schaffen, sind mehr Stromnetze nötig: 4.900
       Kilometer Erweiterung sind geplant. Viel zu viel, kritisieren
       Umweltschutzverbände.
       
 (DIR) Offshore Windkraftanlagen: Nebenwirkung – tote Wale
       
       Der Bau von Windanlagen auf hoher See gefährdet Wale. Im Umweltministerium
       arbeitet man an einem faulen Kompromiss.
       
 (DIR) Durchleitungskosten steigen: Verbraucher zahlt Stromnetz
       
       Die Transportkosten für Strom erhöhen sich deutlich. Zusätzlich zur
       Ökostromabgabe müssen die Verbraucher bis zu 20 Euro jährlich mehr
       ausgeben.
       
 (DIR) Offshore-Windparks: Meer kommt ans Netz
       
       Der Entwurf des Netzleitungsplans für die Windparks in der Nordsee liegt
       vor. Schon 2013 könnten die ersten Anschlüsse an den Küsten fertig sein.
       
 (DIR) Rajoy torpediert saubere Stromerzugung: Spaniens Windkraftbranche stirbt
       
       Die Regierung hat die Windkraftförderung auf Null reduziert. Jetzt werden
       in Spanien keine Anlagen mehr geplant. 30.000 Arbeitsplätze sind in Gefahr.
       
 (DIR) Finanzierung der Energiewende: Munition gegen Windmühlen
       
       Die FDP schlägt ein Moratorium für erneuerbare Energien vor. Und fordert
       eine neue Sonderabgabe der Branche für den Netzausbau.
       
 (DIR) Kosten für Umlagebefreiung: Industrie steht auf Ökostromrabatt
       
       Die Zahl der Anträge auf Befreiung von Umlage für Erneuerbare Energien
       verdoppelt sich. Die Milliarden für den Rabatt müssen die Kunden zahlen.
       
 (DIR) Meinungsumfrage zum Naturschutz: Der Deutschen Herzensangelegenheit
       
       Fast alle Menschen möchten die Natur schützen, Hochspannungsleitungen
       wollen nur wenige. Es geht nicht um Wirtschaft, sondern um Schönheit.
       
 (DIR) Energiewende in Deutschland: Kosten, Zuschläge, Umlagen
       
       Private Verbraucher sparen Strom und zahlen den Zuschlag für erneuerbare
       Energien. Dabei sind es Industriekunden, die von Wind- und Sonnenenergie
       profitieren.
       
 (DIR) Kommentar Strompreisdebatte: Altmaiers Dilemma
       
       „Bezahlbare Strompreise“ für alle wird es so nicht geben. Der
       Umweltminister muss entweder die Industrie beteiligen oder Geringverdiener
       unterstützen.
       
 (DIR) Bayerns Wirtschaftsminister über Energie: „Man hat die Leute für dumm verkauft“
       
       Bayerns Wirtschaftsminister Zeil bleibt dabei: Die Energiewende wird teurer
       als behauptet. Seine Lösung: flexible Stromsteuern.
       
 (DIR) Energiewende in Deutschland: Die Revolution steht vor der Tür
       
       Vor einem Jahr wollten in der Bundesrepublik alle die Energiewende. Jetzt
       ist der Kampf um die Details einer grünen Stromversorgung voll entbrannt.
       
 (DIR) Grünen-Gutachten zu Energiepreisen: Drei Milliarden Euro zu viel
       
       Von sinkenden Einkaufspreisen profitiert nur die Industrie, nicht der
       Privatkunde, so eine Studie. Der Umweltminister prognostiert sogar noch
       weitere Preissteigerungen.