# taz.de -- Sexismus bei Wikipedia: „Erschreckende Aggressivität“
       
       > Bei Wikipedia haben Frauen ohnehin mit alltäglichem Sexismus zu kämpfen.
       > Nun gibt es eine aggressive Kampagne gegen feministische Perspektiven.
       
 (IMG) Bild: Bei vielen Äußerungen ziehen Wikipedianer nicht in Betracht, dass ihr Gegenüber eine Frau sein könnte.
       
       Der Brief gibt sich ganz im Duktus der besorgten Bürger: „Die deutsche
       Wikipedia steht in der Gefahr, ein kompletter Fehlschlag zu werden“, heißt
       es dort. Und: „Eine relativ große Anzahl ausschließlich ideologisch
       motivierter Personen, denen es nicht um die Verbreitung von korrekten
       Informationen geht, sondern darum, die eigene Ideologie als Information
       verpackt zu verbreiten, hat sich bei der deutschen Wikipedia eingenistet
       und droht die Wikipedia zu übernehmen“.
       
       Welche Ideologie das sein mag, verschweigen die Autoren – doch dies ist
       recht deutlich: Ihr Feindbild sind Feministen, deren Einfluss sie
       zurückdrängen wollen.
       
       Doch das Ziel ist erst einmal fehlgeschlagen. Zwar bekamen die Autoren
       Applaus aus Foren wie dem islamophoben Blog „PI News“, doch in der
       Wikipedia selbst fungierte der Brief als Weckruf in anderer Richtung. Denn
       die Gruppe von „Maskulisten“, die den Brief verfasst haben – so lautet der
       Vorwurf – sind selbst ideologisch motiviert und haben erfolgreich
       missliebige Autoren aus dem Projekt vertrieben.
       
       Jetzt hat sich auch der Verein Wikimedia Deutschland eingeschaltet und will
       den Vorgängen Einhalt gebieten. „Es ist erschreckend, mit welcher
       Aggressivität diese Kampagne in die Wikipedia hineingetragen wird“, erklärt
       Pavel Richter, Vorstand von Wikimedia Deutschland. „Das Grundproblem ist
       jedoch nicht eine Auseinandersetzung mit selbsternannten Maskulisten. Aber
       in solchen Momenten fällt ein Schlaglicht auf ein zentrales Problem von
       Wikipedia: dass Frauen deutlich weniger vertreten sind als Männer.“
       
       ## Maskulisten sind nicht das einzige Problem
       
       In der Tat: Umfragen haben ergeben, dass der Frauenanteil international
       gerade einmal bei zirka zehn Prozent liegt. Obwohl dieses Ungleichgewicht
       oft thematisiert wurde, hat die Wikimedia-Gemeinschaft noch keine Rezepte
       gefunden, dies nachhaltig zu ändern. Ein Grund für den geringen
       Frauenanteil ist sicher die Diskussionskultur, die anhand sehr
       formalistischer Kriterien geführt wird und dabei oft genug ins Aggressive
       umschlägt, [1][//www.taz.de/%21100706/%E2%80%9C:Trollen] gehört für viele
       einfach dazu.
       
       Eigentlich ist die Wikipedia so konzipiert, dass die unterschiedlichen
       Lager Waffengleichheit haben sollen: Was der eine Wikipedianer schreibt,
       kann der Nächste wieder löschen oder ins Gegenteil verkehren. Dieses
       Gleichgewicht der Kräfte soll dazu führen, dass am Ende des Prozesses eine
       für alle Seiten akzeptable Lösung herauskommt.
       
       Doch der Mangel an weiblicher Perspektive sorgt für ein Ungleichgewicht:
       Zum Beispiel haben Frauen eine geringere Chance einen guten Artikel in der
       Wikipedia zu bekommen. Durch den lautstark geführten Streit der Maskulisten
       wurde das Problem wieder in den zentralen Blickpunkt gerückt.
       
       „Eines täte der Diskussion gut: Wenn beides nicht in einen Topf geworfen
       würde“, erklärt Alice Wiegand, Wikipedianerin der ersten Stunde und
       Mitglied des Stiftungsrats der Wikimedia Foundation. Die Maskulisten seien
       nicht der Grund für den alltäglichen Sexismus auf der Wikipedia und auch
       umgekehrt tauge der als Erklärung für die aggressive Kampagne. Doch das
       Ungleichgewicht der Geschlechter verstärke den Effekt: „Die Community
       scheint hilflos erstarrt und es wirkt, als würde sie nahezu tatenlos
       zusehen“, beklagt Wiegand.
       
       ## Der ganz alltägliche Sexismus
       
       Doch was tun? Die Wikimedia Foundation und Wikimedia Deutschland haben
       keinen direkten Einfluss auf die Arbeit der Freiwilligen, sie können nur
       dafür werben, sensibler miteinander umzugehen. So hatte das
       „Community-Projektbudget“ bereits 26.000 Euro für ein Projekt bewilligt,
       das sich mit der Ursachenforschung beschäftigen sollte und Vorschläge
       machen sollte, Wikipedia für Frauen auf Dauer gastlicher zu machen.
       
       Da jedoch niemand das Projekt übernehmen wollte, blieb das Geld auf Halde
       liegen. Andere Projekte wie zum Beispiel Wikipedia-Schulungen speziell für
       Frauen, haben jedoch keine Möglichkeit das Klima der Wikipedia insgesamt zu
       verbessern. Nun hat Wikimedia Deutschland zumindest eine
       [2][//blog.wikimedia.de/2012/08/27/zur-sexismus-debatte-in-der-wikipedia/%E
       2%80%9C:Mailingliste] eingerichtet, die das Problem angehen soll.
       
       Doch selbst wenn sich die Maskulisten ganz zurückziehen sollten, ist das
       Problem noch lange nicht beendet, wie Wiegand berichtet: „Der tägliche
       Sexismus ist aus meiner Sicht eher der, der gar nicht so gemeint ist.
       Äußerungen, bei denen noch nicht einmal die Möglichkeit in Betracht gezogen
       wird, der Empfänger könnte eine Frau sein“. Wenn diese dann darauf
       reagieren, herrsche oft Unverständnis – und das schlage manchmal in
       Aggressivität um.
       
       31 Aug 2012
       
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