# taz.de -- Debatte Gorleben: Die Bürger einbeziehen
       
       > Das bisherige Verfahren zur Suche nach einem Atommüll-Endlager hat nichts
       > gebracht. Eine überparteiliche Kommission ist gefragt.
       
 (IMG) Bild: Haben sich ihre Meinung bereits gebildet: Gegner der Endlagerung in Gorleben.
       
       Winfried Kretschmann, Norbert Röttgen, Peter Altmaier, Jürgen Trittin und
       auch Sigmar Gabriel haben recht, wenn sie sagen, dass wir eine neue Suche
       nach dem bestgeeigneten Endlager in Deutschland brauchen. Sie haben recht
       damit, dass diese Suche ergebnisoffen sein muss und dass es in einem
       Suchverfahren keine Vorfestlegungen geben darf. Wenn sie alle recht haben:
       Warum scheitern bislang alle Versuche, sich auf ein im Konsens getragenes
       Endlagersuchgesetz zu verständigen?
       
       Strittig ist der Umgang mit Gorleben, ebenso Verfahrens- und
       Entscheidungsmacht. Weil ich Grüne und Mitbegründerin der Bürgerinitiative
       Lüchow-Dannenberg bin, werde ich oft gefragt, wie ich das Ganze sehe. Nach
       großen Hoffnungen muss ich jetzt sagen, dass ich einen wirklichen Neuanfang
       nicht erkenne. Das liegt nicht allein an der Einbeziehung Gorlebens in die
       Suche nach einem möglichen Endlagerstandort. Darüber hinaus ist von einer
       Neubewertung der Risiken des Atommülls und der Endlagerung, wie nach
       Fukushima versprochen, bisher wenig zu erkennen.
       
       Trotz aller Beschwörungsformeln wirkt der Prozess im Kern nicht
       glaubwürdig. Es fehlt die gemeinsame Bewertung der aktuellen Lage und der
       verrückt leichtfertigen Entscheidungen der frühen Entsorgungspläne der
       Bundesrepublik. Dabei mündet die damalige Verantwortungslosigkeit schon
       heute in die absaufenden Schächte des Atommülllagers Asse.
       
       ## Entsorgungslüge Gorleben
       
       Was wurde in der bedenkenlosen Stimmung der Jahre des atomaren Aufbruchs
       falsch gemacht? Warum wurden in Gorleben Milliarden verbaut, obwohl die
       schlechte Qualität des Salzstocks seit Mitte der 90er Jahre bekannt ist?
       Die Entsorgungslügen zuzugeben wäre der einfachste Weg, Glaubwürdigkeit zu
       erlangen.
       
       Das Ausblenden der Vergangenheit und das Festhalten an Gorleben verstärken
       aber das Misstrauen, dass es weiter nur um diesen Standort geht. Die
       Kanzlerin hat klar unterstrichen, dass sie keinen Grund sieht, an Gorleben
       zu zweifeln. Sie verhinderte schon als Umweltministerin, dass auf Gorleben
       Kriterien angewandt wurden, mit denen andere Salzstöcke bewertet wurden.
       Und Altmaiers Endlagergesetz zielt darauf, Gorleben für weitere 20 Jahre
       als einen von bestenfalls zwei tief erkundeten Standorten beizubehalten.
       
       Um den Neubeginn überzeugend zu markieren, muss in Deutschland als Erstes
       auf dem aktuellen Stand der wissenschaftlich-technischen Entwicklung
       geklärt werden, wie ein Endlager gebaut werden soll. Tiefengeologische
       Lagerung, Rückholbarkeit, Bergbarkeit oder Wiederauffindbarkeit? Hinter
       diesen verschrobenen Begriffen steckt die Frage nach dem Konzept. Erst wenn
       entschieden ist, wie ein Endlager errichtet werden soll, kann entschieden
       werden, wie und nach welchen Anforderungen die Suche gestaltet sein muss.
       
       ## Alternativen sind bekannt
       
       Sicher werden einige der zuständigen Minister und Abgeordneten dazu sagen,
       dass das doch alles längst geklärt ist. Ich kann da nur fragen: Für wen und
       mit wem? Die Einigung auf das Endlagerkonzept und auf ein verantwortliches,
       durchhaltbares Suchverfahren muss in einem Prozess erfolgen, der viel
       weitere Kreise einbezieht, als aktuell möglich und vorgesehen ist.
       
       Damit sind wir bei einer weiteren Schwäche der jüngsten Verhandlungen.
       Jeder Appell zum Konsens ist richtig. Die Reduzierung des Konsenses allein
       auf die Politik ist falsch. Die Endlagersuche und die spätere Entscheidung
       über die Einrichtung eines Lagers setzen das Verständnis und die Zustimmung
       von Bürgerinnen und Bürgern voraus. Wer heute in einem Gesetz Festlegungen
       trifft und sich die Mühen der Verständigung erspart, wird in jeder Phase
       der Suche Konflikte wie in Gorleben ernten.
       
       Die Suchräume für Endlagerstandorte in Deutschland sind bekannt. Die
       Menschen, die in Regionen mit möglicherweise geeigneter Geologie leben,
       dürfen nicht mit dem Thema Atommüll überrascht werden wie die Wendländer
       1977. Dass die ganze Diskussion über den Neuanfang weiter nur den Standort
       Gorleben kennt und alles andere im Nebel einer „weißen Landkarte“ bleibt,
       ist nicht geeignet, Vertrauen in die Vorbereitung der Endlagersuche zu
       schaffen. Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe hält
       „Vorkommen von Salz, Ton und Granit, verteilt über ganz Deutschland“ für
       untersuchungswürdig.
       
       ## Für einen neuen Weg
       
       In Kenntnis aller Versuche, die es in den 35 Jahren seit der
       Gorleben-Entscheidung gab, um die Suche neu zu beginnen, plädiere ich jetzt
       für einen neuen Weg. Bundesregierung, Bundesrat und Bundestag sollten sich
       darauf verständigen, einen politikferneren und mutigeren Weg zu gehen. Ich
       befürworte auch in der Endlagerfrage, ähnlich vorzugehen wie die
       Ethikkommission nach Fukushima. Eine plural zusammengesetzte Kommission mit
       einem oder einer Vorsitzenden, der oder die in Deutschland Vertrauen
       genießt und die Aufgabe versteht, wird noch in dieser Legislaturperiode
       beauftragt, die Verständigung über das Endlagerkonzept voranzutreiben.
       
       Die bisher weitgehend ungenutzten Ergebnisse des Arbeitskreises Endlagerung
       wären eine Grundlage, auf der die Arbeit aufbauen kann. Gesellschaftliche
       Erörterung und Verständigung hätten hohe Priorität. Am Ende stünde eine
       Empfehlung für das Endlagerkonzept und die Ausgestaltung des Suchverfahrens
       sowie die wichtigsten Kriterien für Auswahl und Eignung von Standorten.
       Dieses Suchverfahren und seine Spielregeln so weit wie möglich streitfrei
       zu stellen, wäre ein Ziel. Erst dann würde entschieden, was in einem Gesetz
       und was untergesetzlich geregelt werden muss.
       
       Verträumt, sagen nun die einen zu einer solchen gesellschaftlichen
       Verständigung. Verschleppung, sagen die anderen. Der Beginn der Endlagerung
       wird für die Zeit von 2060 bis 2080 angestrebt. Wenn das aufgehen soll,
       dann darf heute aber nicht wieder auf politisch-juristische Kompromisse
       gesetzt werden. Nur eine gründliche Neubestimmung in der Sache, die vor
       allem an Sicherheit orientiert ist und Mitbestimmung zur Voraussetzung
       macht, schafft Aussicht auf eine verantwortbare Lösung.
       
       23 Oct 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Rebecca Harms
       
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