# taz.de -- Prozessabsprachen in der Kritik: Verfassungsrichter rügen Deals
       
       > Karlsruhe zweifelt an Absprachen bei Strafprozessen. Ein Gutachten stellt
       > fest: Strafrichter ignorierten gesetzliche Vorgaben.
       
 (IMG) Bild: Die Roten Roben sprechen mal wieder, und zwar Recht: Die Richter am Bundesverfassungsgericht.
       
       KARLSRUHE taz | Verstoßen Absprachen im Strafprozess gegen das Grundgesetz?
       Diese Frage muss jetzt das Bundesverfassungsgericht klären. Bei der
       mündlichen Verhandlung wurde am Mittwoch deutlich: Die Verfassungsrichter
       würden das Dealen durchaus gerne verbieten, wollen die Justiz aber auch
       nicht ins Chaos stürzen.
       
       In mehr als jedem fünften Strafprozess kommt es zu einem Deal, ergab eine
       Studie, die der Rechtsprofessor Karsten Altenhain im Auftrag des
       Bundesverfassungsgerichts erstellt hat. Die Angeklagten legen ein
       Geständnis ab und bekommen dafür eine mildere Strafe. Strafrabatte von rund
       einem Drittel seien üblich, mehr als bei einem Geständnis ohne Deal. Für
       die Gerichte sind Deals attraktiv, weil sich lange Verfahren durch ein
       Geständnis massiv verkürzen lassen.
       
       Anwälte kritisieren solche Deals, weil sie gelegentlich zu falschen
       Geständnissen führen: Um eine höhere Strafe zu vermeiden, gesteht ein
       Angeklagter ein Tat, die er nicht begangen hat. Ein derartiger Fall – es
       ging um einen Polizisten, der wegen Raubes angeklagt war– lag auch der
       Karlsruher Verhandlung zu Grunde. Doch die Verfassungsrichter befürchten
       eher, dass die ausgedealten Strafen zu milde ausfallen und das
       Schuldprinzip verletzen, wie der federführende Richter Herbert Landau
       betonte. Generalbundesanwalt Harald Range befürchtet sogar, dass Richter
       verlernen, wie man richtig Prozesse führt.
       
       Solche Absprachen sind allerdings nichts Neues. In Deutschland gibt es sie
       schon seit den 70er-Jahren. 1997 hat der Bundesgerichtshof die Deals
       grundsätzlich zugelassen. Seit 2009 gibt es auch eine ausdrückliche
       gesetzliche Regelung in der Strafprozessordnung, die im Bundestag
       fraktionsübergreifend beschlossen wurde.
       
       Wie die Untersuchung von Altenhain ergab, ignorieren die Richter aber
       überwiegend die gesetzlichen Vorgaben und machen statt dessen „informelle“
       Absprachen. Teilweise missachten sie Formvorschriften, indem sie zum
       Beispiel auf die Protokollierung ihrer Deals verzichten. Teilweise treffen
       sie auch Absprachen, die gesetzlich verboten sind, etwa indem sie als
       Gegenleistung für ein Geständnis auf den erforderlichen Führerscheinentzug
       verzichten. Die Richter hätten dabei, so Altenhain, „kein schlechtes
       Gewissen“, weil sie ihre Urteile trotz Strafrabatt für angemessen halten.
       
       „Was wäre die Folge, wenn wir solche Absprachen verbieten?“, wollten die
       Verfassungsrichter von mehreren Strafrichtern hören, die als
       Sachverständige geladen waren. „Es geht auch ohne Deals“, sagte Ulrich Pohl
       aus Hildesheim. „Dies würde zu einem Kollaps der Justiz führen“, warnte
       dagegen der pensionierte Freiburger Strafrichter Georg Royen, „Richter
       würden noch mehr informelle Deals schließen“.
       
       Die Verfassungsrichter waren ersichtlich hin und hergerissen: zwischen dem
       Wunsch, einzugreifen und der Furcht, großen Schaden anzurichten. Eine
       naheliegende Lösung – die massive Einstellung zusätzlicher Richter – kommt
       wohl nicht in Betracht. „Deutschland hat heute schon eine sehr hohe
       Richterdichte“, so Generalbundesanwalt Range.
       
       Klaus Tolksdorf, der Präsident des Bundesgerichtshofs (BGH), forderte
       deshalb, dass Prozesse einfacher und kürzer werden müssen. Dazu müsse das
       Recht der Verteidigung eingeschränkt werden. Anwälte sollen nicht mehr bis
       zum Beginn des Urteils neue Beweisanträge stellen und so Prozesse ewig in
       die Länge ziehen können.
       
       Die Verfassungsrichter versuchten dagegen die Kontrolle über die Absprachen
       zu verbessern. Verstöße gegen die gesetzlichen Deal-Regeln könnten
       automatisch zur Aufhebung des Urteils in der Revision führen, schlug ein
       Richter vor. Damit wären aber wohl nur falsche Geständnisse zu reparieren.
       Denn der zum Deal überredete Angeklagte kann später bei klarem Kopf
       Revision einlegen. Doch wer soll eine zu milde Strafe zum BGH bringen?
       
       Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), die an der
       Karlsruher Verhandlung teilnahm, kündigte an, sie werde „Fehlentwicklungen
       korrigieren“. Das Urteil der Verfassungsrichter wird in einigen Monaten
       verkündet.
       
       7 Nov 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christian Rath
       
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