# taz.de -- Filmstart „Im Nebel“: Daneben steht verloren ein Schaf
       
       > „Im Nebel“ ist der zweite Spielfilm von Dokumentarfilmer Sergei Loznitsa.
       > Er handelt von Schafen und Soldaten in einem Wald in Weißrussland.
       
 (IMG) Bild: Auf Todesmission: Die drei weißrussischen Partisanen im Wald in einer Szene von „Im Nebel"
       
       Gleich die erste Einstellung zeigt an, was für eine Art von Historienfilm
       der ukrainische Regisseur Sergei Loznitsa im Sinn hat – und was für eine
       ihn kein bisschen interessiert. Zunächst folgt die Kamera einer Gruppe von
       Gefangenen auf dem Weg durch eine kleine Gemeinde, dann löst sie sich vom
       Nacken des letzten der Häftlinge und fährt langsam durch ein dörfliches
       Panorama, eine sorgfältig ausgearbeitete, detailreiche Kulisse, und
       fokussiert schließlich einen Karren, auf dem Pferdegerippe liegen. Daneben
       steht verloren ein Schaf.
       
       Die Gefangenen werden offscreen hingerichtet. Nicht die Schauwerte des
       historischen Dekors, nicht die Rekonstruktion oder gar Errettung des
       vergangenen, prallen Lebens interessieren Loznitsa. Stattdessen richtet er
       seinen Blick auf die Schrecken, die in den Lücken der Überlieferung lauern,
       auf die Wunden, die die Geschichte in die Welt geschlagen hat. Auf
       Menschen, die schon als Lebende durchsichtig sind, auf das Gerippe, in das
       sie sich unweigerlich verwandeln werden.
       
       „Im Nebel“ ist Loznitsas zweiter Spielfilm, vorher entstanden eine Reihe
       sehr interessanter dokumentarischer Arbeiten. Auf den ersten Blick ist der
       neue Film konventioneller als der von harschen narrativen Brüchen
       gekennzeichnete Vorgänger „My Joy“ – zumindest kann man die Handlung von
       „Im Nebel“ problemlos rekonstruieren: Der Film, der mit jeder Minute mehr
       einen eigenartigen hypnotischen Sog entwickelt, spielt während des Zweiten
       Weltkriegs, es geht um zwei Mitglieder einer weißrussischen
       Partisanengruppe, die sich an einem dritten, einem vermeintlichen Verräter,
       rächen wollen und die ihrerseits von deutschen Truppen gesucht werden.
       
       Burov und Voitik stöbern den vermeintlich Abtrünnigen Sushenya in dessen
       Haus auf, verbringen einige bedrückende Filmminuten bei einem
       kartoffelllastigen Abschiedsessen und brechen anschließend gemeinsam zu
       einer Todesmission auf, die von drei Rückblenden in das Vorleben der
       Hauptfiguren unterbrochen wird.
       
       Die Bewegung hin zum Tod, auch zum Nebel des Titels, der erst spät, dann
       aber umso eindrücklicher in den Film eindringt, prägt sich auch auf diese
       Erinnerungsbilder durch. Die Inszenierung nimmt sich nach dem Bravourstück
       der ersten Sequenz, diesem tracking shot from hell, zurück, wird
       kammerspielartig – und zwar auch in den Außenszenen: Minimalistische
       Dekors, lange, zurückgenommene Einstellungen, kein Horizont, fahles,
       natürliches Licht, gedämpfte Stimmen.
       
       Drei Schicksale, drei Arten des Ausgeliefertseins: Burov wird Opfer seines
       krankhaften Gerechtigkeitsdrangs, Voitik buddelt sich vergeblich im Schnee
       des weißrussischen Winters ein, und Sushenya, dieses rothaarige Gespenst
       mit dem wilden Blick (Vladimir Svirski – was für ein Schauspieler!), ist
       eine Märtyrerfigur von fast biblischen Ausmaßen. Nicht um Guerillaromantik,
       nicht um historiografische Selbstvergewisserung geht es bei all dem,
       sondern um ein Insistieren auf der Vergangenheit als einem unversöhnlichen
       Riss in der Gegenwart.
       
       Das Gegenbild zu dieser gleichermaßen ästhetischen und moralischen Haltung
       zeichnet Loznitsa selbst in der einzigen Szene, die bei den deutschen
       Besatzern spielt. Sie zeigt eine säuberlich geordnete Welt, die doch nur
       ein einziger Unterdrückungszusammenhang ist und gerade in ihrer
       kleinbürgerlichen Ordentlichkeit den gesamten Schrecken, die Abermillionen
       Toten des Russlandfeldzugs mitbezeichnet: Der weiße Gartenzaun vor der
       Nazi-„Ortskommandantur“, der einige gelbe Blumen einhegt; der Vogelkäfig im
       Büro des Nazi-Kommandanten, der einen gelben Vogel einhegt.
       
       ## Filmstart von „Im Nebel“ ist Donnerstag, 15.November 2010. Regie: Sergei
       Loznitsa. Mit Vladimir Svirski, Vlad Abashin u.a. Deutschland/Lettland
       u.a., 2012, 127 Min.
       
       15 Nov 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Lukas Foerster
       
       ## TAGS
       
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