# taz.de -- Hans Unstern geht auf Tournee: Er zitiert wie Espenlaub
       
       > Yo, Hannes, du Täuscher und Dringlichkeitsfanatiker: Der Berliner Musiker
       > und Autor Hans Unstern geht mit neuem Album und Gedichtband auf Tournee.
       
 (IMG) Bild: Großer Zottelbär und nervigste Nervensäge: „Hans Unstern“.
       
       Von allen Nervensägen der letzten Zeit ist diese hier die nervigste. Mit
       Abstand. Mit Ansage: „Hans Unstern“, oder wer immer hinter dem großen
       Zottelbär steht, als der sich dieser Berliner Musiker ausgibt. Yo, Hannes
       der Täuscher. Könnte sowohl menschlicher Schutzschild sein als auch
       fleischgewordene Marktlücke. Fakt ist: [1][Album] beim Staatsakt-Label,
       Lyrikband beim Merve-Verlag. Joint Venture statt Abgesang auf die
       Musikindustrie, schön und gut. Lyrikband beim Merve-Verlag? „Ich schäme
       mich / Für mich / Schämen sich sogar die Läuse / Auf den Tomaten fremd“
       („Ich schäme mich“). Lyrikband beim Nerve-Verlag!
       
       Doch, doch. Unsterns gesammelte Lyrics können sich hören lassen, weil sie
       schaurig-schön wie Moritaten klingen, aber sie lesen sich auch ziemlich
       gut. „Literweise Literatur aus der Spraydose / Den nächsten Satz würden wir
       / Lieber auf Englisch lesen / I hate you so much right now“ („Mit schwarzen
       Lippen sitzen wir hinten“). „I hate you so much right now“ ist ein Zitat
       aus einem Song der US-R&B-Sängerin Kelis. Auch sonst verweist Unsterns
       Musik in alle möglichen Richtungen: Palais Schaumburg, Hanns Dieter Hüsch,
       Edith Piaf. Der Spatz vom Pariser Platz.
       
       Unsterns ähnlich prägnante Stimme hat Hörspielanmutung, zwischen ihr und
       der Musik liegt ein großer Korridor. Und auf dem läuft der Lyriker beim
       Spiel mit den Worten zu großer Form auf: „Du zitierst wie Espenlaub“ („Bea
       Criminal“). Endlich einmal keine Indie-Selbstgenügsamkeit von Pop made in
       Germany, sondern simple, aber tragfähige Songarrangements mit bisweilen
       ungewöhnlicher Instrumentierung (etwa das seit Nico sträflich
       vernachlässigte Harmonium) und Begleitmusiker (Kinder, gerne auch im Chor).
       
       „Klaut dieses Album nicht online / Klaut es im Kaufhaus / Hinterlasst
       weniger Spuren“ (noch mal „Bea Criminal“). Eben: Der Sommer tat gerade
       seinen letzten Seufzer, da laden Plattenfirma und Verlag in die
       Verlagsräume im Berliner Bezirk Schöneberg, um eine „Presseperformance“ von
       Hans Unstern zu präsentieren. Interviews gibt der Kerl grundsätzlich keine
       und so schickt er einen Schauspieler vor, der „bereitwillig“ Auskunft gibt,
       nachdem man Unsterns neue Songs auf einer alten Stereoanlage hören durfte.
       Sind wir hier in ein René-Pollesch-Stück geraten? Oder war es doch Hans
       Unstern, der da saß?
       
       ## Weniger ist mehr
       
       Zunächst beeindruckt diese Dringlichkeit der Darbietung, hier will, ja hier
       muss jemand unbedingt was loswerden. Als würde PeterLicht in Isolationshaft
       sitzen und nicht in einer Werbeagentur. Label und Verlag zeigen sich
       angetan. So viel sei seit den achtziger Jahren nicht mehr in den
       Räumlichkeiten von Merve los gewesen, bekundet der Verlagsleiter. „Hans
       Unstern“ inmitten von „Michel Foucault“, „Hélène Cixous“, „1000 Plateaux“
       und unzähligen alten Merve-Bändchen, die noch den Zusatz „Internationale
       Marxistische Diskussion“ im Titel tragen.
       
       Diskussion? Eher Selbstgespräch. Frage eines Journalisten: Welches ist ihr
       Lieblingsbuch im Merve-Verlag? Antwort: „Mein eigenes.“ Bescheidenheit ist
       eine Gier: Der Mann, der sich als Hans Unstern ausgibt, trägt bei der
       Presseperformance einen weißen Overall, hat die Haare blau gefärbt. Seine
       Augen sind hinter einer tropfenförmigen Sonnenbrille verborgen. Man fühlt
       sich an Klaus Dinger erinnert, auf dem Cover des La-Düsseldorf-Albums
       „Viva“ (1978).
       
       Aber, das ist das Schlaue bei Hans Unstern, weder Biografie noch
       Referenzkasten geben Aufschluss. Nach der Presseperformance lässt er
       „Originaltöne“ aushändigen. Die Rede übernimmt Donna Haraway: „Es geht
       nicht darum, für jemanden zu sprechen, sondern mit jemandem.“ Der Mann, der
       sich als Unstern ausgibt, bezeichnet Kreativität als Schreckgespenst. „Ich
       spiele niemandem was vor / Ich bin völlig von der Rolle / Es fällt Hülle um
       Hülle“ („Hülle“).
       
       Dazu spielt Blues. Und dann ermüdet irgendwann genau die Dringlichkeit der
       Darbietung, das Überschäumende, der Radical-Chic-Evergreen, sprachlich
       originell, aber doch bloß zielgruppengerecht aufbereitet. „Wann ist
       Autoanzünden endlich Streetart?“ („Bea Criminal“). Vor lauter Inszenierung
       verblasst an dieser Stelle die Musik. Und es stellt sich leider ein, was in
       Gary Shteyngarts Dystopie „Super Sad True Love Story“ als Totschlagargument
       fällt: „Du bist so Medien“. Trotzdem, neben vereinzelten Nieten stehen jede
       Menge Hits und ebenso dicke Textbrocken.
       
       ## Live: 21. November, Hamburg, 22. November, Köln, 23. November, Frankfurt
       a. M., 24. November, München, 5. Dezember, Berlin
       
       20 Nov 2012
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://soundcloud.com/hansunstern/sets/the-great-hans-unstern-swindle/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Julian Weber
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Merve Verlag
 (DIR) Pop
 (DIR) Postpunk
 (DIR) Musikindustrie
       
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